USA wollen langjährige Sanktionen aufheben
Der Ausverkauf Syriens
Bei einem Besuch in Saudi-Arabien hat Präsident Donald Trump zugesagt, daß das gegen Syrien gerichtete »Caesar-Gesetz« der USA aufgehoben werden soll. Zusammen mit den einseitigen Wirtschaftssanktionen der EU schnüren die USA-Sanktionen dem Land und seiner Ökonomie seit 2011 die Luft ab. Der saudische Kronprinz Mohamed Bin Salman und auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hätten ihn darum gebeten, erklärte Trump am 13. Mai in der saudischen Hauptstadt Riad. Syrien habe »eine Chance verdient«, die USA-Sanktionen würden aufgehoben.
Außenpolitik à la Trump
Kurz vor seiner Abreise aus Riad in das Golfemirat Katar traf sich der USA-Präsident im Beisein des saudischen Kronprinzen und einem Dolmetscher mit Ahmed al-Sharaa, dem Interims-»Präsidenten«, der nach dem Sturz von Baschar al-Assad Anfang Dezember 2024 die Macht übernahm. Bei einem Treffen mit Unternehmern in Katar am nächsten Tag zeigte Trump sich von dem ehemaligen Al-Qaida-Vertreter in Syrien beeindruckt, wie der US-amerikanische Nachrichtensender CNN berichtete: »Ich habe den neuen Führer von Syrien getroffen. Er hat eine starke Vergangenheit. Ich denke, er wird großartig sein und wir werden sehen. Er ist ein starker Mann und ich denke, er ist gut. Warten wir ab, was passiert. Wir werden ihm eine Chance geben, indem wir die Sanktionen aufheben.«
Am Rande des offiziell »informellen« Treffens der NATO-Außenminister im türkischen Antalya am 15. Mai traf USA-Außenminister Marco Rubio wenige Tage später mit dem syrischen Interims-»Außenminister« Asaad al Shaibani zusammen. Beide stellten sich mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan vor den Kameras der Weltpresse auf, bevor sie sich zu einem Gespräch zusammensetzten. Rubio und Al Shaibani hätten darüber gesprochen, wie die Sanktionen der USA im Detail aufgehoben werden sollten, hieß es. Beide stimmten demnach überein, daß Damaskus und Washington die Beziehung stärken und eine strategische Partnerschaft aufbauen sollten.
Für alle Beteiligten schien vergessen, daß sowohl Al Sharaa als auch Al Shaibani eine dschihadistische Vergangenheit in der Nusra Front, der Al-Qaida Vertretung in Syrien, haben. Sie und ihre Organisationen, einschließlich Haiʾat Tahrir asch-Scham (»Allianz zur Befreiung der Levante«) stehen auf internationalen Terrorlisten und unter Sanktionen, weil sie seit spätestens 2012 für schwere Gewalttaten, Selbstmordattentate und Entführungen mit Hunderten Toten verantwortlich sind. Das gilt auch für andere Mitglieder der Interims-»Regierung«. Weder Al Sharaa, noch ein anderes Mitglied des Gremiums wurden in einem demokratischen Wahlprozeß gewählt. Als eine seiner ersten Entscheidungen löste Al Sharaa das Parlament auf, verbot alle darin vertretenen Parteien und setzte die syrische Verfassung außer Kraft. Hunderttausende Menschen verloren durch die Verbote von Armee, Polizei und staatlichen Unternehmen ihre Arbeit. Armut bestimmt das Leben der syrischen Bevölkerung, die niemand fragt.
Übergangsprozeß findet nicht statt
Der von der UNO seit 2012 organisierte Dialogprozeß gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 spielt keine Rolle, die UNO-Vertretung in Damaskus wird nur gefragt, wenn es um Hilfslieferungen für die Bevölkerung geht. Ihre Aufgabe als Vermittler und Organisator eines politischen Übergangsprozesses wird von den Königsmachern, die Al Sharaa zur Macht verholfen haben, ignoriert. Diese Königsmacher – USA, europäische Staaten und Staaten am arabischen Golf sowie Israel – teilen das Land wirtschaftlich und militärisch untereinander auf. Man sei »offen für Geschäfte«, so Al Shaibani auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Gespräch mit dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair. Voraussetzung sei, daß die Sanktionen aufgehoben würden. Anders als die anfangs noch zögerliche EU hatte Trump die Botschaft sofort verstanden. Der »Deal«, den er in Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) abschloß, bedeutet Billionen US-Dollar-schwere Geschäfte der arabischen Golfstaaten mit den USA. Im Gegenzug sollen Washingtons Sanktionen gegen Syrien aufgehoben werden, was den arabischen Golfstaaten und auch der Türkei ein lukratives Wiederaufbau- und Investitionsgeschäft in dem schutzlosen Land verschafft.
Große Erwartungen
Das syrische Pfund machte einen enormen Sprung und stieg gegenüber dem US-Dollar um 27 Prozent von 12.500 auf 8.000 SYP an. Vor der syrischen Zentralbank bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die Geld abheben wollten. Die Erwartungen sind groß, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung vermutlich nur wenig darüber weiß, daß der Prozeß zur Aufhebung der Sanktionen eine lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Die »Caesar«-Sanktionen sind ein USA-Gesetz, das aufgehoben werden muß. Bis es dazu kommt, durchläuft ein entsprechender Antrag eine Reihe bürokratischer Debatten und Entscheidungen. Schließlich muß die Entscheidung an internationale Banken und Finanzeinrichtungen übermittelt werden, die wiederum Klauseln, die Geschäfte und Investitionen mit Syrien verbieten, aufheben müssen.
»Die Menschen denken, wenn Donald Trump sagt, die Sanktionen werden aufgehoben, leben wir am nächsten Tag im Schlaraffenland. Sie denken, Geldscheine hängen an den Bäumen und jeder wird sofort wieder Arbeit finden und kann Geld verdienen«, seufzte ein Syrer in einem Telefongespräch mit der Autorin. Sein Neffe sei 21 Jahre alt und habe ihn gefragt, was die Aufhebung der USA-Sanktionen denn nun bedeute. »Ich habe ihm gesagt, daß uns früher alles genommen wurde, ohne daß wir zugestimmt haben. Zukünftig wird man uns alles abnehmen mit unserer Erlaubnis.« Er hoffe nur, daß wenigstens etwas für sie, für die einfachen Leute, übriggelassen werde.
Arabische Golfstaaten
In den Staaten am Arabischen Golf wurde die Ankündigung des USA-Präsidenten, die Sanktionen aufzuheben, mit Genugtuung aufgenommen. Anwesende des US-amerikanisch-saudischen Investment Forums in Riad, wo Trump sprach, quittierten die Ansage mit Freudenrufen, wie Beobachter berichteten. Der katarische Ministerpräsident Sheikh Mohammed bin Abdulrahman Al Thani sagte gegenüber CNN, die Sanktionen gegen Syrien aufzuheben sei »ein Schritt in die richtige Richtung«. Das VAE-Außenministerium teilte mit, man unterstützte Saudi-Arabien und Syrien und hoffe, daß die Ankündigung zu einer »Erholung der Wirtschaft« beitragen, Entwicklung fördern und Syrien »Stabilität« bringen werde.
Seit Jahren, spätestens aber nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023, bemühen sich die Golfstaaten um die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien, weil sie mit Investitionen im Wiederaufbau im Wohn- und Industriebereich und bei der Ausbeutung der wichtigen Rohstoffe Syriens viel Geld verdienen können. Doch sowohl die EU als auch die USA waren nicht bereit, ihre einseitigen wirtschaftlichen und finanziellen Strafmaßnahmen aufzuheben, solange Baschar al-Assad im Präsidentenpalast war. Das änderte sich auch nicht nach dem Erdbeben. Lockerungen, die damals versprochen wurden, machten sich im Alltag bei der Bevölkerung und bei der Arbeit der Hilfsorganisationen nicht bemerkbar. Nun ist Assad fort und der Westen ist einen Pakt mit den als Terroristen gelisteten Gründern der Nusra Front, Al Qaida in Syrien und Hay’at Tahrir al Sham eingegangen. Die Türkei und die arabischen Golfstaaten verfügen über beste Kontakte zu diesen, da sie – in Absprache mit den USA und Partnern – mit diesen seit Beginn des syrischen Krieges kooperiert haben.
Der Weltbank zufolge ist die syrische Wirtschaft aufgrund von Krieg und Sanktionen von 2011 bis 2023 um 85 Prozent geschrumpft. Die Kosten des Wiederaufbaus werden auf bis auf 400 Milliarden US-Dollar geschätzt. Nach UNO-Angaben leben mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Armut. Vor dem Krieg, im Jahr 2010, war Syrien von der Weltbank als fünftstärkste Ökonomie der arabischen Staaten eingestuft worden.
Trump und Netanjahu
Was für die Golfstaaten in Syrien und für die Türkei ein großer Gewinn werden dürfte, ist für Israel wie ein Schlag ins Gesicht, analysiert man im benachbarten Libanon. Trump habe die Nahostpolitik um 180 Grad gedreht und agiere direkt gegen die Forderungen Israels, die Sanktionen gegen Syrien aufrechtzuerhalten. Es gebe einen sehr persönlichen Konflikt zwischen Trump und dessen Premierminister Benjamin Netanjahu, analysiert der langjährige Kriegsberichterstatter Mohammad Ballout aus Beirut im Gespräch mit der Autorin. Netanjahu habe direkte Kontakte zu politischen Kreisen des »tiefen Staates« in den USA gepflegt, mit denen Israel oft an der offiziellen Washingtoner Administration vorbei agiert habe. Das Verhältnis zwischen Barack Obama und Netanjahu sei derart schlecht gewesen, daß Netanjahu lange keinen Termin im Weißen Haus erhalten habe. Während Obama ein Abkommen mit dem Iran über dessen Atomprogramm abschließen wollte, warb Netanjahu für Krieg gegen den Iran. Schließlich gelang es ihm 2015, am Weißen Haus vorbei auf Einladung des USA-Kongresses nach Washington zu kommen. Seine Rede dort wurde mit Standing Ovations quittiert.
Trump wiederum mußte kürzlich feststellen, daß der von ihm mit dem Posten des Nationalen Sicherheitsberaters betraute Mike Waltz mit Netanjahu geheime Vereinbarungen über einen Krieg gegen Iran getroffen hatte. Der Präsident zog Waltz von dem Posten ab und schickte ihn als Botschafter der USA in den UNO-Sicherheitsrat. Seitdem herrscht weitgehend Funkstille zwischen Netanjahu und Trump. Bei seiner Reise durch die Golfstaaten war kein Abstecher Trumps nach Israel eingeplant.
Israelische Angriffe geduldet
In Syrien will Trump die US-amerikanischen Truppen reduzieren, während Netanjahu die immensen Waffenlieferungen der USA und Deutschlands für die Eröffnung immer neuer Fronten in der Region einsetzt. Unmittelbar nach dem Umbruch in Syrien Anfang Dezember 2023 bombardierte Israel Hunderte Mal militärische Anlagen und Stellungen in Syrien und zerstörte die gesamte Verteidigungsstruktur. Israelische Truppen überquerten die von einer UNO-Blauhelmmission kontrollierte Pufferzone auf den syrischen Golanhöhen und nahmen Stellung entlang der Grenze vom Hermon-Gebirge im Norden bis zum Yarmuk-Fluß im Süden. Israel errichtete Militärbasen, besetzte Ortschaften und bot sich den Kurden im Nordosten und den Drusen im Süden Syriens als militärische Schutzmacht an. Netanjahu forderte, den gesamten Süden des Landes zu entmilitarisieren. Langfristiges Ziel Israels ist es, das Land unter dem Banner des »Föderalismus« entlang von ethnischen und religiösen Linien zu zerteilen.
Das bringt Israel in direkte Konkurrenz zur Türkei, die ihren Einfluß in Syrien ebenfalls ausdehnen will. Die Stadt Aleppo hat die Türkei weitgehend unter eigene Kontrolle gebracht, der Versuch, Militärbasen im Zentrum des Landes in der Provinz Homs zu errichten, wurde von Israel mit Luftangriffen verhindert. Die USA vermittelten zwei Gesprächsrunden zwischen der Türkei und Israel – beides enge Partner Washingtons – in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer. Ein Ergebnis gab es nicht.
Al Sharaa in Bedrängnis
Im Gegensatz zu Israel verfügt die Türkei über beste Beziehungen zu den neuen Machthabern in Damaskus und dient sich diesen beim Neuaufbau von Militär, Polizei und in vielen Regierungsstellen als »Berater« an. Ob Interims-»Präsident« Al Sharaa die Chance nutzen kann, bleibt fraglich. In einer Rede an das »großartige syrische Volk« lobte er den Mut der USA-Administration. Die »historische Entscheidung« werde das Leid des Volkes lindern, dem Land zu Fortschritt verhelfen und Sicherheit für die Region bringen, berichtete die syrische Nachrichtenagentur SANA.
Wenig wurde über die Forderungen der USA geschrieben, die als Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen genannt wurden: demnach müssen die neuen Machthaber ein Normalisierungsabkommen mit Israel unterzeichnen und dafür sorgen, daß alle »ausländischen Terroristen« Syrien verlassen. Auch »palästinensische Terroristen« sollen ausgewiesen werden und man solle sich dem (USA-geführten) Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) anschließen. Zudem soll Damaskus die Verantwortung für die Gefängnisse für IS-Kämpfer im »kurdisch kontrollierten« Nordosten des Landes übernehmen. Eine weitere Forderung, die Einrichtung einer Kommission, die »Verbrechen des Assad-Regimes aufarbeiten« soll, wurde inzwischen in Damaskus bekanntgegeben.
Zwar hat Al Sharaa – mit Hilfe der arabischen Golfstaaten und der Türkei – die Aufhebung der USA-Sanktionen erreicht, doch innenpolitisch bleibt seine Position schwach. Er konnte weder den Konflikt mit den Alawiten noch mit den Drusen entspannen, die extremen dschihadistischen und salafistischen Kräfte in der »Allianz zur Befreiung Syriens« (HTS) waren sowohl an den Massakern im Küstengebiet an den Alawiten als auch an den Morden an Drusen in Sweida, Jaramana und Sehnaya beteiligt. Videoaufnahmen zeigen HTS-Kämpfer mit IS-Abzeichen an den Uniformen, die mit dem Schlachtruf »Sunniten, Sunniten, nieder mit den Alawiten!« durch Sehnaya ziehen.
Ein spürbarer wirtschaftlicher Fortschritt wird noch lange auf sich warten lassen. Die anhaltend schlechte Versorgungslage trägt nicht zu einer innersyrischen Versöhnung bei. Diese wird ohnehin nicht aktiv betrieben. Eine funktionierende Regierung und effektive Regierungsinstitutionen gibt es nicht. Die anhaltende Weigerung des neuen Regimes, mit allen Teilen der Gesellschaft zu kooperieren, verschärft die gesellschaftlichen Spannungen.

