Künstlerkollektiv »Richtung 22« im Widerstand
Wir bleiben hier!
Eigentlich hätte das rebellische Künstlerkollektiv »Richtung 22« (R22) seine Räumlichkeiten im Kulturtreffpunkt »Bâtiment4« (B4) am 30. April räumen müssen. Dieser Ort, der der Schaffung von Kulturprojekten gewidmet ist, wird von der gemeindeeigenen frEsch Asbl verwaltet und hat den Nutzungsvertrag mit R22 aufgekündigt.
Schon zu Monatsbeginn hat der Direktor von frEsch deutlich gemacht, dass, falls R22 seine Koffer zum Stichdatum noch nicht gepackt hat, der Verwaltungsrat wohl auf juristische Mittel wird zurückgreifen müssen. Einen Zusammenhang mit dem Streit in Verbindung mit Esch2022 Kulturhauptstadt sieht Direktor Loїc Clairet nicht. Auch gebe es keine Missstände in der Escher Kulturpolitik.
Kulturrebellen
Glaubt man dem Künstlerkollektiv, so steht man hier vor einer politischen Farce. Richtig ist, dass R22 mit politisch engagierten Kulturprojekten (Film, Theater, Musik und zuweilen auch literarisch) so manchen Politiker und Unternehmen den Spiegel vorgehalten haben. Mit Kritik, besonders wenn diese mit Intelligenz und einem ironischen Augenzwinkern ausgedrückt wird, scheint R22 aber auch immer wieder den richtigen Nerv zu treffen.
Der offene Dissens mit dem Kulturschöffen Pim Knaff (DP) ist bekannt. So hatte es R22 gewagt, diesen im Mai 2023 mit einem Banner darauf hinzuweisen, dass das B4 nicht als politische Werbung für eigene Zwecke gedacht sei. Da der Kulturschöffe zugleich auch Vorsitzender der frEsch Asbl ist, war es nicht allzu kompliziert, den Direktor anzuweisen, sich der kulturellen Störenfriede zu entledigen. Dass auch frEsch-Direktor Loїc Clairet in der Kritik steht, dürfte ihm die Entscheidung leicht gemacht haben.
Entpolitisierte Kunst
Was sich allerdings weder der frEsch-Vorsitzende noch sein Direktor vorstellen konnten, ist die Verbissenheit des aus vielen jungen Menschen bestehenden Kunstkollektivs. Neue Räumlichkeiten zu finden, ist schwer, und darüber hinaus sieht sich das Künstlerkollektiv mit der Minettmetropole verbunden. Esch/Alzette hat auch das Glück, auf eine beeindruckende Geschichte in Sachen »politische« Kunst zurückblicken zu können. Das wird einigen wohl zu links gewesen sein. Aktuell scheinen frEsch und die Kulturdezernentin kulturelle Fertigprodukte zu bevorzugen.
In seiner Facebook-Nachricht vom 30. April nimmt R22 offen Stellung zu dem, was war und was sein wird. R22 stellt fest, dass frEsch seit nunmehr einem Jahr nichts unversucht lässt, das Künstlerkollektiv aus dem B4 zu verbannen. Es sei ein Jahr der Lügen, Stress, Druck und Feindseligkeiten gewesen, und nun werde einem auch noch ein Gerichtsprozess angedroht.
R22 fragt auch nach den Motiven der Mitglieder vom Verwaltungsrat. Ausgesprochen wird auch, dass die offiziellen Gründe des Rausschmisses im Verwaltungsrat kaum diskutiert und erst recht nicht hinterfragt wurden. Ganz allgemein wird festgestellt, dass sich die meisten Mitglieder des Verwaltungsrates bis heute nicht auf ein Gespräch mit dem Künstlerkollektiv eingelassen haben. Diese hätten sich auch nie ein eigenes Bild der Lage vor Ort gemacht. Sie kennen also weder das Kollektiv an sich noch die aktuellen Projekte der jungen Truppe.
»Werden wir also demnächst im Gerichtssaal gegenüber dem Direktor der Kulturfabrik (KuFa), der Direktorin des Escher Theater oder der CUEVA-Gründerin sitzen?« fragen sich die Kulturaktivisten. Man würde auch gerne wissen, warum sich diese Kulturschaffenden in eine Situation bringen lassen, wo sie gegen junge Künstler Position ergreifen müssen.
Antifa-Kultur
R22 holt weiter aus und weist darauf hin, dass es keinem entgangen sein kann, dass rechte und faschistische Kräfte in der EU auch der kulturellen Vielfalt zu Leibe rücken wollen. Dass ausgerechnet die DP ein offen antifaschistisches Künstlerkollektiv bekämpft, versteht R22 nicht.
»Dass man Kunst, die eine Meinung vertritt, belächeln, kritisieren und hassen kann, ist normal«, so R22. Wenn aber die Gemeinde eine Kulturpolitik vertritt, die linke Meinungen in der Kunst aktiv zensiert, stehen auch die Grundrechte vor Gericht.
Ganz krass sieht man bei R22, wie unbelastet der frEsch-Direktor in den Medien Lügen verbreitet und wohl auch dem Verwaltungsrat nicht immer redlich gegenüber steht. Dass R22 aufzeigen konnte, wie Teile des umstrittenen Francofolies-Budgets in das Milieu Loïc Clairets in Lille flossen, wird noch Gegenstand der nächsten Gemeinderatssitzung sein. Gesichert ist bisweilen, dass R22 sich nicht wird einschüchtern oder verjagen lassen…