Was der Statec weiß und was nicht:
Von einer Krise zur nächsten
Keine Pressekonferenz kann hierzulande beginnen, bevor nicht festgestellt ist, die Probleme, die in der Folge besprochen werden, würden vom »Aggressionskrieg in der Ukraine« verursacht. Diesmal hat der laut Serge Allegrezza »die Preise explodieren lassen«, was natürlich so nicht stimmt, denn das ist die Folge der antirussischen Sanktionsbeschlüsse aus Washington, denen die EU-Kommission in Brüssel und die Regierungen in den Mitglieds-Hauptstädten begeistert folgten.
Ihre Begeisterung wird verständlich, wenn wir sehen, daß die oberen Einkommensbeziehern von der hier verursachten Inflation weniger betroffen sind als die unteren. Bei einer Durchschnitts-Inflation im Juni hierzulande von 7,4 Prozent waren es effektiv nur 6,1% für die oberen 20%, zu denen alle amtierenden Politiker gehören, aber 8,5% für die unteren 20%.
Das Statistikamt hat für seinen alljährlichen Bericht über Arbeit und sozialen Zusammenhalt, der immer kurz vorm internationalen Tag der Armutsbekämpfung vorgestellt wird (er fällt dieses Jahr auf den 17. Oktober), ein Begleitkomitee erhalten, das Wünsche zum Inhalt äußert.
Kinder kosten
Da war zunächst die Frage zum Aufstellen von Referenzbudgets, die Kinder unterschiedlichen Alters für ein dezentes Leben hierzulande brauchen, um dezent leben zu können, wobei das dann in Vergleich zu setzen ist mit Kindergeld, Schulanfangsgeld und Geburtsprämie. Es wurden die Kosten für Ernährung, Bekleidung, Hygiene, Gesundheit, Wohnen und Mobilität berücksichtigt, wobei das für 17-Jährige auch die Kosten für den Führerscheinerwerb beinhaltet, denn den braucht der Mensch im Lande Luxemburg.
Im Ergebnis – die Kosten liegen zwischen 334 Euro im Monat am Anfang und steigen auf 744 Euro für 17-Jährige – wird festgehalten, die Sozialhilfen deckten 100% der Kosten bis zum Alter von 6 Jahren ab, danach bis 14 Jahre noch 75% und ab 15 Jahren nur noch 46%.
Wobei ein Paar mit einem Kind unter 6 Jahren für ein dezentes Leben im Land monatlich 3.608 Euro braucht, ein Paar mit drei Kleinkindern aber schon 5.186 Euro, weil dann die Wohnung und womöglich auch das Auto schon etwas größer sein muß.
Mindestlöhner brauchen Revis-Inklusionszusatz
Die nächste Frage war, wie sich das Referenzbudget unterschiedlicher Haushalte für dezentes Leben zu den Beträgen verhält, die es mit Revis und Sozialhilfen bzw. mit dem Mindestlohn gibt. Herausgekommen ist die Feststellung, daß der Mindestlohn nur dann reicht fürs dezente Leben, wenn zwei Lebenspartner ihn beziehen im selben Haushalt. Der Revis aber reicht schon, wobei er mit Inklusionszusatz höher über dem Mindestbedarf liegt als ohne. Ein Mindestlohnbezieher kommt in etlichen Fällen nur zum nötigen Geld fürs dezente Leben, wenn er nicht nur den Antrag auf alle anderen Beihilfen stellt, sondern auch auf den Revis-Inklusionszusatz (früher bekannt als »complément RMG«, bevor die Dreierkoalition neue Namen erfand).
Da ist es dann bemerkenswert, daß keine genauen Zahlen bekannt sind, wie viele der Anspruchsberechtigten auch tatsächlich den Antrag auf die einzelnen Sozialhilfen stellen. Der Statec-Chef konnte sich nur daran erinnern, für die März-Tripartite habe man sich umgeschaut bei der Teuerungszulage und geschätzt, ein Drittel derjenigen, die sie bekommen könnten, stellten den Antrag nicht. Daß sich daran groß was ändert, wenn bei den Sozialämtern die zusätzlichen Posten besetzt sind, die ihnen mit dem Budget 2023 zugebilligt werden, muß bezweifelt werden. Denn das Problem sind die Menschen, die sich vorm Gang aufs Sozialbüro genieren. Diejenigen, die hinfinden, stellen sicher auch heute schon alle nötigen Anträge. Aber den Politikern, die in anderen Einkommenssphären leben, war es noch nie ein Anliegen, dafür zu sorgen, daß alle auch bekommen, worauf sie einen Anspruch haben.
Armutsgefährdung wächst
Unter dem von der EU festgelegten Schwellenwert von 60 Prozent des Median-Einkommens (also dem, wo die Hälfte drüber und die Hälfte drunterliegt) lagen hierzulande 2019 17,4%, 2020 18,1% und 2021 19,2%.
Wird als Basis die vom Statec ermittelten Referenzbudgets genommen, so lagen 2020 immer noch 17,6% unter diesem Wert. Werden nur jene in Betracht gezogen, die gleichzeitig kein Vermögen und wenig Einkommen haben sowie sich beim Konsum über Gebühr einschränken müssen, blieben 2020 nur 5,6% über, aber 2021 wurden daraus 7,3%. Das ist wohl der Wert, der am sympathischsten rüberkommt bei Politikern. Werden aber vom verfügbaren Einkommen die monatlich fälligen feststehenden Kosten für Miete, Heizung, Strom, Gas, Wasser, Bankkonto, Versicherungen, Kreditraten, Telekommunikations- und Fernseh-Abonnements sowie Kantine-Ausgaben abgezogen, sind mit dem was bleibt gleich 20% armutsgefährdet – und das ist eigentlich als richtiger Wert anzusehen. Das trifft dann zu 55% Alleinerziehende mit mehr als zwei Kinder und zu 48% die 10% der niedrigsten Einkommensbezieher. Leute die am »freien Markt« mieten, sind da mit 42% betroffen.
Die Mehrwertsteuer belastet hierzulande das Bruttoeinkommen mit 3,3% durchschnittlich. Aber bei den 10% der untersten Einkommensbezieher sind das 4,8%, bei den 10% der obersten nur 2,1%. Es ist dies folglich eine asoziale Steuer.
Umgekehrt ist es bei den Sozialhilfen, die bei den unteren 10% 32% des Einkommens ausmachen, bei den oberen nur 3%.