Im Interesse der Menschlichkeit
Angestellte des Gesundheitssystems in Venezuela begegnen durch Sanktionen verursachten Schwierigkeiten mit Kreativität und Engagement
Kein Land der Welt war auf die Coronapandemie vorbereitet. Nahezu überall fehlte es dem Gesundheitspersonal an ausreichend medizinischem Material und Schutzanzügen, was teilweise zu Protesten des Gesundheitspersonals führte. Auch in Venezuela, einem Land, das unter den Folgen der einseitigen Strafmaßnahmen sowohl durch die USA als auch die EU leidet. Zwar verfügt die Regierung in Caracas über ein Auslandsvermögen von 117 Milliarden US-Dollar. Doch obwohl die Gelder gerade jetzt dringender denn je für den Kauf von Medikamenten und anderen Materialien benötigt werden, werden sie wegen der Sanktionen blockiert.
In der Folge fehlt es den öffentlichen Krankenhäusern oft am Nötigsten, um Covid-19-Patienten adäquat behandeln zu können. Doch die Arbeiter im venezolanischen Gesundheitssystem reagieren mit viel Engagement und Kreativität. So im Mutter-Kind-Krankenhaus »Samuel Darío Maldonado« in der westvenezolanischen Stadt Barinas. Dort haben die Krankenhausbeschäftigten beispielsweise eine Kapsel für den Transport von Covid-19-Patienten improvisiert. Auch eigene Schutzausrüstung sowie eine Isolierbox zur Verhinderung von Infektionen über Aerosole aus einem nicht mehr benutzten Brutkasten konnten hergestellt werden. So soll die Ansteckungsgefahr für das Krankenhauspersonal so gering wie möglich gehalten werden. Die Transportkapsel aus eigener Herstellung konnte bereits am 26. Juni bei der Kaiserschnittoperation einer Covid-19-Patientin erfolgreich eingesetzt werden.
»Von dem Moment an, als die Behörden unser Krankenhaus als Gesundheitszentrum für die geburtshilfliche und pädiatrische Versorgung von Covid-19-Patienten ausgewiesen hatten, haben wir Räume für Notfälle oder die Isolation von Patienten mit Symptomen von Atemwegserkrankungen vorbereitet und Quarantäneräume eingerichtet«, berichtet Oscarin Jiménez, Leiterin der Anästhesiologie der Klinik. »Auch ein spezieller Operationssaal wurde angepaßt.«
Schnell gehandelt
Oliver Mayora, Leiter für Wartungsarbeiten in der Klinik, ergänzt: »Als wir sahen, was in Europa geschah, begannen wir, uns auf das vorzubereiten, was kommen würde. Dabei waren wir uns darüber bewußt, daß wir aufgrund der Blockade nicht über alle notwendigen Materialien verfügen würden.« Viele Unternehmen verkauften aus Angst vor den Sanktionen nichts an den venezolanischen Staat. Dieser Mangel sei für die Venezolaner jedoch nicht neu: »Wir machen das schon seit Jahren, aber jetzt stehen wir vor einer Pandemie«, so Mayora.
Auch Oscarin Jiménez pflichtet ihrem Kollegen bei. Schuld an der Situation seien vor allem die gegen das Land gerichteten Sanktionen. »Es ist kein Geheimnis, daß wir in Venezuela unter anderem einen Mangel an medizinischem Material, Schutzausrüstung und Medikamenten für das Krankenhauspersonal haben.« Es sei jedoch wichtig zu betonen, daß selbst unter diesen widrigen Umständen der venezolanische Staat die kostenlose Versorgung und Behandlung von Covid-19-Patienten sowie die Durchführung von Coronatests garantiere.
Die Regierung der USA bestreitet, daß die Sanktionen die Bereitstellung humanitärer Hilfe und den Import von Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischen Geräten nach Venezuela beeinträchtigen. Allerdings wies bereits im April Francesco Rocca, Präsident der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC), darauf hin, daß »die Sanktionen es erschweren, humanitäre Materialien und Lieferungen zur Bekämpfung von Covid-19 nach Venezuela zu bringen«.
Vom und für das Volk
Angesichts dieser Situation sei es von großem Vorteil, daß mindestens 80 Prozent des Gesundheitssystems in Venezuela öffentlich und kostenlos zugänglich seien, erklärt Oliver Mayora. »Dieser Umstand hat uns Arbeitern ein Gefühl der Verbundenheit und Zugehörigkeit zu unseren Krankenhäusern gegeben. Sie gehören dem Volk und funktionieren für das Volk.« »Als die Pandemie ausbrach, war die Angst unter der Belegschaft groß – es kam sogar zur Androhung von Kündigungen«, erzählt Oliver Mayora. Denn zur fehlenden Schutzausrüstung in den Krankenhäusern kommt die niedrige Entlohnung der Beschäftigten. Aufgrund von Hyperinflation und der ständigen Abwertung der Währung beträgt das Monatsgehalt eines Arbeiters in Venezuela umgerechnet weniger als vier US-Dollar.
Zur Transformation des Mutter-Kind-Krankenhauses in Barinas erläutert Delia Rubio, stellvertretende Direktorin des Krankenhauses: »Nach der Anweisung der von Präsident Nicolás Maduro für die Bekämpfung von Corona eingerichteten Präsidialkommission haben wir früh, schon im Februar, mit den Vorbereitungen begonnen. Wir haben versucht, der Situation immer einen Schritt voraus zu sein.« Das sei gerade angesichts der tiefen Wirtschaftskrise in Venezuela notwendig gewesen. So sei es möglich gewesen, der Pandemie mit einer gewissen Gelassenheit zu begegnen.
Bislang ist Venezuela in der Coronapandemie einigermaßen glimpflich davongekommen. Bis Montag waren insgesamt 9.465 Menschen positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden. Von diesen waren wiederum schon 2.671 wieder vollständig genesen und 89 Personen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben.
Bislang gute Resultate
Damit steht das Land im Vergleich zu anderen Ländern der Region, die den Monat Juni mit alarmierenden Infektionszahlen abgeschlossen hatten, relativ gut da. So starben in Brasilien bereits mehr als 70.000 Menschen nachweislich an den Folgen einer Coronavirusinfektion, nach den USA ist das Land am stärksten von der Pandemie betroffen. Peru verzeichnet bereits mehr als 330.000 Coronafälle, mehr als 12.000 Personen starben an Covid-19. Auch Chile gehört mit seinen mehr als 317.000 nachgewiesenen Infektionen zu den weltweit am stärksten von der Pandemie betroffenen Ländern.
Daß Venezuela bislang so gute Resultate im Kampf gegen das Coronavirus verzeichnen konnte, führt Delia Rubio auf drei Faktoren zurück. Erstens stehe sowohl in der nationalen als auch der regionalen Politik immer der Mensch im Mittelpunkt. Zweitens habe die Präsidialkommission zu Covid-19 auf die Beratung und Unterstützung beispielsweise von Experten aus China, Rußland und Kuba setzen können. Und drittens verfüge das venezolanische Volk über eine unschätzbare Widerstandsfähigkeit. »Die Venezolaner haben ihre Verantwortung in der Pandemie wahrgenommen und sich an die Vorgaben der Regierung gehalten.«
Zum Abschluß macht Delia Rubio dann noch mit einer Botschaft für das Gesundheitspersonal in aller Welt Mut: »Wenn wir das Gefühl haben, nicht mehr zu können, daß es keine Hoffnung mehr gibt, daß alles verloren ist, laßt uns daran denken, daß wir die Hoffnung auf Leben für viele Menschen sind. Daher laßt uns unsere Stimme für eine bessere Welt erheben, ohne Kriege, ohne Sanktionen, ohne Wirtschaftsblockaden, die der Idee von Leben entgegengesetzt sind.«
Modaira Rubio, Barinas
Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung desinfiziert die Hände von Kunden auf einem Markt in Caracas, 13. Juli 2020 (Federico PARRA/AFP)