Ausland20. Mai 2025

Weitere Zehntausende Menschen sollen mit Gewalt aus Palästina vertrieben werden. Minister will Gaza »auslöschen«

Israels Armee kündigt »beispiellosen Angriff« auf Chan Junis an

von dpa/ZLV

Tel Aviv/Den Haag – Israels Armee hat Zehntausende Bewohner der Stadt Chan Junis im Süden des palästinensischen Gazastreifens aufgefordert, von ihrem Land zu fliehen. Die Bewohner der zweitgrößten Stadt des von Israel abgeriegelten Küstengebiets sowie benachbarter Orte sollten sich wegen eines unmittelbar bevorstehenden »beispiellosen Angriffs« sofort »nach Mawasi begeben«, hieß es am Montag in einem auf Arabisch veröffentlichten Aufruf. Das israelische Militär werde in dem Gebiet einen »Einsatz« beginnen, um gegen »Terrororganisationen« vorzugehen, hieß es weiter. Die Gegend sei nun ein »gefährliches Kampfgebiet«.

Im März hatte Israels Armee bereits die Bewohner der Stadt Rafah zur Flucht »aufgefordert«. Seit Tagen fliegen die israelischen Luftstreitkräfte massive Angriffe auf Gaza. Inzwischen sind in dem Palästinensergebiet auch israelische Bodentruppen im Einsatz. In den vergangenen Tagen waren aus dem Gazastreifen täglich Dutzende Tote gemeldet worden. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur dpa von mehr als 30 schweren Luftangriffen in der Nacht zum Montag auf Chan Junis.

Die Pläne der israelischen Regierung der Eroberung des Gazastreifens sind schon länger bekannt. Premier Benjamin Netanjahu hat nun die Einnahme des gesamten Gazastreifens betont. »Wir werden die Kontrolle über alle Gebiete des Gazastreifens übernehmen«, sagte er in einer auf Telegram veröffentlichten Videoansprache. Weitere Details dazu nannte er zunächst nicht. Die Andeutung einer dauerhaften Besetzung rief zuvor bereits international Kritik hervor.

Ziel ist es laut israelischer Regierung, »die Terrororganisation Hamas zu besiegen« und die Freilassung der von ihr festgehaltenen Israelis zu erreichen. Rechtsextreme Politiker streben aber auch eine »Wiederbesiedlung« des Gazastreifens an, aus dem Israel sich vor 20 Jahren zurückgezogen hat.

In seiner Videoansprache betonte Netanjahu, daß die Entscheidung, wieder einige wenige Hilfsgüter in den Gazastreifen zu lassen, getroffen worden sei, da dies »zur Sicherung der internationalen Unterstützung wichtig« sei. Um »einen Sieg über Hamas« zu erringen, dürfe es keine Hungersnot im Gazastreifen geben. Die ist jedoch der UNO zufolge längst im Gange. Auch machte Netanjahu keinerlei Angaben dazu, wann die am Sonntag angekündigte »Wiederaufnahme der Hilfslieferungen« anlaufen werde. Palästinensische Medien berichteten, daß 50 Lkw mit Mehl, Speiseöl und Hülsenfrüchten noch am Montag in das Küstengebiet gelassen werden sollten.

Gaza »auslöschen«

Netanjahus rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich lobte das Vorgehen der israelischen Kriegsmaschinerie. Auf deren Weg werde »auch das, was vom Gazastreifen übriggeblieben ist, ausgelöscht«, kündigte er auf einer Pressekonferenz an. Der gesamte Gazastreifen, so Smotrich weiter, sei »zu einer großen Terrorstadt geworden«. Das berichtete die israelische Zeitung »Haaretz«.

Smotrich bezeichnete das Vorgehen der Armee demnach als »dramatische Veränderung zu dem, was vorher getan wurde«. »Mit Gottes Hilfe wird das zum Sieg, zur Zerstörung der Hamas und zur Rückkehr der Geiseln führen«, fügte er hinzu. Die Besatzerarmee würde die Palästinenser »aus den Kampfzonen bringen«. Vom Süden des Gazastreifens würden sie dann »mit Gottes Hilfe in Drittländer« gebracht, wie es der Plan von USA-Präsident Donald Trump vorsehe. Das, so der Faschist, sei »eine Veränderung im Lauf der Geschichte. Nicht weniger.«

»Was, wenn es unsere Kinder wären?«

Auch in EU-Europa wächst der Widerstand gegen Israels Völkermord in Gaza. In den Niederlanden haben am Samstag Zehntausende rotgekleidete Menschen in Den Haag demonstriert. Sie forderten von der niederländischen Regierung, Israel mit konkreten Konsequenzen zu drohen. Auf einem Plakat stand: »What if it were our kids?« (Was, wenn es unsere Kinder wären?).

Organisiert wurde die Großmanifestation von Hilfsorganisationen wie Médecins Sans Frontières, Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International und propalästinensischen Gruppen. Niederländische Medien berichteten von 70.000 Teilnehmern, die Organisatoren von 100.000 – und damit der größten Kundgebung im Land seit über zwei Jahrzehnten. In einem langen Protestmarsch zogen die Demonstranten zum Friedenspalast und Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), der sich schon seit einem halben Jahr mit einer Völkermordklage gegen Netanjahu beschäftigt.

Zuvor hatten die Niederlande bereits die EU zu einem härteren Kurs gegenüber Israel aufgefordert. Der neue Außenminister Caspar Veldkamp sagte in Den Haag, Israel verletze mit der Blockade von humanitärer Hilfe für die Menschen im Gazastreifen demokratische Prinzipien und Menschenrechte.