Vor 30 Jahren
Mord an dem sizilianische Staatsanwalt Giovanni Falcone
Komplott der DC mit der Mafia und der von der CIA geführten faschistischen P2
Am 23. Mai 1992 fiel der Leiter der Anti-Mafia-Kommission von Sizilien, Staatsanwalt Giovanni Falcone, zusammen mit seiner Frau Francesca Morvillo, einer Richterin, und drei Leibwächtern einem Attentat der Mafia zum Opfer. Nur sein Fahrer überlebte schwer verletzt.
Falcone war dem Komplott von Politikern der Regierungspartei Democrazia Cristiana (DC) mit der Mafia und der von der CIA geführten faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) auf die Spur gekommen. Jahre später, am 21. September 2015 berichtete die römische »La Repubblica«, daß der verhaftete Mafioso Giocchini La Barbera, der den Sprengsatz gezündet hatte, ausgesagt habe, daß die Ermordung Falcones ein in die Mafia eingeschleuster Mann des Inlandsgeheimdienstes SISDE inszeniert hatte.
In den so genannten »Maxi-Prozessen«, die am 10. Februar 1986 vor dem Corte d'Asisse, dem Schwurgericht von Palermo begannen, waren dank der Ermittlungen Falcones 456 Mafia-Chefs angeklagt worden, darunter Salvatore Riina (Tòto) und – in Abwesenheit – der Chef des Corleonesi-Clans, Bernardo Provenanzo. Am 16. Dezember 1987 wurden 19 lebenslange Haftstrafen verhängt. 114 Angeklagte mußten wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Die übrigen erhielten insgesamt 2.665 Jahre Gefängnis und Geldstrafen. 1988 bestätige der Corte d'Appello von Palermo die Urteile.
Neue Hintergründe des Mordes an Falcone und seinen Begleitern kamen ans Licht, als am 27. Mai 1993 der siebenmalige Ministerpräsident, der DC-Politiker Giulio Andreotti, in Palermo wegen Mitgliedschaft in der Mafia angeklagt wurde. 231 Zeugen sagten aus, darunter führende Mafia-Bosse, die Straffreiheit zugesichert erhalten hatten. Fotos und Filmaufnahmen belegten zahlreiche Begegnungen Andreottis mit Mafiabossen. So wurde publik, daß die »Ehrenwerte Gesellschaft« auf Betreiben Andreottis der DC in Süditalien jahrzehntelang Wählerstimmen beschafft hatte, wofür Prozesse gegen Mafia-Bosse vor dem Kassationsgericht »in Ordnung« gebracht wurden.
Der »Urteilskiller« genannte Richter Corrado Carnevale hatte in Hunderten Verfahren faschistische Terroristen und Mafiosi freigesprochen. In den Ermittlungen gegen die P2 hatte er, wie Giorgio Galli in seinem Buch »Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990« darlegte, eine Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, Putschvorbereitung und Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung verhindert. Das geschah, um Andreotti, bei dem es sich, wie die Zeitschrift »Europeo« bereits am 15. Oktober 1983 enthüllt hatte, um »den wahren Chef der Propaganda due« handelte, nicht zu belasten.
Eine zweite Anklage gegen Andreotti erging in Perugia wegen Anstiftung zum Mord an dem Herausgeber der Zeitschrift »Osservatore politico«, Mino Pecorelli, der im März 1979 von Mafia-Killern erschossen wurde. Er hatte angekündigt, die Rolle Andreottis im Komplott der CIA und ihrer P2 bei der Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, der ein Regierungsabkommen mit der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) geschlossen hatte, zu enthüllen. Mehrere Mafiosi sagten aus, Andreotti habe zu dem Mord angestiftet und Pecorelli sei umgebracht worden, »um Andreotti einen Gefallen zu tun«. Andreotti wurde auch beschuldigt, die Ermordung des Carabinieri-Generals und Präfekten zur Bekämpfung der Mafia von Palermo, Alberto Dalla Chiesa, am 3. September 1982 eingefädelt zu haben. Als 1996 der Mafioso Calogero Ganci, der die Ermordung Dalla Chiesas leitete, gefaßt wurde, gestand er, daß auch der Antimafiapräfekt beseitigt wurde, um Andreotti gefällig zu sein.
Mit der Ermordung von Staatsanwälten, Richtern und Politikern wollte die Mafia die Gerichtsverfahren aufhalten. Bis in die 90er Jahre hinein waren das Dutzende Mafia-Ermittler, darunter im April 1982 der PCI-Abgeordnete und Mitglied der parlamentarischen Antimafia-Kommission, Pio La Torre. Er hatte Andreottis Komplizenschaft mit der Mafia untersucht, die für die Arbeit Falcones wichtige Kronzeugenregelung mit Strafmilderung eingebracht und erstmals die Mitgliedschaft in der Mafia als Strafbestand durchgesetzt. Außerdem war er ein Organisator der Protestbewegung gegen die Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen auf der NATO-Basis Comiso auf Sizilien, was nach der Aufdeckung von »Gladio« 1990 zu Ermittlungen über deren Beteiligung an seiner Ermordung führte. Seine Grundsätze der Mafia-Bekämpfung wurden nach seinem Tod als »Legge La Torre« (Torre-Gesetz) vom Parlament verabschiedet.
In Perugia wurde Andreotti zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, 1999 in der Revision freigesprochen, was der Kassationshof von Rom 2003 bestätigte. In Palermo gab es einen Freispruch »zweiter Klasse« wegen Mangels an Beweisen. Der Einspruch der Staatsanwaltschaft wurde 2003 vom Kassationsgericht in Rom ebenfalls zurückgewiesen. Trotzdem bedeuteten die Prozesse den politischen Bankrott Andreottis, weil in Palermo festgehalten werden mußte, daß der Ex-Premier der Mafia lange Zeit »freundschaftlich gesonnen« war, was bedeutete, daß der Angeklagte nicht von jedem Verdacht freigesprochen wurde.
Italienische Medien weisen anläßlich des Jahrestages der Ermordung Falcones darauf hin, daß die Cosa Nostra seit den 1990er Jahren ihre Strategie änderte und abtauchte. Sie habe sich »in der Wirtschaft eingenistet«, etwa auf dem Feld der erneuerbaren Energien oder bei der Abfallentsorgung in den Städten und sich während der Pandemie Hilfsgelder angeeignet.
Besonders die Camorra funktioniere wie eine Holding aus mächtigen Mafia-Clans, die im Gesellschaftsgefüge verwebt sind, hieß es.