Gesellschaftliche Aufwertung im Handel und am Steuer nicht zu spüren
In der Coronakrise hat sich nicht der Hedgefonds oder die Bank, sondern immer wieder die Lohnarbeit und insbesondere die niedrig entlohnte – z.B. an der Supermarktkasse oder am Steuer einer Camionnette – als »systemrelevant« herausgestellt und wurde zu Beginn der Pandemie mit Applaus bedacht.
Doch während das Handelskapital und die Eigner der großen Logistik- und Transportunternehmen zu den Gewinnern der Krise gehören, werden ihre Mehrwertproduzenten, die seit mehr als einem Jahr auf dem Zahnfleisch gehen, vergessen.
Was haben in der Grenzregion wohnende, aber seit Jahren bei einer luxemburgischen Firma angestellte Transportarbeiter von einer ohnehin nur temporären gesellschaftlichen Aufwertung ihrer Arbeit, wenn sie wegen einer EU-Direktive, die eigentlich zu einer Verbesserung der unsäglichen Zustände im Transportsektor beitragen soll, sozusagen als Kollateralschaden aus dem luxemburgischen System der Sozialversicherungen fliegen?
Und wie kann es angesichts der Überlastung der staatlichen Verwaltungen in Luxemburg und den Nachbarländern sein, daß man diesen Grenzgängern auch noch mitten in der Pandemie mitteilt, sie würden vom Centre commun de la sécurité sociale nicht mehr geführt und müßten sich in ihrem Wohnland bei der dortigen Sozialversicherung anmelden?
Die Beteuerungen des zuständigen Ministers Romain Schneider, man kämpfe sei elf Jahren für eine diesbezügliche Lösung mit den Nachbarländern, sind angesichts der gleich am Anfang der Pandemie innerhalb weniger Tage beschlossenen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Lösung für die grenzüberschreitende Telearbeit lächerlich.
Derweil sollen die Verkäuferinnen und Verkäufer nach Ansicht des Handelskapitals und seiner Interessenvertreter weder von der jüngst erfahrenen gesellschaftlichen Aufwertung ihres Berufs, noch von den in den Geschäftsberichten dokumentierten Gewinnsteigerungen etwas auf ihrem Lohnzettel zu spüren bekommen.
Ausgerechnet diejenigen, die schon in der Woche mehr leisten müssen, die gezwungen sind, ihre sozialen Bedürfnisse und gerade in einer Pandemie auch ihre Gesundheit den Profitinteressen ihres Patrons unterzuordnen, sollen ohne entsprechende Zuschläge oder Urlaubsausgleich auch noch sonntags zu einer Achtstundenschicht antreten?
Als Mehrheitsgewerkschaft im Handel war der OGBL der Handelskonföderation CLC mit der Bereitschaft, die neuerdings von der Arbeitsinspektion kontrollierte gesetzliche Vierstundenobergrenze bei der Sonntagsarbeit im Handel kollektivvertraglich neu zu regeln, sehr weit entgegengekommen. Auch die geforderte Gegenleistung, einen Tag (also acht Arbeitsstunden) Urlaubsausgleich für 24 an Sonntagen geleistete Arbeitsstunden, war sicher nicht überzogen und alles andere als »dogmatisch«, wie die CLC behauptet.
Doch auch mit einer Beibehaltung des Status quo dürften die allermeisten Verkäuferinnen und Verkäufer leben können, haben doch laut OGBL in einer vom Luxembourg Institute of Socio-Economic Research im Auftrag des Mittelstandsministeriums schon vor mehr als zwei Jahren durchgeführten, aber bis heute nicht veröffentlichten Studie »acht von zehn« repräsentativ befragte Schaffende aus dem Handel geantwortet, am liebsten würden sie sonntags überhaupt nicht mehr arbeiten, um Zeit für Familie, Sport, Kultur oder Ehrenamt zu haben, und sich nicht auch noch ständig um eine Sonntagsbetreuung für ihre Kinder kümmern zu müssen. Aus diesen rund 80 Prozent dürften in der Krise eher mehr als weniger geworden sein.