Ausland11. September 2021

Demonstration eigener Außen- und Wirtschaftspolitik

Vietnams Parlamentspräsident bei Konferenz der Interparlamentarischen Union und zu Besuch beim EU-Parlament

von Gerhard Feldbauer

Der Präsident der Nationalversammlung Vietnams, Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV), Vuong Dinh Hue, hat am Donnerstag in Brüssel einen zweitägigen Arbeitsbesuch beim EU-Parlament und in Belgien beendet. Zuvor hatte er am 6. und 7. September in Wien an der fünften Weltkonferenz der Interparlamentarischen Union (IPU) teilgenommen, berichtete die Nachrichtenagentur Vietnam News Agency (VNA).

In den Gesprächen mit EU-Parlamentspräsident David Sassoli, der zu dem Besuch eingeladen hatte, ging es um die umfassende Intensivierung der Wirtschafts- und Handels-Zusammenarbeit zur Umsetzung des 2019 geschlossenen EU Vietnam Free Trade Agreement, (EVFTA), das nach Ratifizierung in Brüssel am 1. August 2020 in Kraft trat. Aktuelle Themen, darunter Covid-19, standen ebenfalls auf der Tagesordnung der Gespräche, die der Gast mit dem Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michele und dem Vorsitzenden der Internationalen Handelskommission Bernd Lange führte. Vuong Dinh Hue hob hervor, daß dazu eine wichtige Voraussetzung das gleichzeitig mit dem EVFTA geschlossene Investitionsschutzabkommen (EVIPA) ist, das bisher aber erst von sechs Mitgliedstaaten der EU ratifiziert worden ist. David Sassoli würdigte die Schritte, die Vietnam zu seiner Umsetzung unternommen hat.

Vietnam ist im Verband der Südostasiatischen Nationen (ASEAN) der größte Handelspartner der EU, stand jedoch 2020 im Gesamtrahmen an 15. Stelle. Seine Hauptausfuhren in die EU sind elektronische Produkte, Schuhe, Textilien, Kaffee, Reis, Meeresfrüchte und Möbel. Hauptexporte der EU nach Vietnam sind Hightech-Produkte, darunter elektrische Maschinen und Ausrüstungen, Flugzeuge, Fahrzeuge und pharmazeutische Erzeugnisse. Mit Direktinvestitionen von 6,1 Milliarden Euro (2019) ist die EU einer der größten ausländischen Investoren in Vietnam. Beide Seiten wollen sowohl das Volumen als auch den Produktrahmen erweitern.

Vuong Ding Hue traf mit der Präsidentin von Belgiens Abgeordnetenkammer Eliane Tillieux und mit Premier Alexander De Croo zu Beratungen über die Vertiefung der bilateralen wirtschaftlichen Kooperation zusammen. Vietnam betrachtet Belgien mit einem bidirektionalen Handelsumsatz von 1,9 Milliarden US-Dollar in den ersten sieben Monaten 2021 als einen der wichtigsten Handelspartner und sechstgrößten Exporteur auf dem Markt in Vietnam. Auch hier drängte der Gast aus Vietnam auf eine baldige Ratifizierung des EVIPA, als Grundlage dafür, daß belgische Unternehmen in Bereichen wie Schifffahrt, Logistik, erneuerbarer Energien, Hightech-Landwirtschaft investieren können.

In Wien hatte der vietnamesische Parlamentspräsident Gespräche mit IPU-Präsident Duarte Pacheco und dem Präsidenten des Österreichischen Nationalrats Wolfgang Sobotka. Der IPU-Präsident würdigte den aktiven Beitrag Vietnams bei der Verwirklichung des »Planes zur Förderung des Friedens, Wohlstands und Schutzes unseres Planeten« (Sustainable Development Goals, SDGs). Vuong Dinh Hue habe versichert, daß Vietnam weiter aktiv an den SDGs mitwirken und dazu entsprechende Gesetze verabschieden werde.

Die Teilnahme an den IPU-Aktivitäten bezeichnete der Gast aus Hanoi als wesentlichen Bestandteil der multilateralen Parlamentsdiplomatie Vietnams, berichtete VNA. Das Land vertrete dabei seine Interessen zu Fragen von globaler Bedeutung, erhalte Zugang zu Erfahrungen anderer Parlamente in der Welt, was zur Verbesserung seiner eigenen Kapazitäten beitrage. Die IPU sollte, wie der vietnamesische Parlamentspräsident in seiner Rede auf der Tagung vorschlug, ihre Rolle in aktuellen internationalen Angelegenheiten stärken und besonders ihre Zusammenarbeit mit der Organisation der Vereinten Nationen vertiefen. Von Brüssel aus flog Vuong Dinh Hue nach Helsinki, wo er einer Einladung der Präsidentin des finnischen Parlaments Anu Vehviläinen folgt.

Vietnams Regierung kann die Reise, die vom Inhalt der Gespräche her weit über den parlamentarischen Rahmen hinausging, als vollen Erfolg verbuchen. Vuong Dinh Hue erwies sich, wie in Brüssel verlautete, als ein kompetenter Partner, der als vorheriger Finanzminister und Vizepremier bei den Verhandlungen über EVFTA und EVIPA die Feder geführt und dazu wichtige Standards in Vietnam realisiert hatte. Der Besuch gab Vietnam Gelegenheit, falsche Einschätzungen auszuräumen, wie sie nach dem jüngsten Besuch der USA-Vizepräsidenten Kamala Harris in Hanoi aufgekommen waren, nach dem behauptet wurde, daß die USA bevorzugter Partner Vietnams seien, und seine vielseitige und unabhängige Außen- wie Wirtschaftspolitik zu demonstrieren.