Kultur25. Juni 2024

Kunst auf Diplomatisch

Die UNO-Sammlung zeigt sich der Öffentlichkeit. Eine Pistole, die an John Lennon erinnert

von Christina Horsten, New York (dpa)

Werke von Künstlern wie Marc Chagall oder Henry Moore finden sich in den berühmtesten Museen der Welt – und im New Yorker Hauptsitz der Organisation der Vereinten Nationen. Durch die Sammlung gibt es jetzt Touren.

Wie alles bei der UNO, muß auch die Auswahl der Kunstwerke am Hauptsitz in New York diplomatisch, mit Mehrheitsabstimmungen und einem strengen Protokoll folgend ablaufen. »Jedes Mal, wenn ein Mitgliedsland ein neues Kunstwerk anbietet, muß eine Kommission darüber entscheiden – denn es gibt hier auch einfach keinen Platz mehr«, sagt Silmara Roman. Die Brasilianerin führt seit rund zwei Jahren Besucherinnen und Besucher durch den Hauptsitz der UNO in New York – seit Kurzem auch bei neu ins Programm aufgenommenen Touren, die sich auf die rund 300 Stücke umfassende Kunstsammlung der UNO konzentrieren.

Unter anderem aus Deutschland und verschiedenen Teilen der USA stammen die etwa ein Dutzend Gäste an einem Donnerstag, als Silmara Roman sie zunächst zu dem wohl bekanntesten Kunstwerk der Sammlung führt: »Non-Violence«, eine Bronze-Skulptur in Form einer Pistole mit Knoten im Lauf, die der schwedische Künstler Carl Fredrik Reuterswärd nach dem Mord an dem mit ihm befreundeten Beatles-Sänger John Lennon 1980 anfertigte. 1988 erwarb das Mitgliedsland Luxemburg die Skulptur und schenkte sie der UNO. Heute steht sie vor einem der Eingänge zur Generalversammlung, und täglich fotografieren sich unzählige Menschen davor.

Der 1951 fertiggestellte Gebäudekomplex im Osten Manhattans direkt am East River, der der Organisation der Vereinten Nationen als Hauptsitz dient, besteht aus dem Generalversammlungsgebäude, dem Sekretariatshochhaus und einer 1961 dazugekommen Bibliothek, drumherum sind Parkanlagen. Entworfen wurde die Anlage von rund einem Dutzend Architekten gemeinsam, unter der Leitung von Le Corbusier und Oscar Niemeyer. Der Komplex ist aus Sicherheitsgründen abgeriegelt und bewacht, hinein kommt praktisch nur, wer hier arbeitet, oder sich als Besucher vorab für eine Tour angemeldet hat.

Die UNO-Kunstsammlung sei nach Eröffnung der Anlage in den 50er Jahren begründet worden, sagt Tourführerin Silmara Roman. Der Schwede Dag Hammarskjöld, ab 1953 zweiter Generalsekretär der UNO, habe die Mitgliedsländer um Kunst gebeten – idealerweise um Werke, die mit den Idealen, Werten und Zielen der UNO zu tun haben – um die Inneneinrichtung der Gebäude schöner machen zu können. Mitgliedsländer, aber auch Stiftungen und Einzelpersonen zeigen sich seitdem immer wieder spendabel. Inzwischen sind wertvolle Werke von berühmten Künstlern wie Henry Moore, Barbara Hepworth, Marc Chagall oder Fernand Léger in den Räumen der Anlage zu sehen.

Dag Hammarskjöld starb 1961 bei einem Flugzeugabsturz im Kongo, dessen Umstände bis heute untersucht werden. An ihn erinnert heute – neben zahlreichen Porträts in den Reihen der anderen Generalsekretäre der UNO-Geschichte – unter anderem ein kleiner, von Schweden gespendeter Meditationsraum, der versteckt in einer Ecke neben dem Generalversammlungssaal liegt. Das Holz für die Bänke darin stammt aus der schwedischen Provinz Jönköping, wo Dag Hammarskjöld geboren wurde.

Die Tour zieht weiter durch den Komplex des Sicherheitsrats, wo Norwegen die Inneneinrichtung inklusive eines Wandbildes von Künstler Per Krohg sowie Vorhänge und Tapeten aus Seide gespendet hat, in die Generalversammlung. Dort wacht ein von einem anonymen Spender stammendes Wandbild des französischen Künstlers Fernand Léger mit dem Titel »Bugs Bunny« über die sich hier regelmäßig versammelnden Staats- und Regierungschefs der Welt.

128 der 193 UNO-Mitgliedsländer hätten bereits ein Kunstwerk gespendet, heißt es von der zuständigen Kommission. Manche Länder sogar mehrere, darunter Deutschland, das es gleich viermal als Spender in den offiziellen Katalog geschafft hat: 1975 wurde von der Deutschen Demokratischen Republik die Bronze-Skulptur »Der Aufsteigende« von dem in der DDR und darüber hinaus bekannten Künstler Fritz Cremer geschenkt, im selben Jahr von der BRD auch die Skulptur »Der Flötenspieler« von Benno Elkan. 1978 richtete die damalige Bundesrepublik Deutschland einen Ruheraum neben dem Sicherheitsrat ein und 2002 kam ein Stück »Berliner Mauer« hinzu, das nun im Garten der Anlage steht – während Dutzende ähnliche »Mauer«-Geschenke praktisch in alle Welt vergeben wurden.

Längst nicht alle Kunst aber schafft es an die Wände oder auf die Sockel. Rund 60 Werke würden derzeit im Keller gelagert, heißt es von der zuständigen Kommission – weil sie beschädigt seien, ihre Darstellung oder ihr Stil »nicht angemessen« sei, oder weil sich kein Spender zur Abholung finde.

Auch eines der berühmtesten Werke wurde vor wenigen Jahren kurzzeitig abgehängt, kehrte dann aber doch wieder an seinen jahrzehntelangen Stammplatz vor dem Eingang des Sitzungssaales des Sicherheitsrates zurück: ein riesiger Wandteppich nach dem Vorbild des Werkes »Guernica« von Pablo Picasso. Der frühere USA-Vizepräsident Nelson Rockefeller hatte den Wandteppich der UNO ausgeliehen, sein Sohn wollte dann das Werk auf einmal zurückhaben. Nach großem Aufschrei gab er es dann aber – frisch restauriert – doch wieder zurück. Das Originalwerk, auf dem der Wandteppich basiert, von Picasso gemalt, gilt als eines der berühmtesten Mahnmale gegen den Krieg und hängt heute in einem besonderen Raum im Prado in Madrid.

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Skandal um den Wandteppich »Guernica«

Das Originalwerk, auf dem der Wandteppich basiert, von Picasso gemalt nach dem vernichtenden Luftangriff der faschistischen deutschen Luftwaffe auf die baskische Stadt Guernica während des Spanischen Krieges, gilt als eines der berühmtesten Mahnmale gegen den Krieg. Die von Piloten und Mannschaften der faschistischen deutschen Wehrmacht gebildete »Legion Condor« kämpfte im Spanischen Krieg an der Seite des Putschisten Franco gegen die reguläre Armee der Spanischen Republik, die von freiwilligen antifaschistischen Kämpfern aus aller Welt, darunter aus Luxemburg, unterstützt wurden und sich hauptsächlich in den Einheiten der »Internationalen Brigaden für die Freiheit« formiert hatten.

Die »Legion Condor« führte gemeinsam mit Angehörigen der italienischen Luftwaffe am 26. April 1937 massive Luftangriffe auf die baskische Stadt Gernika (spanisch Guernica), diese Angriffe gelten als die ersten gezielten Luftattacken auf eine geschlossene Stadt. Gernika gilt als »heilige Stadt« der Basken. Die Stadt wurde mit Brand- und Sprengbomben fast völlig zerstört, 80 Prozent der Gebäude lagen danach in Schutt und Asche. Deutsche Tiefflieger schossen auf fliehende Menschen.

Der spanische Kommunist Pablo Picasso schuf daraufhin das Gemälde »Guernica«, um an die Gräuel des Krieges zu erinnern. Auf dem Gemälde von Picasso basiert der Wandteppich, der der UNO als Leihgabe übergeben wurde.

Als die Regierungen der USA sich unter allen Präsidenten seit 1945 immer mehr in Angriffskriege in aller Welt verstrickten, wurde der Wandteppich zunehmen zu einem Ärgernis. Deshalb kam es gelegen, als im Jahr 2021 der Sohn des früheren USA-Vizepräsidenten Rockefeller die Leihgabe zurückfordert und das für die USA peinliche Bild zeitweilig aus dem UNO-Hauptsitz verschwand. Später wurde die Rückgabeforderung als »Mißverständnis« dargestellt.

Nachdem am 5. Februar 2003 der damalige USA-Außenminister und frühere Vier-Sterne-General Colin Powell im UNO-Sicherheitsrat seine berüchtigte, auf zahlreichen »Fake news« beruhende Rede hielt, mit der er den Angriffskrieg der USA und einer »Koalition der Willigen« gegen den Irak ankündigte, war der Wandteppich bei der anschließenden Pressekonferenz plötzlich nicht mehr zu sehen. Er war schlicht mit einer blauen UNO-Fahne zugehängt worden. Es sei kein angemessener Hintergrund, wenn Powell vor schreienden Frauen, Kinder und Tieren, die durch Krieg verursachtes Leid zeigen, einen Krieg verkündet, hieß es damals zur Begründung. Der blaue Vorhang hingegen sei »ein angemessener Hintergrund für die Kameras«, sagte ein Sprecher der UNO.

ZLV