Angriff auf innerparteiliche Demokratie
Britische Labour Party untersagt Kandidatur von Jeremy Corbyn. Parteichef beschneidet parteidemokratische Rechte und schart politische Opportunisten um sich
Am mangelnden Erfolg liegt es nicht. Jeremy Corbyn hat seit dem Jahr 1983 insgesamt zehn aufeinanderfolgende Parlamentswahlkämpfe für seine Partei erfolgreich bestritten. Trotzdem darf der ehemalige Labour-Vorsitzende nicht mehr in seinem Londoner Wahlkreis Islington North für Labour antreten (ZLV berichtete). Am Dienstag vergangener Woche nahm der Parteivorstand einen entsprechenden, vom amtierenden Vorsitzenden Keir Starmer sowie der Abgeordneten Shabana Mahmood eingebrachten Resolutionsantrag an.
In einer über soziale Medien verbreiteten Reaktion kritisierte Jeremy Corbyn die mit einer Mehrheit von 22 zu zwölf Stimmen angenommene Entscheidung scharf. Es handle sich um »einen schändlichen Angriff auf die innerparteiliche Demokratie, Parteimitglieder und natürliche Gerechtigkeit«. Corbyn, der bereits im Oktober 2020 auf Betreiben von Parteichef Keir Starmer aus der Unterhausfraktion der Labour-Partei ausgeschlossen wurde, sagte weiter, er werde sich nicht zum Schweigen bringen lassen, schließlich habe er sein ganzes Leben für eine fairere Gesellschaft gekämpft. »Ich habe nicht vor, nun damit aufzuhören.«
In seiner Stellungnahme legte Jeremy Corbyn Rechenschaft über seine Zeit als Parteivorsitzender ab. Er sei entschlossen gewesen, »eine durch die Mitglieder geführte Bewegung aufzubauen, die einer neuen Generation Hoffnung gibt. Die heutige schändliche Entscheidung zeigt Verachtung für die Millionen von Menschen, die in den Jahren 2017 und 2019 für unsere Partei gestimmt haben, und wird jene demotivieren, die immer noch an die Bedeutung einer transformativen Labour-Regierung glauben«. Mehr als je zuvor sei es jetzt nötig, eine starke Alternative gegen das »Regierungsprogramm der Spaltung und der Repression« anzubieten. Starmer habe hingegen »einen Angriff auf seine eigenen Parteimitglieder« gestartet.
Im von Starmer und Mahmood eingebrachten Antrag heißt es hingegen, eine erneute Kandidatur Corbyns schade »den Chancen der Labour-Partei bei kommenden Parlamentswahlen«. Um die bestmögliche Beziehung zwischen den Sozialdemokraten und der Wahlbevölkerung zu ermöglichen, sei es nötig, Corbyn nicht mehr als Labour-Kandidaten aufzustellen. Mit Beschluß dieser Resolution greift der Parteivorstand direkt in die demokratischen Rechte des Labour-Ortsverbandes Islington North ein. Denn normalerweise bestimmen die Ortsverbandsmitglieder, wer in ihrem Wahlkreis kandidiert. Damit ist seit Beginn der Regentschaft Starmers jedoch Schluß.
Der Parteichef geht bereits seit Monaten mit bürokratischen Methoden gegen Ortsverbände vor, die in Gefahr geraten könnten, linke Kandidatinnen oder Kandidaten aufzustellen. Somit etabliert sich in der Partei ein rechter Personenkult, getragen von Individuen, deren politische Karriere direkt von jener des Parteivorsitzenden abhängen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Shabana Mahmood, die Koautorin des Antrags gegen Corbyn. Sie ist seit 2010 sozialdemokratische Unterhausabgeordnete und war vom Exparteichef ursprünglich für eine Rolle als leitende Staatssekretärin im Finanzministerium vorgesehen. Doch im Jahr 2015 trat Mahmood von dieser Rolle mit der Begründung zurück, daß sie die links-keynesianistische Wirtschaftspolitik Corbyns nicht mittragen könne. Damit empfahl sie sich dem rechten Parteiflügel als verläßliche Politikerin. Über den Antrag konnte sie diesen Status im engeren Umfeld Starmers zementieren.
Laut Informationen des den britischen Sozialdemokraten nahestehenden Informationsdienstes »Labour List« waren es insbesondere gewerkschaftliche Vertreter im Parteivorstand, die sich gegen die Starmer-Mahmood-Resolution ausgesprochen haben. Mit Nein sollen unter anderem die Vertreter der Eisenbahnergewerkschaften Aslef und TSSA, der Postgewerkschaft CWU, der Feuerwehrgewerkschaft FBU sowie der Großgewerkschaft Unite gestimmt haben. Dem rechten Parteiflügel nahestehende Gewerkschaftsvertreter haben die Resolution hingegen unterstützt, während sich Unison, die größte Gewerkschaft im öffentlichen Dienst, enthalten hat.
Unklar ist noch, wie Jeremy Corbyn nun reagiert. Im Raum steht eine unabhängige Kandidatur. Festgelegt hat er sich bislang jedoch nicht.