Leitartikel12. November 2021

Mehr Pragmatismus nötig

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In den Nachbarländern schnellen die Covid-19-Fallzahlen in die Höhe. Die Intensivstationen sind vielerorts am Limit. In Deutschland hat der Landkreis Rottal-Inn in Bayern mit einer Inzidenz von 1.140 den derzeitigen Rekord, und der dortige Landrat Fahmüller wandte sich mit einem dringenden Appell an die bisher ungeimpften Bürger, sich das doch bitte noch einmal zu überlegen.

Während Luxemburg zu keinem Zeitpunkt derart weitreichende Lockerungen zuließ, wie sie zwischenzeitlich in Deutschland erlassen wurden und mit seinem CovidCheck-System schon früh 3G einführte, kommen deutsche Bundesländer jetzt darauf, ebenfalls diesen Weg zu gehen.

Auch wenn etwa der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, nichts von einer »Pandemie der Ungeimpften« hören will, sprechen die auseinander gerechneten Inzidenzen eine deutliche Sprache. Dazu kommt, daß sich geimpfte Personen wieder relativ frei bewegen können, eine eigene Infektion vielleicht nicht bemerken und ungeimpfte anstecken, die dann schwer erkranken können. Dabei ist die Anzahl der Personen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, nicht so groß, wie auch luxemburgische Mediziner durchscheinen ließen.

Viele Impfunwillige verstecken sich aber hinter dieser Personengruppe und gefährden diese durch ihr Verhalten nur weiter. Aufgrund der auch in der sich verschärfenden Lage andauernden mangelnden Impfmotivation stehen einige Länder also erneut vor einem harten Coronawinter.

Dazu kommt, daß viele Menschen, die bereits im Frühjahr 2021 vollständig geimpft wurden, mittlerweile ihren Impfschutz langsam zu verlieren drohen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß Covid-19 vorerst eine Auffrischung benötigen wird, wie etwa die Grippeimpfung, bis vielleicht eines Tages bessere Lösungen zu haben sind. Während Menschen für Reisen in ferne Länder verpflichtende Impfungen kommentarlos in Kauf nehmen, wird in einer weltweiten Pandemie weiter lamentiert. Dabei drohen wir nicht nur die Kontrolle über die Lage zu verlieren, sondern auch immer mehr medizinisches Personal, das nach 20 Monaten Pandemie, gepaart mit den ohnehin harten Arbeitsbedingungen, völlig am Ende ist.

Die Zeit des Klatschens vom Balkon ist definitiv vorbei, und die Zeit der warmen Worte wird es bald auch sein. Doch was kommt dann, um Herr der Lage zu werden und weitere sinnlose Todesfälle zu vermeiden? Ein neuer Lockdown, Absagen, Schließungen? Ein weiteres Desaster für abertausende Existenzen? Dies würde einer politischen Bankrotterklärung gleichkommen. In Deutschland scheint sich in den letzten Wochen die Meinung zum Impfen zu wenden: Eine Mehrheit hält eine Impfpflicht, wie es sie für andere Krankheiten längst gibt, mittlerweile für richtig. Die Politik versucht indes, mit neuen gratis Tests, sich nicht um Wählerstimmen zu bringen. Dabei wäre eine zahlreich geimpfte erwachsene Bevölkerung auch ein Schutz für die Kinder.

Und in Luxemburg? Eine dritte Impfdosis, die für den Winter wappnen soll, wird hier, anders als etwa von den Experten in Deutschland empfohlen, lediglich betagten Menschen und medizinischem Personal angeboten. Hier wäre, wie so oft in dieser Krise, mehr Pragmatismus wünschenswert. Auch hier gilt: Luxemburg ist keine Insel. Ohnehin mit Blick auf eventuelle Komplikationen bei der Gültigkeit des Impfzertifikates in anderen Ländern. Aber warum sollten wir auch in diesen Corona-Winter besser vorbereitet gehen, als in den letzten?