Leitartikel02. April 2024

Der Wahrheit verpflichtet

von Uli Brockmeyer

»Don’t kill the messenger«, forderten Teilnehmer am Luxemburger Ostermarsch am Samstag vor dem Gebäude der Abgeordnetenkammer. Gemeint ist Julian Assange, investigativer Journalist, Gründer der Internetplattform Wikileaks, auf der unter anderem Dokumente und Videoaufnahmen von Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und im Irak veröffentlicht wurden. Auf solchen Aufnahmen aus einem US-amerikanischen Kampfhelikopter war zum Beispiel zu sehen, wie die Piloten Jagd auf unbewaffnete Zivilisten machten und es war zu hören, wie sie sich darüber lustig machten, daß die Menschen sich vor dem Angriff zu schützen versuchten.

Was Julian Assange aufdeckte, sind Zeugnisse von Kriegsverbrechen der USA. Es handelt sich lediglich um einige wenige Beispiele, denn die Liste der Verbrechen, die von USA-Soldaten und ihren Verbündeten in den vielen Kriegen seit 1945 begangen wurden, ist sehr lang. Es gibt nur sehr wenige Beispiele dafür, daß Soldaten und Offiziere für diese Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen wurden – und kein einziges Beispiel dafür, daß sich ein Präsident der USA vor einem Gericht für die Verbrechen verantworten mußte, die auf seinen Befehl verübt wurden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es keinen einzigen USA-Präsidenten, der nicht für einen völkerrechtswidrigen Krieg verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich wäre.

Doch nach dem Willen der heutigen westlichen Politiker, die sich »unseren Werten« und einer »regelbasierten Ordnung« verschrieben haben, gibt es auf der Seite des »Werte-Westens« keine Kriegsverbrechen, sondern grundsätzlich nur auf der Seite des jeweiligen Gegners. Daher ist es auch kein Wunder, daß keine einzige Regierung eines NATO-Landes sich der Klage der Republik Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof gegen den Staat Israel angeschlossen hat. Zuweilen läuft man sogar Gefahr, sich strafbar zu machen, wenn man Israels Völkermord gegen das Volk der Palästinenser offen als Völkermord bezeichnet.

Nicht einmal nach dem Blutbad, das Israels Aggressionstruppen im Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza vor den Augen der Welt angerichtet haben, angesichts der gezielten Tötungen tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner in Gaza, im Westjordanland, in Syrien und im Libanon kommt keiner der »Werte-Politiker« auf den Gedanken, die Mörder zumindest mit Worten deutlich zu benennen. Der Angriff auf ein Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus wird weitgehend kritiklos hingenommen. Das ist leider verständlich, denn die NATO-Truppen haben vor 25 Jahren in Belgrad nichts anderes getan, als sie die Botschaft der Volksrepublik China in Belgrad aus der Luft angriffen.

Sowohl im Nahen Osten als auch in der Ukraine setzt der »Westen« offenbar auf Eskalation. Im Nahen Osten will Israel mit offener Billigung aus Washington den Iran, Syrien und den Libanon in den Krieg hineinziehen – und die USA und andere NATO-Länder liefern dazu die Waffen, einschließlich völkerrechtlich geächteter Munition. Und auch an die Ukraine will man angesichts des nicht zu gewinnenden Krieges weiter Waffen und Munition liefern, und auch Raketen, die wichtige Ziele in Rußland treffen können.

Julian Assange soll in den USA vor Gericht, weil er half, Kriegsverbrechen aufzudecken. Sein »Verbrechen« besteht jedoch lediglich darin, sich der Wahrheit verpflichtet zu haben.