Leitartikel05. April 2023

Schulalltag Amoklauf



Ein Vierteljahrhundert nach dem damals noch alle Welt schockierenden »Schulmassaker von Littleton« im Bundesstaat Colorado hat man sich irgendwie an Amokläufe an US-amerikanischen Lehranstalten gewöhnt. Sie sind fast zu etwas Alltäglichem geworden, das kaum noch international Schlagzeilen macht oder in einer der vielen Fernsehtalkshows diskutiert wird.

Darüber hinaus ist die Bluttat vom 20. April 1999, als die kurz vor dem Abschluß stehenden Schüler Eric Harris (18) und Dylan Klebold (17) bis an die Zähne mit mehreren halbautomatischen Waffen, einer abgesägten »Pumpgun« und einer abgesägten doppelläufigen Schrotflinte bewaffnet ihre Columbine High School stürmten und eine ganze Stunde lang Zeit hatten, zwölf ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler im Alter von 14 bis 18 Jahren, einen Lehrer und am Ende auch sich selbst zu erschießen, anscheinend zu einer Art Blaupause für etliche Nachahmungstaten an Schulen in »God's own country« geworden.

So am Montag vergangener Woche, als bei einem weiteren Amoklauf an einer Grundschule in Nashville, Tennessee zwei neunjährige Schülerinnen, ein gleichaltriger Schüler, die Leiterin der Lehranstalt, eine Aushilfslehrerin und der Hausmeister der Schule getötet wurden, bevor auch die Todesschützin, die insgesamt 152 Schüsse abgegeben haben soll, selbst von der Polizei erschossen wurde.

Noch keine hundert Stunden später verabschiedete der Senat des Bundesstaates Florida mit einer satten Zweidrittelmehrheit ein neues Waffengesetz, nach dem es nun erlaubt ist, verdeckt Schußwaffen zu tragen, für die man noch nicht einmal eine gesonderte Lizenz besitzen muß. Bisher waren in Florida für das verdeckte Tragen von Waffen eine entsprechende Ausbildung sowie ein Antrag mit Überprüfung des Antragstellers nötig. Auch im »Sunshine State« hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder Amokläufe gegeben. 2018 starben an einer Schule in Parkland 17 Menschen.

In den Jahren 2020 und 2021 wurden in den USA mehr Kinder durch Schußwaffen getötet als durch Verkehrsunfälle. Seit dem Massaker an der Columbine High School haben laut »Washington Post« mehr als 248.000 Kinder an US-amerikanischen Schulen Waffengewalt erlebt. Zwischen Januar 2022 und Januar 2023 gab es demnach mehr als 600 solcher »School Shootings«, von denen es nur die blutigsten in europäische Zeitungen schaffen.

Und wie schon beim »Schulmassaker von Littleton« werden stets die Täter sensationsheischend verteufelt und die medial begleitete »Ursachenforschung« bleibt zu jeder Zeit strikt täterbezogen. So bleibt nicht nur die kapitalistische Gesellschaftsformation, in der immer mehr junge Menschen jede Hoffnung auf ein irgendwie sinnvolles Leben für sich verloren haben, außen vor, auch können die widerlichen Ablenkungsmanöver der mächtigen US-amerikanischen Waffenlobby NRA ihre Wirkung entfalten und regelmäßig erhobene Forderungen nach schärferen Waffengesetzen wie stets ins Leere laufen lassen.

Schon vor einem Vierteljahrhundert sollen die beiden jugendlichen Täter von Littleton letztlich von Videospielen und vor allem von der Rockband Marilyn Manson »verführt« worden sein. Von Michael Moore für seinen ausgezeichneten Dokumentarfilm »Bowling for Columbine« interviewt, antwortete der Sänger Manson auf die Frage, was er Harris und Klebold sagen würde: »Ich würde nicht ein einziges Wort zu ihnen sagen, ich würde zuhören, was sie zu sagen haben, und das ist es, was niemand getan hat.«