Ausland16. Juni 2020

Meßbare Diskriminierung

Systematischer Rassismus in den USA

Schwarze in den USA verdienen weniger als Weiße und kommen viel häufiger ins Gefängnis. Ihre systematische Benachteiligung ist meßbar. Die Daten können Rassismus und den Zorn der Betroffenen nur zum Teil erklären – sie liefern aber einen dramatischen Einblick.

Diskriminierung der Hautfarbe wegen ist in den USA häufig schwer zu messen: Es kann sich dabei etwa um einen schiefen Blick, Beleidigungen oder abgesagte Jobinterviews handeln. Anders ist es bei dem, was Politiker in den USA »sy­stematischen Rassismus« nennen. Die strukturelle Benachteiligung Schwarzer ist auch rund 50 Jahre nach der rechtlichen Gleichstellung noch in vieler Hinsicht meßbar: Sie leben im Durchschnitt kürzer, sind ärmer und weniger gesund als weiße Amerikaner.

Tote bei Polizei-Einsätzen

Seit 2015 haben Polizisten in den USA nach einer Auswertung der »Washington Post« rund 5.400 Menschen erschossen, die zumeist bewaffnet gewesen sein sollen. Davon waren 45 Prozent weißer Hautfarbe, obwohl Weiße rund 60 Prozent der USA-Bevölkerung stellen. Schwarze, die nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen, repräsentierten 23 Prozent der von der Polizei Getöteten. Die Statistik der Schußwaffentode gibt nur einen kleinen Einblick in das Handeln der Polizei: Im Fall von George Floyd fiel gar kein Schuß – ohne die Handy-Videos von Passanten wäre seine Tötung kaum derart bekannt geworden. Studien der Regierung zeigen, daß die Wahrscheinlichkeit einer Gewaltanwendung durch Poliz­isten gegenüber Schwarzen insgesamt deutlich höher ist.

Härtere Strafen

Afroamerikaner werden auch häufiger von der Polizei kontrolliert als Weiße. Wenn es später zu einer Verurteilung kommt, erhalten Schwarze für das gleiche Verbrechen fast 20 Prozent längere Haftstrafen als Weiße, wie ein Bericht der Regierung für den Zeitraum 2011 bis 2016 feststellte. Afroamerikaner machen laut Angaben der Bürgerrechtsorganisation NAACP rund 34 Prozent aller rund 2,2 Millionen Gefängnisinsassen aus. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil werden demnach fünf Mal mehr Afroamerikaner als Weiße inhaftiert.

Anders ausgedrückt: jeder dritte 2001 geborene afroamerikanische Mann wird stati­stisch gesehen in seiner Lebenszeit einmal im Gefängnis landen, aber nur jeder 17. weiße männliche USA-Bürger, erklärt die Bürgerrechtsgruppe Sentencing Project. »Afroamerikaner werden mit einer größeren Wahrscheinlichkeit als weiße Amerikaner festgenommen, nach der Festnahme werden sie mit größerer Wahrscheinlichkeit für schuldig befunden (...) und es droht ihnen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein hartes Strafmaß«, erklärt die Gruppe.

Arbeitslosigkeit und Einkommen

Die Arbeitslosenquote für Afroamerikaner ist in den USA deutlich höher als jene für Weiße. Im Mai lag die Quote für Schwarze bei 16,8 Prozent, die für Weiße bei 12,4 Prozent. Zudem zeigen Studien, daß Schwarzen für vergleichbare Arbeit im Schnitt nur drei Viertel dessen bezahlt wird, was Weiße verdienen. Jeder fünfte Schwarze in den USA lebt unter der Armutsgrenze von rund 26.000 US-Dollar für eine vierköpfige Familie, erklärt das Institut für Wirtschaftspolitik (EPI).

Das Vermögen einer durchschnittlichen weißen Familie ist um bis zu zehn Mal größer als das einer schwarzen Familie. Das liegt auch daran, daß weiße Familien seit Generationen Eigentum anhäufen und weitervererben können. In absoluten Zahlen drückt es die USA-Notenbank Federal Reserve (Fed) so aus: Weiße in den USA kontrollierten Ende 2019 ein Vermögen von gut 95 Billionen Dollar, Schwarze knapp 5 Billionen Dollar. Der unterschiedliche Wohlstand zeigt sich auch in der Frage des Eigenheims, was in den USA die Norm ist. Heute sind laut amtlichen Daten von Ende April knapp 74 Prozent der Weißen in den USA Eigentümer ihrer Bleibe, aber nur 44 Prozent der Schwarzen.

Bildung und Gesundheit

Im Alter von 25 Jahren haben 15 Prozent der Schwarzen und nur 8 Prozent der Weißen keinen Gymnasial-Abschluß. Insgesamt haben laut Daten des Bildungsministeriums in dem Alter 35 Prozent der Weißen einen Universitätsabschluß, aber nur 21 Prozent der Schwarzen. Afroamerikaner sind zudem in Führungspositionen großer Unternehmen deutlich unterrepräsentiert. Unter den »Fortune-500«-Firmen finden sich nur vier schwarze Vorstandsvorsitzende. Ähnlich ist es in der Politik: In Präsident Donald Trumps Kabinett gibt es nur einen Afroamerikaner, Wohnungsbauminister Ben Carson. Beim Militär sind laut »New York Times« rund 40 Prozent der Soldaten Afroamerikaner, aber nur zwei von 41 Top-Generälen sind schwarz.

Die Gesundheitsversorgung für Afroamerikaner ist im Schnitt schlechter als jene für Weiße. Das liegt an einem Bündel an Faktoren wie unterschiedlichem Bildungsniveau, Wohlstand, fehlendem Vertrauen in weiße Ärzte – aber auch Diskriminierung. Eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigte, daß Schwarze, die über Schmerzen klagen, weniger Hilfe bekommen. Der Grund sei, daß viele weiße Laien, Medizinstudenten und junge Ärzte »fälschlicherweise an biologische Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen glaubten«. Diese Wahrnehmung führe dann zu unzureichender Behandlung, hieß es. Nur 4 Prozent der Ärzte sind schwarzer Hautfarbe, obwohl 13 Prozent der Bevölkerung in den USA schwarz sind.

Lebenserwartung und Krankenversicherung

Die Lebenserwartung Weißer lag 2017 laut Angaben der Gesundheitsbehörde CDC bei 78,5 Jahren, die Schwarzer bei 74,9 Jahren. In den USA sterben pro 100.000 Geburten 13 weiße Mütter, aber laut CDC-Daten mehr als drei mal so viele schwarze Frauen: 41 Todesfälle pro 100.000 Geburten. In der weißen Bevölkerung leiden schätzungsweise 11,9 Prozent an Diabetes, bei den Schwarzen sind 16,4 Prozent zuckerkrank. Ähnlich verhält es sich laut CDC auch bei den Risikofaktoren Bluthochdruck und Fettleibigkeit.

In den USA gibt es keine allgemeine staatliche Krankenversicherung. 2018 hatten rund 28 Millionen Menschen gar keine Versicherung. Das traf für 5,4 Prozent der weißen US-Amerikaner zu. Unter Schwarzen waren es 9,7 Prozent. Auch vom Coronavirus sind Schwarze besonders betroffen. Schätzungen gehen davon aus, daß bislang ein Viertel aller Corona-Todesfälle Schwarze waren. In der Hauptstadt Washington zum Beispiel waren sogar drei Viertel aller 500 Corona-Toten Afroamerikaner. Das CDC erklärt, die Sterblichkeitsrate Schwarzer pro 100.000 Einwohner sei doppelt so hoch wie jene der weißen Bevölkerung. Verantwortlich seien oft »wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen«, erklärt die Behörde.

dpa