Die Souveränität des Irak
Bagdad fordert nach dem jüngsten Mord durch USA-Drohnen am Kommandeur einer irakischen Miliz den Abzug der USA-geführten Militärkoalition aus dem Irak
Nach der gezielten Tötung des Kommandeurs einer irakisch-schiitischen Miliz am vergangenen Donnerstag erklärte der irakische Ministerpräsident Mohammed Shia al Sudani, sei er entschlossen, die Präsenz der USA-geführten Militärkoalition im Irak zu beenden. Eigenmächtige Operationen der USA-Truppen auf irakischem Territorium wie der jüngste Drohnenmord würden nicht mehr toleriert.
Die auswärtige Militärpräsenz wird schon seit Jahren vor allem von Organisationen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit attackiert. Die westlichen Staaten wiederum, die ihre Truppenstationierung bis heute mit dem »Kampf gegen den IS« legitimieren, bestehen darauf, die Einheiten im Irak zu belassen; das gilt als nützlich im Einflußkampf gegen den Iran. Die Spannungen verschärfen sich im Gefolge des Kriegs im Gazastreifen.
Militärpräsenz im Irak
Die von den USA geführte Militärkoalition, die sich im Irak und in Syrien ab 2014 am »Krieg gegen den IS« beteiligte, hat noch heute Truppen im Irak stationiert. Der »Sieg über den IS« als territoriales Gebilde auf irakischem Hoheitsgebiet war allerdings bereits am 10. Dezember 2017 mit einer großen Militärparade in Bagdad gefeiert worden. Die Tatsache, daß Trupps des »Islamischen Staates« im Untergrund weiter aktiv waren, diente den USA und mit ihnen verbündeten Staaten als Anlaß, um die Truppenpräsenz aufrechtzuerhalten.
Die Formate dazu waren die schon im Juni 2014 initiierte US-amerikanische »Operation Inherent Resolve« (OIR), die von einer breiten Staatenkoalition (»Counter Daesh«) unterstützt wird, sowie die im Oktober 2018 eingerichtete »NATO Mission Iraq«.
Die Vereinigten Staaten führten mehrere Jahre lang noch Kampfeinsätze auf irakischem Territorium durch. Am 10. Dezember 2021 bestätigten Militärs der USA, die von ihnen geführte Koalition habe ihre Kampfhandlungen im Irak jetzt eingestellt; doch werde sie im Land bleiben, um den irakischen Streitkräften bei deren Operationen gegen den »IS« zur Seite zu stehen, unter anderem mit Luftunterstützung. Im Rahmen der »NATO Mission Iraq« bilden Soldaten aus NATO-Staaten außerdem Einheiten der irakischen Streitkräfte aus und beraten verschiedene irakische Stellen.
Machtkampf gegen den Iran
Die Forderung, die auswärtigen Truppen müßten aus dem Irak abziehen, ist nicht neu. Schon am 1. März 2018 verlangte das irakische Parlament von der Regierung in Bagdad, sich bei den Soldaten höflich für ihre Unterstützung im »Krieg gegen den IS« zu bedanken und einen Zeitplan für ihre Heimkehr auszuhandeln. Nachdrücklich wiederholte das Parlament die Forderung zwei Tage nach dem von USA-Militärs ausgeführten Mord an dem Kommandeur der iranischen Quds-Brigade, Qassem Soleimani, der am 3. Januar 2020 unmittelbar nach der Ankunft auf dem Flughafen in Bagdad mit Hilfe einer US-amerikanischen Drohne getötet wurde.
Die Forderungen wurden von der irakischen Regierung ignoriert. Zur Erläuterung heißt es gewöhnlich, zwar unterstützten vor allem die dem Iran nahestehenden Teile der schiitischen Bevölkerungsmehrheit das Verlangen, die USA-geführte Militärkoalition solle das Land verlassen. Für einen Verbleib der Truppen aber sprächen sich die sunnitische Minderheit sowie irakisch-kurdische Organisationen aus – auch um ein Gegengewicht gegen den iranischen Einfluß zu sichern.
Zudem üben, wie kürzlich der irakische Parlamentsabgeordnete Saad al Saadi bestätigte, die USA sowie Britannien hinter den Kulissen erheblichen Druck auf Iraks Regierung aus, ihre Militärpräsenz nicht anzutasten, die westlichen Einfluß zu sichern hilft.
Drohnenmord in Bagdad
Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober und dem folgenden Neibeginn der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen nimmt der Druck auf die Regierung in Bagdad zu, den Abzug der USA-Streitkräfte sowie der von ihnen geführten Militärkoalition endlich durchzusetzen. Zugleich eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Milizen im Irak und in Syrien auf der einen sowie den USA-Streitkräften auf der anderen Seite. Laut Berichten aus der Region haben schiitische Milizen vom 17. Oktober bis zum 4. Januar 136 Attacken auf USA-Truppen im Irak und in Syrien durchgeführt; die Vereinigten Staaten sind mit 2.500 Militärs im Irak und mit 900 Militärs in Syrien präsent.
Die US-Truppen hätten, heißt es weiter, zunächst mit dem Beschuß von Milizenstandorten in Syrien reagiert, um im Irak keine allzu massiven Proteste auszulösen. Im November seien sie zwar dazu übergegangen, vereinzelt auch Milizenstandorte im Irak anzugreifen, hätten aber das Führungspersonal verschont. Erst mit einem Angriff am 4. Januar hätten sie gezielt einen Milizenkommandeur ermordet. Der Drohnenmord galt einem Kommandeur der Miliz Harakat al Nujaba, der das Washington Institute for Near East Policy 69 Prozent der Angriffe auf USA-Truppen im Irak und in Syrien seit dem 17. Oktober zuschreibt.
»Kein Rückzieher mehr«
Auf den Mordanschlag hat Iraks Ministerpräsident Mohammed Shia al Sudani mit scharfer Kritik reagiert. Seine Regierung habe „wiederholt betont“, daß auf irakischem Territorium lediglich irakische Stellen befugt seien, gegen Rechtsbrüche, darunter auch den Beschuß von Stellungen des USA-Militärs einzuschreiten, ließ Al Sudani mitteilen. Er bekräftige nun seinen festen Entschluß, die andauernde Präsenz der USA-geführten Militärkoalition im Irak »zu beenden«, da »die Rechtfertigungen für ihre Existenz nicht mehr gegeben sind«.
Seine Regierung wolle deshalb umgehend Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten aufnehmen, um den Abzug der USA-Truppen zu besprechen. Dies sei »eine Verpflichtung«, bei der Bagdad »keinen Rückzieher machen« werde. Es gehe um die »vollständige nationale Souveränität über Land, Luftraum und Gewässer des Irak«.
Al Sudanis Ankündigung trifft auch die deutsche Bundeswehr, deren Soldaten im Rahmen der USA-geführten Militärkoalition im Irak stationiert sind. Kann die irakische Regierung ihre Forderung nach Abzug durchsetzen, dann müssen die deutschen Streitkräfte nach Afghanistan und Mali einen dritten Einsatzort unfreiwillig räumen.