Ausland04. Oktober 2017

Nord-Süd-Dialog in Korea

Vor einem Jahrzehnt gab es das letzte Signal zur Entspannung in Ostasien

Das große Paradoxon in der jüngeren Geschichte Koreas besteht darin, daß der von 1998 bis 2008 in Seoul verfolgten »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden von der »Schutzmacht« USA in die Parade gefahren wurde. Und die beiden darauffolgenden stockkonservativen südkoreanischen Regime im Schatten von USA-Präsident Barack Obamas »strategischer Geduld« auf schroffe Konfrontation mit Pjöngjang setzten. Südkoreas neuer Präsident Moon Jae In favorisiert erneut den Dialog mit dem Norden – zum Entsetzen von USA-Hardlinern in Washington. Bringt Donald Trumps Politik womöglich beide koreanische Regierungen gegen sich auf? Wenigstens das wäre beruhigend und ein Teilerfolg.

Am 13. Juni 2000 genoß die nordkoreanische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den geschichtsträchtigen Moment, daß die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae Jung und Kim Jong Il, Freundlichkeiten austauschten. Am 15. Juni 2000 vereinbarten beide Staatsmänner die historische Nord-Süd-Deklaration. Neben Familienzusammenführung und Besuchsprogrammen sah diese auch eine engere Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor.
Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft der beiden mächtigsten Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae Jungs im Februar 1998, der eine »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden verkündete. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung – so lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae Jung ausdrücklich auf die frühere »Ostpolitik« des deutschen Kanzlers Willy Brandt, wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt. Die Nord-Süd-Verständigung fand weltweit breite Unterstützung. Dafür erhielt der südkoreanische Präsident im Dezember 2000 den Friedensnobelpreis.

Anläßlich des dritten Jahrestages der Unterzeichnung der Nord-Süd-Deklaration erklärte Kim Dae Jung im Sommer 2003, daß sich Nordkoreas Atomwaffen, verfügte die Volksrepublik tatsächlich über solche, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal nachgerade wie »Spielzeuge« ausnähmen. Mitte Juni 2005 reisten anläßlich des fünften Jahrestages des ersten historischen innerkoreanischen Gipfels mehr als 300 südkoreanische Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam an dieses Ereignis zu erinnern.

Was zum Jahreswechsel 2000/01 auf einen Entspannungsprozeß in Korea hindeutete, geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush vollends aus den Fugen. Der neue Chef im Weißen Haus nannte Nordkorea am 7. März 2001 unvermittelt einen »Bedrohungsfaktor in Ostasien«, mit dem Gespräche und Sicherheitsgarantien im Zuge einer kompletten Neubestimmung der Asienpolitik der USA ausgesetzt würden. Im selben Atemzug stempelte er die »Sonnenscheinpolitik« als »naiv« ab und erklärte Nordkorea Ende Januar 2002 nebst Iran und Irak zur »Achse des Bösen«.

Um trotz gezielter Störattacken seitens der USA das Momentum der »Sonnenscheinpolitik« zu wahren, kam es Anfang Oktober 2007 zu einem zweiten Gipfeltreffen in Nordkoreas Hauptstadt. Beide Präsidenten, Kim Jong Il und Roh Moo Hyun, unterzeichneten dort am 4. Oktober eine Erklärung, in der sie zu Frieden, Wohlstand und zu einer engeren Wirtschaftskooperation auf der Halbinsel aufriefen. In dieser Erklärung bekräftigen Kim und Roh auch den geplanten Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms sowie die Einrichtung einer Friedenszone im Gelben Meer, wo die Grenzlinie zwischen beiden Ländern noch strittig ist.

Nach 16-jährigem »Krieg gegen den Terror« mit verheerenden »kollateralen Schäden« wie Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Libyen folgt Nordkoreas Nomenklatur gemäß systemimmanenter Logik und sehr rational dem Kalkül: Wenn wir schon international nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden.

Rainer Werning