Ausland26. November 2021

Schwarzer Freitag für Amazon

Der Onlinehändler hat nicht nur ein Imageproblem

von Katja Schnitter

Schon seit Wochen werben Handelsunternehmen für den »Black Friday« am 26. November. Rund um diesen aus den USA importierten Tag versuchen unzählige Konzerne, Kundinnen und Kunden für ihre Produkte zu gewinnen. Letztlich geben sie damit zugleich das Startsignal für das Weihnachtsgeschäft. Ganz vorne dabei ist natürlich wieder einmal Amazon, das mit 40 Prozent Preisnachlaß auf »Frühe Black-Friday-Angebote« lockt. Der Versandhandelsgigant dominiert inzwischen weite Teile der Branche – 2020 machte Amazon allein in Deutschland fast 13,9 Milliarden Euro Umsatz und damit mehr als die neun nächstgroßen Onlinehändler zusammen.

Doch das Image von Amazon bröckelt. Nicht umsonst sieht sich der Konzern gezwungen, viele Millionen Euro in Werbespots zu stecken, in denen angebliche oder tatsächliche Beschäftigte von der tollen Arbeit dort schwärmen. Denn neben Negativschlagzeilen über umweltschädliche Praktiken oder Betrügereien auf den Amazon-»Marktplätzen« wird das Image des Konzerns nach wie vor durch die inzwischen länger als acht Jahre dauernde Tarifauseinandersetzung mit der Gewerkschaft ver.di angekratzt. ver.di fordert nach wie vor die Übernahme der Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels sowie den Abschluß eines Tarifvertrags »Gute und Gesunde Arbeit«.

Es ist sicherlich keine gewagte Prognose, wenn wir davon ausgehen, daß es auch in diesem Jahr um »Black Friday« wieder zu Streiks in den Versandzentren des Konzerns kommen wird. ver.di ist es gelungen, in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche und stabile Bewegung der Beschäftigten zu entwickeln und den Druck auch über die Pandemie hinweg aufrechtzuerhalten. Zuletzt wurden Anfang November unter der Losung »An Allerheiligen gegen die Scheinheiligen« Standorte bestreikt, die nicht ohnehin wegen des in einigen Bundesländern und europäischen Nachbarstaaten geltenden Feiertages geschlossen waren.

Zwar gelingt es ver.di bisher nur, einen Bruchteil der vielen Amazon-Standorte in den Arbeitskampf einzubeziehen, doch die von Konzernsprechern monoton wiederholten Behauptungen, daß die Ausstände keine Folgen hätten, sind wenig glaubwürdig. Kunden berichten von verzögerten Lieferungen oder auch, daß ihre Pakete aus anderen Ländern – teilweise sogar aus den USA – gekommen seien. Und Amazon sieht sich gezwungen, mit zahlreichen Fernsehspots auf die angeblich so wunderbaren Arbeitsbedingungen im Konzern hinzuweisen.

Nach mehr als acht Jahren Arbeitskampf wird in den Medien aber auch kritisch gefragt, was die Gewerkschaft bisher erreicht habe. ver.di verweist darauf, daß der Konzern seit Beginn der Auseinandersetzung regelmäßig die Löhne erhöhen mußte, zuletzt im vergangenen Sommer. Zudem arbeiten an den meisten Standorten inzwischen Betriebsräte, die ebenfalls gegen Rechtsverstöße des Konzerns vorgehen können. Trotzdem bleibt die Forderung nach den Tarifverträgen aktuell, denn abgesehen vom Stundenlohn kommen die Beschäftigten des Konzerns weiter schlecht weg, etwa beim Weihnachtsgeld oder der Zahl der Urlaubstage.

Im vergangenen Jahr hatte sich aus Anlaß des »Black Friday« eine breite internationale Koalition aus Gewerkschaften und anderen Verbänden gebildet, die unter der Losung »Make Amazon Pay« (Laßt Amazon bezahlen) nicht nur höhere Löhne für die Beschäftigten forderten, sondern auch die Steuervermeidungsstrategien des Konzerns und die von ihm verursachten Kosten für die Umwelt anprangerten. Beteiligt waren daran linkssozialdemokratische Gruppierungen wie die »Progressive Internationale« um den US-Politiker Bernie Sanders und den früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, lokale Initiativen wie »Berlin vs. Amazon«, aber auch Greenpeace und Oxfam.

Die Stärke der Beschäftigten ist aber eher ihre eigene grenzübergreifende Vernetzung und die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften. So sandten deutsche Amazon-Beschäftigte Anfang Oktober Grüße an ihre Kolleginnen und Kollegen in Kanada, die dort um gewerkschaftliche Organisierung kämpfen. Wenige Wochen später meldete »Stern Online«, daß Amazon-Beschäftigte in New York den ersten formalen Schritt zur Bildung einer Gewerkschaft im dortigen Versandzentrum gemacht haben. Ihre Amazon Labor Union (ALU) habe bei der für Arbeitsrechte zuständigen Behörde in Brooklyn mehr als 2.000 Unterschriften für eine Abstimmung eingereicht und damit das notwendige Quorum erreicht. Die US-amerikanischen Gewerkschaften machen damit auch deutlich, daß sie sich durch die Niederlage bei der gescheiterten Abstimmung in Bessemer, Alabama, nicht von ihrem Kurs abbringen lassen wollen.

Gewerkschaften erfüllen in Nordamerika nicht nur eine Funktion als Interessenorganisation. Bevor eine Gewerkschaft in einem Unternehmen aktiv werden kann, müssen die Beschäftigten jedoch darüber abstimmen, ob sie dies wollen. Insbesondere Amazon versucht, mit allen legalen und illegalen Tricks die Bildung von Gewerkschaften zu verhindern. So ließ der Konzern in Bessemer sogar die Ampeln der Autos schneller auf grün schalten, damit Gewerkschafter nicht die Standphasen der Fahrzeuge nutzen konnten, um mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Im November wurde bekannt, daß Amazon seine Arbeiter in den USA zur Teilnahme an Belegschaftsversammlungen verpflichtet, bei denen gegen die Gewerkschaften agitiert wird – den Vertretern der Arbeiterorganisationen wird der Zugang natürlich verweigert.

Schon im vergangenen März haben in Italien zehntausende Amazon-Beschäftigte für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt. Dem Streikaufruf der Gewerkschaften CGIL, CISL und Uiltrasporti folgten rund 40.000 Menschen, die Beteiligung lag nach Angaben der Gewerkschaften landesweit bei rund 75 Prozent und umfaßte die gesamte Lieferkette des Konzerns – von den Versandzentren bis zu den Fahrern, die die Pakete bis an die Haustür bringen. Durch den Streik konnten die Gewerkschaften die Wahl von Vertrauensleuten in den Amazon-Zentren durchsetzen. Vor dem Hintergrund dieses Erfolgs wollen die italienischen Gewerkschaften nun auch den Kampf um einen Lohn- und Gehalts-Tarifvertrag aufnehmen.

Der Klassenkampf bei Amazon wird international geführt und braucht einen langen Atem. Die Beschäftigten haben Solidarität verdient.