Ausland10. Oktober 2023

Vor 80 Jahren

Aufruf zum nationalen Befreiungskrieg

Am 13. Oktober 1943 erklärte Italien Hitlerdeutschland den Krieg

von Gerhard Feldbauer

Nach dem Sturz des faschistischen Diktators Mussolini im Juli 1943 durch eine Palastrevolte und der Kapitulation Italiens am 8. September erklärte die von König Vittorio Emanuele unter Marschall Badoglio eingesetzte Militärregierung am 13. Oktober Hitlerdeutschland den Krieg. Mit dem Übertritt auf die Seite der Anti-Hitler-Koalition leistete Italien einen historischen Beitrag zum Sieg über den deutschen und italienischen Faschismus.

Während die anglo-amerikanischen Alliierten am 8. September in Süditalien bei Salerno und Taranto landeten, besetzte die deutsche Wehrmacht einen Tag später Nord- und Mittelitalien. Noch am selben Tag konstituierte sich auf Initiative der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) ein Nationales Befreiungskomitee (CLN), dem mit Sozialisten, Aktionisten, Christdemokraten, Liberalen und Republikanern alle antifaschistischen Oppositionsparteien beitraten. Das CLN rief alle Italiener zum Kampf gegen den Faschismus und für ein freies Italien auf. Der Appell formulierte die Stoßrichtung gegen Hitlerdeutschland als Besatzungsregime mit der Losung: »Heute gibt es für die Italiener nur noch eine Front: Gegen die Deutschen und gegen die fünfte faschistische Kolonne. Zu den Waffen!«

Ein »kühner Handstreich«

Die PCI war die erste Partei, die bewaffnete Abteilungen aufstellte. Ihr Generalsekretär Luigi Longo, während des Spanischen Kriegs einer der wichtigsten Kommandeure der Internationalen Brigaden zur Verteidigung der Republik gegen die Franco-Faschisten, berichtet in seinem Buch »Viva L’Italia libera« (Berlin/DDR 1963), daß sofort nach dem deutschen Einfall im ganzen Land Tausende Italienerinnen und Italiener in verschiedensten Formen bewaffneten Widerstand leisteten. Sie streuten Nägel und Glasscherben auf Durchfahrtsstraßen der Wehrmacht, zerstörten Brücken und Telegrafenleitungen, unterbrachen Eisenbahnverbindungen und Elektrizitätszentralen, griffen bereits Einheiten der Besatzungstruppen an, verschafften sich in Handstreichen Waffen und Munition. »Man kann sagen, daß die Guerilla schon während des Oktober in allen Städten und Dörfern Italiens aufflammte« und sich durch »Schnelligkeit, Unangreifbarkeit und Überraschung auszeichnete«.

Im norditalienischen Belluno bildeten 22 Kommunisten eine Partisanenabteilung, aus der eine Garibaldi-Brigade hervorging, die sich nach dem in Spanien gefallenen Divisionsgeneral der Internationalen Brigaden Nino Nanetti benannte. Anfangs verfügten sie nur über 12 Gewehre, für jedes vier bis fünf Ladestreifen Munition, drei Revolver, eine Panzerbüchse mit 600 Schuß und einige Handgranaten.

Später, am 15. Juni 1944, wurde die Brigade durch eine in den Chroniken »Handstreich von Belluno« genannte Operation bekannt. Elf Partisanen, sieben in deutschen Uniformen und vier in der Rolle von Gefangenen mit Handschellen, begaben sich in das schwer bewachte Gefängnis der Stadt, überwältigten die Wachmannschaften und befreiten 73 politische Häftlinge. Nach 20 Minuten entkam das Kommando zu seinem Stützpunkt in den Bergen. Um die peinliche Niederlage zu vertuschen, verbreitete die Wehrmachtskommandantur eine Meldung, die Stadt sei »von 3.000 Partisanen umzingelt« worden, 600 hätten »das Gefängnis überfallen«.

Auf dem Balkan gingen Soldaten der italienischen Streitkräfte zu den Partisanen über. In der jugoslawischen Stadt Split bildeten 350 Mann das erste Bataillon »Garibaldi«. In Montenegro schlossen sich Einheiten der Divisionen »Venezia« und »Taurinensee« den Partisanen an und formierten nach gemeinsamen Kämpfen am 2. Dezember 1943 die Division »Garibaldi«. Später vereinigte sie sich mit dem Bataillon »Matteotti« zur Division »Italia«.

In Albanien verweigerte der Kommandeur der Division »Firenze«, General Arnaldo Azzi, die Entwaffnung und stellte es seinen Soldaten und Offizieren frei, Widerstand zu leisten oder sich zu ergeben. Alle Angehörigen der Division – 200 Offiziere mit dem Kommandeur der Infanterie, General Piccini an der Spitze und die über 10.000 Soldaten – erklärten, kämpfen zu wollen. Drei Tage lang widersetzten sie sich den überlegenen Kräften der Wehrmacht, zogen sich dann zurück und schlossen sich den albanischen Partisanen an. Dort bildeten sie unter dem Unteroffizier Terzilo Cardinali das Bataillon »Antonio Gramsci«.

Als sich die über 600.000 in Gefangenschaft nach Deutschland verbrachten italienischen Soldaten überwiegend weigerten, in Mussolinis Salò-Republik an der Seite der Wehrmacht weiter zu kämpfen, wurden 30.000 von ihnen umgebracht und über 60.000 in Konzentrationslager verschleppt.

Die Hitlerwehrmacht wurde von dem Widerstand italienischer Offiziere und Soldaten »völlig überrascht«, denn für Hitler waren die Italiener, wie er in seinen Monologen im Führerhauptquartier 1941-1944 niederschrieb, »keine echten Soldaten«. Für Feldmarschall Erwin Rommel, den Goebbels in seinen Tagebüchern zitierte, waren die Italiener »kein Kriegsvolk«. Die rassische überhebliche Haltung der deutschen Faschistenführer gegenüber ihren italienischen Verbündeten gipfelte darin, daß sie diese als »essere inferiori« (niedere Wesen) betrachteten, berichtet Gerhard Schreiber in »Deutsche Kriegsverbrechen in Italien« (München 1996, S. 25).

Der Widerstand gegen die deutsche Okkupation offenbarte, daß es Mussolini nicht gelungen war, sich mit der königlichen Armee und der Militärführung ein mit der Hitlerwehrmacht vergleichbares, willfähriges und bedingungslos dem Kadavergehorsam unterworfenes Instrument zu schaffen. Die gegenüber den italienischen Soldaten und Offizieren eingenommene Herrenmenschenposition der Hitlerfaschisten und ihrer Wehrmacht führte nach Mussolinis Sturz und dem Einfall der deutschen Truppen am 8. September, verbunden mit der Aufforderung an die Italiener, die Waffen niederzulegen und sich gefangenzugeben, zu einem eruptiven Ausbruch der immer latent vorhanden gewesenen antideutschen Ressentiments.

Die Partisanenarmee

Die Partisanen-Einheiten wuchsen zu einer schlagkräftigen, nach regulären militärischen Grundsätzen aufgebauten Armee an. Im November 1943 wurde ein einheitliches Generalkommando gebildet, dem alle Partisaneneinheiten unterstanden. Es nahm seinen illegalen Sitz in Mailand.

Das Kommando verfügte über einen Aufklärungs- und Sicherheitsdienst, eine Militärgerichtbarkeit und ein Polizeikorps. Neben der 258.000 Mann zählenden Partisanenarmee gab es die örtlichen Gruppi di Azione Patriottica (GAP), die 206.000 Partisanen zählten.

Ein »Sicherheitsbericht« des Wehrmachtskommandos gab im Juni 1944 an, daß im Mai des Jahres 2.035 und im Juni ungefähr 2.200 Partisanenaktionen stattfanden, dabei im Juni 17 Munitionsdepots und 24 Kasernen und Garnisonen des republikanischen Heeres (die faschistischen Hilfstruppen Mussolinis) sowie eine deutsche Kommandantur angegriffen wurden.

Von dieser Kampfkraft zeugte vom 28. Juli bis 3. August 1944 in der Emilia Romagna um den Montefiorino die größte Partisanenschlacht des Befreiungskrieges. Die Partisanen hatten auf dem strategisch wichtigen 800 Meter hohen Apennin einen Keil in die deutsche Verteidigungsstellung, die so genannte Gotenlinie, getrieben, den 8.000 Kämpfer gegen drei deutsche Divisionen verteidigten, die mit schwerer Artillerie, Panzern und Flammenwerfern angriffen. Von den Angreifern fanden 2.080 den Tod, bei den Partisanen fielen 250 Kämpfer, 70 wurden verwundet. Bis zum Ende des Befreiungskrieges gelang es den Besatzungstruppen nie, die freie Zone von Montefiorino zurück zu erobern.

Unzählige Heldentaten

Vom mutigen Kampf der Partisaninnen und Partisanen zeugen unzählige Heldentaten. Giani Nicolò, genannt Gianni, ein Kämpfer der GAP, verteidigte sich am 16. Juli 1944 fünf Stunden allein in den Trümmern eines Hauses gegen rund hundert deutsche und italienische Faschisten, Als er keine Munition mehr hatte, warf er mit Steinen und fiel mit dem Ruf »Mörder! Verräter des italienischen Volkes! Meine Genossen werden mich rächen!«.

Am 14. August 1944 wurde Irma Bandiera, Kurierin einer GAP-Gruppe, grausam ermordet. Nach ihrer Gefangennahme wurde sie gefoltert und, als sie den Stützpunkt ihrer Brigade nicht preisgab, geblendet und dann auf offener Straße erschossen.

In den Chroniken der Resistenza steht der Name des siebenjährigen »Straßenjungen« Pasqual Illuminato, eines »italienischen Gavroche«, der während des Aufstandes in Neapel Handgranaten auf einen deutschen Panzerwagen warf und umkam. Unvergessen sind die sieben Brüder der Familie Cervi, die alle im bewaffneten Kampf den Tod fanden.

Die Aktionen und die zahlreichen Heldentaten zeugten davon, daß es der PCI gelang, einen an der Basis tief verwurzelten Patriotismus zu wecken, von dem die in Dokumenten und Veröffentlichungen wiedergegebenen Briefe und Bekenntnisse zeugen. Battaglio und Garritano zitieren aus einem Brief, den der kommunistische Arbeiter Eusebio Giambone vor der Hinrichtung durch ein Wehrmachtskommando an seine Frau schrieb: »Ich sterbe ungern, aber ich fürchte mich nicht zu sterben. Ich bin ruhig, denn ich bin mir dessen bewußt, daß ich während meines kurzen Lebens Gutes getan habe, nicht nur in den engen Schranken der Nächstenliebe, sondern indem ich mich ganz, all meine Kräfte, waren sie auch nur bescheiden, pausenlos im Kampf für die große heilige Sache eingesetzt habe, für die Befreiung der unterdrückten Menschheit.«

In einem Lied sagt ein Partisan beim Abschied von Frau und Kind: »Wenn der Morgen kommt, muß ich zieh’n. Und Italiens Feinden im ganzen Land wird das Lachen bald vergeh’n«. Und wenn er fallen sollte, ist er sicher: »Unser Volk, das nie unseren Kampf vergißt, wird dem Söhnchen Vater sein«.

Den Vorschlag Badoglios, aus italienischen Soldaten, die sich der Entwaffnung durch die Hitlerwehrmacht widersetzt hatten, ein Freiwilligenkorps zu formieren, lehnten die Alliierten zunächst ab, erlaubten jedoch dann, einen motorisierten Truppenteil von etwa 5.500 Mann aufzustellen. Vom Alliierten-Kommando am 8. Dezember 1943 ohne Artillerie-Unterstützung zum Sturm auf den Monte Lungo in Kampanien (Süditalien) eingesetzt, wurden die Italiener regelrecht verheizt und die Formation danach aufgelöst.

Auch die Partisanen, die die Hauptlast des Nationalen Befreiungskrieges trugen, versuchten die Alliierten wo es ging zu behindern. So erhielten sie nur etwa die Hälfte der von ihnen benötigten Ausrüstung, wobei die Versorgung zunehmend selektiv vorgenommen wurde, »um die militanten Gruppen der kommunistischen Garibaldi-Brigaden von der Unterstützung auszuschließen«.

Im Herbst 1944 verlangsamten die Alliierten ihren Vormarsch, um damit auch den Partisanenkampf zum Erliegen zu bringen. Der Oberkommandierende der angloamerikanischen Truppen, General Harold Alexander, forderte die Partisanenverbände in einer Rundfunkbotschaft auf, in den Wintermonaten keine offensiven Kampfhandlungen mehr zu führen und ihre festen Verbände und Standorte aufzulösen.

»Diese Rundfunkbotschaft, die auch von den Deutschen abgehört werden konnte, brachte die Widerstandsbewegung in große Gefahr«, schrieb die Historikerin Sophie Alf. Das habe wahrscheinlich durchaus in der Absicht der Alliierten gelegen, die die »Dezimierung der fortschrittlichen Antifaschisten in ihre Rechnung einbezogen«.

Kapitulation vor den Garibaldinern

Es gelang den Alliierten jedoch nicht, den Vormarsch der Partisanen aufzuhalten Im April 1945 eröffnete die Partisanenarmee zwischen Piemont und Venetien auf einer Breite von über 400 Kilometern ihre letzte Offensive gegen die Wehrmacht, deren Truppen in Stärke von 19 Divisionen zwischen Friuli und Carnia konzentriert waren. In Genua ergab sich der Ortskommandant der Wehrmacht, General Meinhold, den Garibaldinern und ging mit 9.000 Mann in Gefangenschaft. Am 27. April kapitulierte das X. Panzerkorps der Wehrmacht. Am 30. April nahmen Garibaldiner am Monte Grappa 33.000 deutsche Soldaten gefangen. Den Partisanen ergaben sich zwischen dem 25. April und 4. Mai allein im Veneto 140.000 Soldaten der Wehrmacht.