Leitartikel18. Juni 2022

Im Angesicht von Krieg und Krise Errungenschaften verteidigen

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Knapp über 20 Euro kostet in Luxemburg der monatliche Mitgliedsbeitrag in einer Gewerkschaft. Es kann also nicht nur am Faktor Geld liegen, daß immer weniger Menschen die Notwendigkeit sehen, gewerkschaftlich organisiert zu sein. Das Verständnis, daß all die erreichten sozialen Errungenschaften und Verbesserungen in den Betrieben von den Generationen vor uns teils hart erkämpft werden mußten und keine Selbstverständlichkeit oder gar patronale Gutherzigkeit darstellen, geht leider immer mehr verloren. Das liegt vor allem an der gezielten Entpolitisierung und Sozialpartnerschaft der vergangenen Jahrzehnte.

Die Tradition, betriebliche Mitbestimmung, Arbeitszeitverkürzung und andere Forderungen mit Druck von der Straße durchzusetzen, ist in vielen Köpfen nicht mehr präsent. Die Gewerkschaft und die sie in den Betrieben vertretenden Betriebsräte stehen dort oft auf verlorenem Posten, weil viele Beschäftigte eine Gewerkschaft nicht mehr als Organisation gemeinsamer Stärke, sondern als Dienstleister und die Betriebsräte als »Mädchen für Alles« verstehen, die sich in ihrem Interesse mit dem Boß herumschlagen, ohne daß sie selbst Farbe bekennen müssen.

Dabei wäre es gerade jetzt, wo viele der angesprochenen Errungenschaften scheibchenweise zurückgenommen werden sollen, an der Zeit, sich zu besinnen, welche Wirkung und welchen Wert die Organisation in einer Gewerkschaft hat. Seine eigenen Ideen mit einzubringen und in der Masse stark zu sein.

Denn die aktuellen Aussichten sind alles andere als rosig für die Lohnabhängigen in Luxemburg. Der Index-Konflikt, welcher angesichts der durch den Knieschuß der EU-Sanktionen entstandenen drastischen Teuerung für die Bürger in Luxemburg entbrannte, hat gezeigt, was das »Luxemburgische Sozialmodell« wirklich wert ist. Doch nicht nur beim Index zeigt der Gegner die Krallen: Forderungen nach mehr Flexibilisierung, wie von der Handwerkskammer vorgebracht, sind weitere Kanonenschüsse in Richtung jener Burgmauern, welche die eingangs erwähnten Errungenschaften umgeben. Von »zu vielen freien Tagen und Feiertagen« ist da die Rede. Gleichzeitig wird bei jeder Gelegenheit gejault, wie die Schloßhunde, daß die Jugend kein Interesse mehr am Handwerk habe. Insbesondere vor dem Hintergrund der niedrigen Lohnkosten, welche die CSL den Betrieben in Luxemburg regelmäßig vorrechnet und dem nun beschlossenen Aderlaß bei der Kaufkraft ein erbärmlicher Akt.

Immer häufiger zeigt sich daß es diese »Sozialpartnerschaft« nicht gibt, die als Kampfbegriff seit Jahrzehnten durch Funk und Fernsehen in die Arbeiterhaushalte flimmerte und ihre Wirkung nicht verfehlte.

Es geht um Verhinderung des sozialen Roll-backs, der in den Nachbarländern bereits in vollem Gange ist. Bisher schaute das hiesige Patronat neidisch zu. Nun scheint es auch in Luxemburg zum Angriff überzugehen. Darum ist Organisation wichtig und der finanzielle Beitrag, auch wenn er derzeit manchen tatsächlich schmerzen mag, sollte keine unüberwindliche Hürde sein, wenn es darum geht, die sozialen Errungenschaften früherer Generationen zu verteidigen. Im Gegenteil gilt es, insbesondere mit Blick auf neue Technologien und der Gefahr einseitiger Vorteilsabschöpfung, weitere Verbesserungen durchzusetzen.