Ausland08. Mai 2024

Massive Aufrüstung in Italien

Meloni-Regierung baut Rüstungskonzern Leonardo zur Kriegführung aus

von Gerhard Feldbauer

Michele Lancione, Professor für politisch-ökonomische Geografie am Polytechnikum in Turin, enthüllt in der linken Zeitung »Il Manifesto« den Ausbau der Rüstungsindustrie zur Kriegführung unter der Meloni-Regierung. Konkret zeigt er auf, wie dabei die Forschungskapazitäten der Universität in den gigantischen Ausbau des Rüstungskonzerns Leonardo für die Militarisierung mißbraucht werden.

»Die Behauptung, daß wir mit militärischen Partnern nur für die zivile Forschung zusammenarbeiten, ist eine Heuchelei«, erklärt der renommierte Wissenschaftler, der dazu im September vergangenen Jahres in dem Buch »Universität und Militarisierung« die immer enger werdenden Beziehungen zwischen der Wissenschaft und der Kriegsindustrie sowie die militärische Nutzung ziviler Forschung an Hand konkreter Objekte detailliert aufgezeigt und zum Widerstand dagegen aufgerufen hatte. Dabei sei es schwierig, erklärt Professor Lancione, den Mißbrauch der zivilen Forschung für militärische Zwecke aufzudecken, und aufzuzeigen, daß eigentlich für einen Flug zum Mars konzipierte Raketen schließlich auf Gaza abgefeuert werden.

Der italienische Luftfahrt-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern Leonardo ist eines der größten Rüstungsunternehmen der Welt, das, gefördert von der Regierung von der faschistischen Premierministerin Giorgia Meloni, in Turin ein neues High-Tech-Zentrum errichtet. Dank der von der Regierung gedeckten Komplizenschaft mit der Universitätsleitung können sogar EU-Gelder des »Nationalen Wiederherstellungs- und Resilienzplans« (PNRR) für Projekte von Leonardo genutzt werden, was der Wissenschaftler eine »mit Blut befleckte Partnerschaft« nennt.

Beginnend bei den Vorgängerregierungen und fortgesetzt von Meloni habe Leonardo aus der Staatskasse von 2016 bis heute umgerechnet 2,135 Milliarden US-Dollar erhalten, schreibt Michele Lancione. Mit diesen Geldern »wird aus Leonardo das, was der Konzern FIAT einst war«, schreibt der Professor mit Hinweis auf den über Jahrzehnte größten privaten italienischen Rüstungskonzern, der vom Sturmgewehr über Panzer, Haubitzen und Munition bis zu Flugzeugen und Schiffsantrieben fast alles produzierte, was für das Führen von Kriegen benötigt wurde. Das Unternehmen Fiat Aviazione, das als Fiat Iveco Defence in Leonardo aufging, war an militärischen und zivilen Raumfahrtprojekten beteiligt, produzierte die ESA-Rakete »Ariane 5«, lieferte Motoren und Hitzeschilde für Satelliten.

John Elkann, FIAT-Erbe und Vorsitzender des Verwaltungsrates, ist gleichzeitig Chef des von der Familienholding der Familie Agnelli kontrollierten niederländischen Rüstungskonzerns Exor. Dabei profitierte FIAT davon, daß das Riesenunternehmen in der Öffentlichkeit vor allem als Auto-Konzern bekannt war und kaum jemand wußte, daß er mit der Produktion von Autos nur einen geringen Teil seiner Milliardenprofite einfuhr.

Italiens Regierungschefin Meloni, die sich oft und gern auf die Traditionen des Mussolini-Faschismus berufen hat, bestätigt damit, daß sie eine Vertreterin der reaktionärsten Kreise des Imperialismus ist, die auf den Krieg setzen – und das nicht nur in der Ukraine, sondern in aller Welt, wie die Entsendung einer Gruppe von Kriegsschiffen mit dem Flaggschiff der italienischen Kriegsmarine, dem Flugzeugträger »Cavour« an der Spitze, in den Pazifik zur Frontstellung gegen China zeigte.

Für diesen Kriegskurs steht auch ihr Kriegsminister Guido Crosetto, der gemeinsam mit ihr Gründer der faschistoiden Partei Brüder Italiens (FdI) ist. Er ist seit 2014 Präsident des Verbandes der italienischen Raumfahrt-, Verteidigungs- und Sicherheitsunternehmen (Federazione Aziende Italiane per l’Aerospazio, la difesa e la sicurezza – AIAD), und seit 2020 Präsident des Rüstungsunternehmens Orizzonte Sistemi Navali, einem Joint Venture zwischen Fincantieri und Leonardo. Melonis Kriegsminister ist ein Lobbyist der Rüstungsindustrie, an deren Spitze der Konzern Leonardo steht, der sich EU-Aufträge, u.a. für den Start eines von der Raumfahrtbehörde ESA geplanten neuen Raumschiffes sicherte. Noch dieses Jahr will Leonardo dafür die zweistufige Trägerrakete »Ariane 6« auf die Startrampe bringen. Im Widerspruch zu den Behauptungen, mit diesem Projekt den Weltraum für eine »grüne Zukunft zu nutzen« und die Raumfahrt »nachhaltiger« zu gestalten, war dazu der italienischen Fachzeitung »Airpress« zu entnehmen, daß es darum ging, einen strategischen EU-Sektor für den globalen Wettlauf ins All zu bilden. Mit der Vergabe der Herstellung der dieser Trägerrakete hat sich Italien bei der Militarisierung im Weltall durch die Europäische Union einen Spitzenplatz gesichert.

Professor Lancione verwies darauf, daß die Verträge der Universitäten mit der Rüstungsproduktion auch die Menschenrechte verletzten und rief dazu auf, »für die Befreiung des akademischen Wissens aus den Militärkomplexen zu kämpfen«, an den Universitäten für einen kritischen Geist einzutreten und zu verhindern, daß die ihnen zugewiesenen Gelder für die Grundlagenforschung für militärische Zwecke entwendet werden.

Zu den genannten Entwicklungen paßt auch die Meldung, daß sich an dem am 4. Mai auf Sardinien begonnenen Großmanöver »Mare Aperto 2024« (»Offene See 2024«), das bis 27. Mai dauert, 65 Wissenschaftler und Studenten von 13 italienischen Universitäten beteiligt sind. Sie kommen aus Bologna, Genua, Triest, Mailand, Neapel, Pisa, Rom, und werden »an Bord unserer Schiffe« an dem Kriegsmanöver beteiligt sein und entsprechend ihren wissenschaftlichen Fachkenntnissen in das Personal an Bord integriert, hieß es in einer Mitteilung der Marine. An »Mare Aperto 2024«, einer von der italienischen Marine koordinierten großen internationalen Übung, sind 9.500 Soldaten aus 22 Nationen beteiligt, von denen 11 der NATO angehören. Über hundert Schiffe, Flugzeuge, U-Boote und Drohnen kommen zum Einsatz. Die US Marines werden zusammen mit den amphibischen Einheiten der San Marco Brigade und mit den Landungstruppen Spaniens und Frankreichs operieren. Die Franzosen werden ihr Flaggschiff, den Flugzeugträger »Charles De Gaulle«, einsetzen. Es handelt sich um die größte internationale Militärübung, die jemals von der italienischen Marine im Mittelmeer koordiniert wurde.