Ausland23. Juli 2020

»Wir überleben nur aus eigener Kraft«

Bei den Parlamentswahlen in Syrien setzen sich Baath-Partei und verbündete Parteien durch. Niedrige Wahlbeteiligung

Aus den Parlamentswahlen in Syrien ist erwartungsgemäß der Block der Nationalen Einheit um die Baath-Partei als Sieger hervorgegangen. Ihre Kandidaten errangen 183 der 250 Parlamentssitze, die übrigen Sitze teilen sich auf zumeist bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf.

Nach Angaben von Justizminister Hisham al-Sha’ar beteiligten sich von den 19 Millionen Wahlberechtigen Syriens nur 6,2 Millionen Menschen an den Wahlen, rund 33 Prozent. Al Sha’ar führte das auf die Gefahren einer Infektion durch das Coronavirus zurück. Zudem hätten Syrer im Ausland sich nicht an den Wahlen beteiligen können. Weil Flughäfen und Grenzen Corona-bedingt geschlossen seien, hätten Syrer auch nicht nach Syrien zurückkehren können.

Die Bekanntgabe der Wahlergebnisse hatte sich verzögert, weil in fünf Wahlzentren in Aleppo und Deir Ez-Zor neu ausgezählt werden mußte, erklärte der Vorsitzende der Wahlkommission Samer Zamrek am Dienstagabend vor Journalisten in Damaskus. Die Wahlbeteiligung gab Zamrek mit 33,17 Prozent an, bei den Wahlen 2016 hatte die Wahlbeteiligung bei 57,56 Prozent gelegen.

Besonders in Aleppo beschwerten sich Kandidaten, deren Namen wie von Gei­sterhand von Unabhängigen Wahllisten verschwunden waren. Sie sei enttäuscht, sagte Sundus Mawordi, Kandidatin der unabhängigen Liste »Aleppo Al-Asala«, daß am Sonntagmorgen ihr Namen von der Wahlliste entfernt worden war. Auf ihrer »Liste der Authentizität« sei keiner der ursprünglichen Namen mehr zu finden, so Mawordi. Bis zum heutigen Freitag kann Widerspruch gegen das Ergebnis eingelegt werden. Auch der prominente Geschäftsmann und Vorsitzende der Industrie- und Handelskammer von Aleppo, Fares Shehabi, konnte nicht wieder ins Parlament einziehen.

Kommunisten erneut im Parlament vertreten

Die Kommunistische Partei Syriens zog erneut mit ihrem Vorsitzenden Ammar Khalid Bakdash und weiteren Abgeordneten ins Parlament ein. Bakdash studierte in Moskau und ist Doktor der Ökonomie. Seit 2010 ist er Generalsekretär der KP Syriens, dem Parlament gehört Bakdash seit 2007 an. In der letzten Wahlperiode seit 2016 war Bakdash Vorsitzender des Finanz- und Rechtsausschusses im Parlament.

Die 1924 gegründete KP Syriens löste sich 1986 in zwei miteinander konkurrierende Parteien – die KP Syrien (Einheit) und die KP Syrien (Bakdash) – auf. Die Partei unter Führung Khalid Bakdash wurde 1972 in die Nationale Progressive Front um die Syrische Arabische Baath Partei aufgenommen. Die Nationale Progressive Front wurde inzwischen in »Block der Nationalen Einheit« umbenannt.

Geringe Wahlbeteiligung

Gesprächspartner in Syrien hatten gegenüber der Autorin bereits vor den Wahlen die Dominanz der Baath-Partei als Hindernis für einen wirklichen Wettstreit von Parteien bezeichnet. Ursprüngliche Oppositionsparteien wie die Kommunisten, die Syrische Nationale Sozialistische Partei (SSNP) und Pan-Arabische Parteien hätten sich über das Verhältnis zur Baath-Partei gespalten. Eine Fraktion sei als Mitglied der Nationalen Progressiven Front mit der Baath-Partei im Parlament vertreten, die anderen Fraktionen gehörten zu inner-syrischen Opposition außerhalb des Parlaments.

Die wenigen unabhängigen Kandidaten hätten kein Programm vorgelegt, andere hätten nur vage Versprechungen gemacht, so die Person weiter, die selber nicht zur Wahl gegangen war. Gut sei »die große Anzahl junger Kandidaten und Kandidatinnen« und auch die Teilnahme von Geschäftsleuten sei wichtig, »weil sie wirtschaftlich eine Rolle spielen können«. Die Durchführung der Parlamentswahlen sei grundsätzlich richtig. Debatten im Parlament hätten auch in der Vergangenheit immer wieder die öffentliche Meinung aktiviert.

In Syrien sorgte die geringe Wahlbeteiligung für eine Überraschung. Die Wahlbeteiligung sehe nach einem Boykott aus, erklärte eine zweite Person, die lediglich einen weißen Zettel bei der Wahl abgegeben hatte. »Die Wahlen sind richtig und wichtig«, so die Person. Aber kein Abgeordneter und auch die Regierung könnten oder wollten der Bevölkerung in dieser schweren Zeit wirklich beistehen, so die Person weiter. »Wir überleben nur aus eigener Kraft«.

Reaktionen aus dem Ausland

Die geringe Wahlbeteiligung und das gute Abschneiden der Baath-Partei und deren Nationalen Blocks wurden erwartungsgemäß im westlichen Ausland kommentiert. Morgan Ortagus, Sprecherin des USA-Außenministeriums erklärte in Washington, in Syrien habe es »keine freien und fairen Wahlen gegeben, seit Assads Baath-Partei an die Macht kam. Dieses Jahr ist keine Ausnahme.«

Yahia al-Aridi, Mitglied des »Hohen Verhandlungskomitees« bei den Gesprächen am Sitz der UNO in Genf sprach gegenüber der deutschen Nachrichtenagentur dpa von einem »Theaterspiel des Regimes«. Es habe sich um »unrechtmäßige Wahlen« gehandelt, »die Menschen in Syrien hatten kein freies Wahlrecht«.

Die Nationale Koalition der revolutionären und oppositionellen Kräfte Syriens (Etilaf) mit Sitz in Istanbul – auch Syrische Oppositionskoali­tion (SOC) genannt – äußerte sich offiziell nicht zu den Wahlen. Deren amtierender Präsident Nasser al-Hariri nahm am Dienstag demonstrativ als Gast an einem virtuellen »Weltgipfel zur Befreiung Irans 2020« teil, der von den Volksmujaheddin, dem Nationalen Widerstandsrat Iran (NCRI) veranstaltet wurde. In seiner Rede hob Al Hariri hervor, daß Syrer und Iraner für die »Freiheit von Unrecht und den Übergang zu einem demokratischen, pluralistischen Staat, der auf Rechtsstaatlichkeit basiert«, vereint seien. »Ihr und wir kämpfen den gleichen Kampf gegen Terror und kriminelle Banden«, so der SOC-Präsident.

Karin Leukefeld

(Foto: AFP)