Ausland

Lobby gegen Kolonialstatus

Exil-Puertoricaner gründen eigene Interessenvertretung in den USA und fordern »Dekolonisierung« ihrer Heimat

Der Konvent der Demokratischen Partei in Philadelphia am Dienstagabend (Ortszeit) ist kein Ort für Überraschungen gewesen. Hillary Clinton wurde offiziell zur Kandidatin nominiert und ihr Mann Bill warb herzerweichend für seine Gattin und empfahl sie der Nation als »erste Präsidentin der USA« .

Seine Rede war erwartet worden und war letztlich nur insofern historisch bedeutsam, weil zum ersten Mal die obligatorische »First-Lady-Rede« von einem Mann und früheren Präsidenten gehalten wurde. »Wählt sie, weil es im großartigsten Land dieser Welt immer um das Morgen geht« , rief er den jubelnden Delegierten zu. Nur kleine Gruppen skandierten »Niemals Hillary« . Daß er mit keinem Wort Bernard »Bernie« Sanders erwähnte, überraschte ebensowenig.

Auch die flehentliche Bitte von Sanders an die Halle und seine zwischen bitterem Protest und tränenreicher Erschütterung schwankenden Anhänger, seine noch vor kurzem von ihm als »Komplizin der Wall-Street« gescholtene Konkurrentin nicht im üblichen Abstimmungsverfahren, sondern durch lautes Rufen von »Yes« oder »No« zur Kandidatin zu küren, hatte kaum noch Erstaunen ausgelöst. Dem Parteimanagement war es weitestgehend gelungen, die gefährlichen Klippen zu umschiffen.

Hillary Clinton hatte die mittlerweile über fünf Millionen Menschen zählende puertoricanische Exilgemeinde im Land in den letzten Wochen nicht im Zweifel darüber gelassen, daß auch sie als mögliche neue Präsidentin das karibische USA-Territorium Puerto Rico weiter von Washington aus regieren werde. Folglich stand die Senatorin voll hinter dem kürzlich vom USA-Kongreß verabschiedeten PROMESA-Gesetz, daß der krisengeschüttelten Insel eine nach Kolonialherrenart von Washington eingesetzte Finanzaufsicht bescherte.

Trotzdem oder gerade deshalb wählte die neue politische Organisation »National Puerto Rican Agenda« (NPRA) bewußt Clintons Nominierungsparteitag und das Umfeld der zu erwartenden Pro-Sanders-Demonstrationen samt der großen Medienaufmerksamkeit als Bühne für ihren ersten öffentlichen Auftritt.

Kaum einen Monat nach Inkrafttreten des in Puerto Rico breit abgelehnten PROMESA-Gesetzes traten 150 Mitglieder zur Konstituierung der neuen Organisation in Camden, New Jersey, zusammen. Die Wahl des Ortes nahe Philadelphia sollte es ermöglichen, den Gründungsakt während des Demokraten-Konvents in der großen puertoricanischen Gemeinde Philadelphias bekanntzugeben. Das geschah unter anderem durch eine Kundgebung vor dem Rathaus der Stadt am vergangenen Sonntag. Der Montag sollte dann als Gründungstag den Bezug zur Kolonialgeschichte herstellen, weil genau vor 118 Jahren, am 25. Juli 1898, USA-General Nelson Miles mit seinen Truppen im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges Puerto Rico in Besitz genommen hatte.

Natascha Otero-Santiago vom neugewählten NPRA-Vorstand erläuterte im Interview mit dem USA-Nachrichtenprogramm »Democracy Now !« , ihre Organisation verstehe sich als Interessenvertreterin der puertoricanischen Exilgemeinden in den USA. Sie sei auch Delegierte des NPRA-Regionalverbands von Südflorida, das in den letzten Jahren mit 300.000 Migranten zur größten Exilgemeinde herangewachsen sei. Sie seien »eine Lobbygruppe« für Puerto Rico. In der Hauptstadt Washington D.C. und in allen Orten mit starken puertoricanischen Gemeinden wolle NPRA den politischen Kräften klarmachen, »daß es an der Zeit ist, gemäß dem Völkerrecht mit dem Prozeß der Dekolonisierung Puerto Ricos zu beginnen« .

Die Schatzmeisterin von NPRA, Roseni Plaza, erklärte, in ihrer Heimat herrsche wegen der über 70 Milliarden US-Dollar Staatsschulden »eine humanitäre Krise, die uns förmlich dazu gezwungen hat, diese Organisation zu gründen« . Denn die Exilgemeinden in den USA hätten »die Verantwortung für unser Volk in Puerto Rico« , von dem immer mehr vor dem Elend fliehen und auf Suche nach Arbeit in die USA emigrieren würden. Da die Einwohner der Insel zwar USA-Staatsbürger seien, sich aber nur mit Wohnsitz in den USA an Wahlen beteiligen dürften, »sind wir hier ihre Stimme« , so Roseni Plaza. Deshalb sei es so wichtig gewesen, den Delegierten des Konvents zu zeigen, »daß wir Puertoricaner hier und auf der Insel eine Einheitsfront sind« .

Jürgen Heiser

Demonstration in Downtown New York City