»Ein Treffen ohne Hoffnung«
Atomwaffengegner in New York warnen eindringlich vor Aufweichung des Atomwaffensperrvertrags
Neben der diesjährigen Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag bei der UNO vom 29. April bis zum 10. Mai fand in New York auch eine internationale Gegenkonferenz von Atomwaffengegnern statt.
»Zwei Minuten vor Zwölf« sei es, leider sei inzwischen »die Zeit zum Sekundenzählen« bis zum großen Knall, einem Atomkrieg, angebrochen. So lautet die Stimmung auf der internationalen Konferenz, zu der sich am Samstag in der Judson-Memorial-Kirche in Manhattan Kriegsgegner zur Bestandsaufnahme und zur Strategiediskussion versammelt hatten. Unter dem Motto »Wachsende nukleare Gefahren in einer sich ändernden Welt« nahmen Experten und Friedensaktivisten die bei der UNO stattfindende Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag zum Anlaß, die internationale Lage einzuschätzen und die Möglichkeiten für eine neue internationale Friedensbewegung zu erörtern.
Die unübersichtlichen Regularien der UNO sehen alle vier Jahre eine Konferenz zur Überprüfung des »Nuclear Non-Proliferation Treaty« (NPT, Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen, auch »Atomwaffensperrvertrag« genannt) vor. Dazwischen finden, wie dieses Jahr, entsprechende Vorbereitungskonferenzen statt. Vorgesehen sind die Festlegung einer Agenda und die Bestimmung inhaltlicher Kernpunkte für die große Überprüfungskonferenz.
Das Nichtverbreitungsystem wurde bei seinem Abschluß 1968 auf die Säulen Nichtweitergabe, Abrüstung und Atomenergie gestellt. Demnach verpflichten sich atomwaffenfreie Staaten, keine Atomwaffen zu erwerben, während Atomstaaten auf die Weitergabe verzichten. Letztere sollen vertragsgemäß ihre Arsenale abbauen und einen Vertrag über die Abschaffung abschließen. Schließlich sollen Atomwaffenstaaten anderen bei der zivilen Nutzung der Atomenergie helfen.
Leider gebe es derzeit »überhaupt keine Hoffung auf irgend etwas, das in Richtung nuklearer Abrüstung geht«, sagt der Ko-Präsident des Internationalen Friedensbüros IPB Reiner Braun, auf seine Erwartungen angesprochen. Es handele sich um »ein Treffen ohne Hoffnung«, sagte er gegenüber der »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«.
Denn angesichts der internationalen Lage, in der die USA im Februar dieses Jahres ihren Austritt aus dem bilateralen INF-Vertrag mit der Sowjetunion und Rußland (Intermediate Range Nuclear Forces, nukleare Mittelstreckensysteme) aufkündigten, bestehe nicht nur die Gefahr, daß die UNO-Konferenz ergebnislos endet, sondern auch, daß noch mehr Länder aus dem NPT-Vertrag ausscheren. Dies erfolge entweder insgeheim, indem sie ihr mangelndes Interesse durch Fernbleiben an Treffen bekunden, oder indirekt durch die Vorbereitung der eigenen atomaren Aufrüstung.
Neben dem aus Deutschland stammenden Reiner Braun nahmen auch Experten und Aktivisten aus den USA, Rußland, Israel, Frankreich, Indien, Südkorea und Japan an der Gegenkonferenz teil, die vom New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit finanziert wurde.
Die Vorsitzende des Israeli Disarmament Movement Sharon Dolev wies gegenüber der »Zeitung« auf die regionalen Aufrüstungsbestrebungen und die Kriegsgefahr im Nahen Osten hin. Israels Premier Netanjahu sei »besessen vom iranischen Nuklearprogramm, und Trump springt ihm bei«. Dabei handele es sich um die übliche Heuchelei, weil Israel, die USA und die »gesamte westliche Welt« den größten regionalen Risikofaktor in punkto Verbreitung von Atomwaffen schlichtweg »verschweigen« würden, nämlich Saudi-Arabien. »Wir haben Interessen in Saudi-Arabien, deshalb sprechen wir nicht darüber«, so Dolev. Das nukleare Wettrennen werde außerdem dadurch angeheizt, daß die einzige nahöstliche Atommacht Israel jegliche Teilnahme an internationalen Abrüstungstreffen verweigere. Schritte hin zu einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten seien deshalb auch im kommenden Jahr bei der NPT-Konferenz nicht zu erwarten.
Der aus Moskau stammende unabhängige Politiker Boris Kagarlitzki erläuterte anhand seiner Einreiseprobleme in die USA, daß entgegen der Behauptung Vieler ein »neuer kalter Krieg« zwischen den USA und Rußland entstanden ist. So ist es in Moskau nicht mehr möglich, ein USA-Visum zu erhalten. Kagarlitzki erhielt seines erst in Wien. In seinem Vortrag arbeitete er den Widerspruch zwischen Putins nationalistischer Rhetorik, die von der Produktion neuer »Wunderwaffen« spricht, und der Realität aus. Die Machbarkeit der vom russischen Präsidenten verkündeten Arsenale werde von Wissenschaftlern bestritten. Trotzdem sei die Propaganda nicht »unschuldig«, weil sie dem westlichen Aufrüstungsbestrebungen zuarbeite. Dennoch gebe es aus der Ukraine, wo sich mit der Wahl des neuen Präsidenten Entspannungssignale gegenüber Rußland abzeichnen, gute Nachrichten.
Hoffnungsschimmer ergeben sich für viele Teilnehmer auch aus den jungen Klimabewegungen und weiteren sozialen und politischen Bewegungen, etwa der antirassistischen Bewegung in den USA. Denn die Verjüngung der Bewegung von Atomwaffengegnern ist dringend notwendig.
Max Böhnel, New York