Abschied von der Namensgeberin der »Nelkenrevolution«
Vor 50 Jahren verteilte Celeste Caeiro Blumen an aufständische Soldaten
Celeste Caeiro war in ganz Portugal bekannt und geschätzt, aber erstmals offiziell geehrt wurde sie im vergangenen Mai durch die Verleihung der Ehrenmedaille der Hauptstadt Lissabon. Mitte November ist sie in einem Krankenhaus des Hauptstadt-Vororts Lairia im Alter von 91 Jahren an einem Lungenleiden gestorben.
In die Geschichte Portugals ging Celeste Caeiro durch eine spontane, aber von Herzen kommende Geste ein. Am 25. April 1974 wollte der Besitzer des Restaurants, in dem Celeste seinerzeit als Putzfrau gearbeitet hat, aus Anlaß des einjährigen Bestehens seines Etablissements Blumen an die Gäste verschenken. Doch das »Sir« in der Braamcamp-Straße im zentral gelegen Viertel Principe Real blieb an diesem Tag geschlossen, denn in der Stadt brodelte es, und weil mit einer Ausgangsperre gerechnet wurde, kamen keine Gäste. Darum schickte der Restaurantbesitzer seine Mitarbeiter nach Hause. Dabei gab er allen einen Arm voll von den Nelken mit, von denen er mehrere Hundert eingekauft hatte und die nicht nutzlos verwelken sollten.
Auf ihrem Weg nach Hause in dem am Ufer des Tejo gelegenen Arbeiterviertel Chiado kam Celeste an Militärkolonnen vorbei, die entlang der wichtigsten Straßen der Stadt Aufstellung genommen hatten. Sie sprach einige der jungen Offiziere an und wollte wissen, was hier vor sich ging.
Die Militärs erklärten ihr, daß sie das Regime des seit 1932 regierenden und 1970 verstorbenen Diktators Antonio de Oliveira Salazar und seines seit 1968 amtierenden Nachfolgers Marcello Caetano stürzen wollten. Nach mehr als 40 Jahren Gewaltherrschaft müsse Portugal endlich ein demokratischer Staat werden. Dabei gehe es ihnen auch darum, den seit 13 Jahren in Afrika tobenden Krieg, mit dem die Kolonialmacht Portugal die längst überfällige Unabhängigkeit ihrer Kolonien Angola, Moçambique und Guinea-Bissau hinausschieben wollte, endlich zu beenden.
Das leuchtete Celeste Caeiro ein, die in Armut aufgewachsen war, und es entsprach ihrem Empfinden, so wie dem vieler Portugiesen. Sie wollte den jungen Offizieren und Soldaten ihre Solidarität zeigen und so kam sie auf die Idee, von den Nelken, die sie im Arm mit sich trug, jedem der Militärs eine zu schenken. Diese steckten ihre Blume in den Lauf des Gewehrs, gewissermaßen als eine Geste des Willens zum Frieden.
Andere Menschen am Straßenrand und auch Blumenhändler griffen Celestes Idee auf und steckten den Soldaten Nelken in den Gewehrlauf. Bilder davon kamen in die Medien und gingen um die Welt, so daß die Ereignisse in Portugal bald als »Nelkenrevolution« bezeichnet wurden und mit diesem Namen in die Geschichte eingingen.
Der vorwiegend von jungen Hauptleuten und Militärs der unteren Dienstgrade angeführte Staatsstreich – die höheren Dienstränge hatten sich aus Angst um ihre Karriere zurückgehalten – war erfolgreich. 1976 fanden erstmals seit Jahrzehnten wieder freie Wahlen statt, Portugal gab sich eine neue, nach bürgerlich-demokratischen Maßstäben fortschrittliche Verfassung, die afrikanischen Kolonien wurden in die Unabhängigkeit entlassen.
Celeste Caeiro lebte ihr bescheidenes, arbeitsames Leben weiter und zog als alleinstehende Mutter ihre Tochter groß. Von 1974 bis zu ihrem Lebensende war sie Mitglied der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP), wo sie bei den Genossen eine große Familie fand. Mit ihren Erinnerungen trat sie als Zeitzeugin vor vielen Schulklassen auf. Anfang September war sie gefragter und gefeierter Ehrengast beim Festival der PCP-Zeitung »Avante!«.
Im Alter bekam Celeste nur eine ganz kleine Rente. 1988 vernichtete ein Feuer ihre Wohnung und all ihren bescheidenen Besitz. Um ihrer fortschreitenden Schwerhörigkeit entgegenzuwirken, hat vor einigen Jahren ihre Enkelin im Internet eine Sammlung organisiert, die genug Spenden einbrachte, um für Celeste neue Hörgeräte anzuschaffen.
Im vergangenen April war Celeste Caeiro – im Rollstuhl – Ehrengast des offiziellen Festakts aus Anlaß des 50-jährigen Jubiläums der »Nelkenrevolution«. Laut der Meinung der meisten Teilnehmer war ihr Auftreten ein sehr bewegender Höhepunkt der Zeremonie.
Am 15. November erklärte die Portugiesische Kommunistische Partei in einem Kommuniqué, daß Celeste Caeiro eine »fleißige, bescheidene und selbstlose Frau und Genossin mit starken Überzeugungen war.
Am selben Tag kündigte Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa, der der Sozialdemokratischen Partei angehört, die Korrektur eines langjährigen und ungerechten Versäumnisses durch die posthume Ehrung von Celeste Caeiro mit einer hohen staatlichen Auszeichnung an.
Ralf Klingsieck, Paris,
früherer Korrespondent in Lissabon