Ausland02. Juni 2017

Militärs übernehmen das Kommando

Im Süden der Philippinen dauern Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Milizen an. Präsident Duterte droht Linken mit Festnahme

Unübersichtlich, widersprüchlich, vage, islamophob, antikommunistisch, martialisch drohend – so läßt sich die anhaltende Lage in der südphilippinischen Stadt Marawi beschreiben, in der sich seit dem 23. Mai Regierungstruppen (AFP) und Milizen der dem »Islamischen Staat« (IS) durch Treueide verbundenen Abu Sayyaf- und Maute-Gruppe erbitterte Gefechte liefern. Bereits mehr als 140 Todesopfer forderten die Kampfhandlungen bislang. Aus der einst 200.000 Einwohner zählenden City sind Tausende Familien auf der Flucht, Nahrungs- und Arzneimittel werden knapp. Ganze Straßenzüge stehen in Flammen, nachdem die philippinische Luftwaffe mehrfach Stellungen der Rebellen unter Beschuß nahm. Am Donnerstag wurde gemeldet, daß durch »friendly fire« 11 Soldaten getötet und sieben verletzt wurden. Laut Augenzeugen sind die Schäden beträchtlich, ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht.

Als Präsident Rodrigo R. Duterte am Abend des 23. Mai während einer Rußlandreise in Moskau mit seiner Unterschrift unter die Proklamation 216 für die Dauer von 60 Tagen über den gesamten Süden des Landes das Kriegsrecht verhängte, begründete er diesen Schritt mit der Notwendigkeit, dem wachsenden Einfluß des »Islamischen Staates« endgültig einen Riegel vorzuschieben. Notfalls, so der Präsident, werde er das Kriegsrecht auf das ganze Land ausweiten, da der »IS« auch auf den mittleren und nördlichen Inseln präsent sei.

Noch bevor Duterte seinen Rußlandaufenthalt kurzerhand abbrach, um nach Manila zurückzukehren, hatten die Spitzen der AFP verkündet, die Lage (in Marawi) sei unter Kontrolle. Auch verfügten sie über keine gesicherten Erkenntnisse über eine Liaison zwischen der Maute-Gruppe (gegründet von den beiden Brüdern Abdullah und Omarkhayam Maute) und dem »IS«. Außerdem soll Armeeminister Delfin Lorenzana anfänglich gegen die Verhängung des Kriegsrechts gewesen sein. Duterte hatte außerdem erklärt, die Rebellen hätten Schulen niedergebrannt, Krankenhäuser unter ihre Kontrolle gebracht und einen Polizeichef enthauptet. Allesamt Falschmeldungen, wie Recherchen philippinischer Tageszeitungen und der Nachrichtenagentur Agence France Presse ergaben. Die philippinische Presseagentur PNA veröffentlichte Archivbilder aus dem Vietnamkrieg, um die Dramatik der Ereignisse zu unterstreichen.

Verfassungsgemäß legte Duterte dem Kongreß kurz vor Ablauf einer 48-Stunden-Frist die Begründung seiner drastischen Maßnahme vor, was seitdem in Manila parlamentarisch wie außerparlamentarisch die Gemüter erhitzt. Eigentlich hätte es bereits eine gemeinsame Sitzung von Kongreß und Senat geben müssen, um nach ausführlicher Prüfung und Debatten über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Proklamation 216 zu entscheiden. Stattdessen nickten der Kongreß, in dem das Duterte-Lager eine überwältigende Mehrheit hat, sowie 15 Senatoren der 24-köpfigen Kammer die Proklamation einfach ab. Am vergangenen Wochenende hatte Duterte erklärt, ohnehin nur auf Stimmen der Streitkräfte zu hören, was die Dauer und mögliche landesweite Ausdehnung des Kriegsrechts betrifft. Ein gezielter Affront gegen Kongreß, Senat, Obersten Gerichtshof und die Verfassung.

»Wozu Kriegsrecht? Um Leute zu töten? Ich bin doch nicht dumm«, hatte der Präsident Ende November 2016 in seiner Heimatstadt Davao, der größten City auf der südlichen Hauptinsel Mindanao, ausgerufen. Und emphatisch hinzugefügt: »Wir hatten schon mal Kriegsrecht (von 1972 bis 1981 unter Präsident Ferdinand E. Marcos – RW). Hat das unser Leben verbessert? Nein, bis heute gab’s da keine Verbesserung. Ich erlaube keine Unterdrückung in diesem Land. Und ich werde das auch niemals gestatten.« Mehrere Tageszeitungen nutzten das Zitat als Aufmacher ihrer Ausgaben vom 1. Dezember.

Ein »Kollateralschaden« des Kriegsrechts ist das jähe Ende der Friedensgespräche mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP). Nachdem die vorgesehene fünfte Gesprächsrunde am vergangenen Wochenende im holländischen Seebad Nordwijk aan Zee platzte, erklärte Duterte am Mittwoch in Davao wörtlich: »Wenn Mitglieder des NDFP-Verhandlungsteams in die Philippinen zurückkehren, werde ich sie festnehmen lassen. Sie werden hinter Gittern landen, wo sie auch sterben können.« Inzwischen erwägen 14 Mitglieder des NDFP-Verhandlungsteams, in den Niederlanden um politisches Asyl nachzusuchen.

Mit dem Kriegsrecht will der verschlagene Duterte ausloten, wie groß sein Manövrierspielraum ist. Gleichzeitig bedeutet es eine markante Aufwertung der knallhart pro-US-amerikanischen, strikt antikommunistischen AFP-Spitze um Generalstabschef Eduardo Año. Der ist jetzt Kriegsrechtsverwalter und übernimmt danach das Innenressort. Seine Kollegen, die Ex-Generäle Roy Cimatu und Danilo Lim, ernannte Duterte Mitte Mai als Ressortchefs für das Umweltministerium beziehungsweise der Metro Manila Entwicklungsbehörde. Bedenkt man, daß der einjährige brutale »Antidrogenkrieg« bereits über 8.000 Opfer forderte, kann einem angst und bange werden, wenn nunmehr eine international besser präsentierbare neue »Front gegen den Terrorismus« eröffnet wird.

Rainer Werning

(Foto: AFP)