Kultur19. November 2021

Superstar wird auf »30« bewußt sehr persönlich

Adele ist zurück

von Philip Dethlefs, London

Bei einem Konzert in der Wahlheimat Los Angeles begeistert Adele ihr prominentes Publikum und hilft bei einem Heiratsantrag. Daß ihre eigene Ehe zerbrach, verarbeitet sie auf dem neuen Album »30«. Niemand leidet so schön wie sie.

Die Kulisse ist filmreif und fast ein wenig kitschig. Vor dem Panorama eines perfekten Sonnenuntergangs in den Hollywood Hills gibt Adele ihr erstes Konzert seit über vier Jahren. Am Griffith-Observatorium begeistert die Sängerin ein erlesenes Publikum – darunter Schauspieler Leonardo DiCaprio, Popstar Lizzo und Talker James Corden. Sie singt nicht nur bekannte Hits wie »Hello«, den Bond-Song »Skyfall« oder »Rolling In The Deep«, sondern gewährt auch einen Vorgeschmack auf ihr viertes Album.

Gleich vier neue Lieder von »30« gibt die 33-Jährige bei dem Auftritt zum Besten, der schon im Oktober aufgezeichnet und inzwischen als Teil eines TV-Specials von Talk-Ikone Oprah Winfrey ausgestrahlt wurde. Unterbrochen wird der Gig von Interview-Passagen. Dafür hatte Adele neben Oprah im Garten Platz genommen. Das TV-Event, als persönliches Gespräch zwischen den beiden Frauen vermarktet, lieferte jedoch nichts Kontroverses.

Während sich der Himmel über den berühmten Hollywood-Buchstaben verdunkelt, singt Adele, die viel Energie und Selbstbewußtsein ausstrahlt, neben ihrer Comeback-Single »Easy On Me« auch die wuchtige Soulballade »I Drink Wine«. Darin verarbeitet sie die Trennung von ihrem Mann Simon Konecki vor drei Jahren. »Du kannst mir glauben, daß ich versuche zu klettern«, singt sie. »Aber auch wenn wir immer höher klettern, sind wir doch kein bißchen schlauer.«

Der Wein, so die Kernbotschaft des Songs, ist das letzte, was noch die Stimmung hebe, aber damit könne niemand zufrieden sein. »Ich habe aufgehört, Alkohol zu trinken«, berichtet Adele bei Oprah. »Ein hervorragender Schritt, um sich selbst wirklich kennenzulernen, ist einfach Wasser zu trinken und absolut nüchtern zu sein.«

Die Sängerin hat ohnehin ein ambivalentes Verhältnis zum Alkohol. »Er hat mir meinen Vater genommen.« Als sie zwei Jahre alt war, verließ er die Familie. In diesem April starb er an Krebs. Nachdem sie sich in den vergangenen Jahren angenähert hatten, konnte Adele ihrem Vater immerhin noch ihr neues Album vorspielen, bevor er starb. »Seine Lieblingssongs waren meine Lieblingssongs, das war unglaublich«, erzählt sie bei Oprah. »Das war alles sehr, sehr heilsam.«

Die Scheidung hingegen nagt noch sehr an Adele. Es sei ihr peinlich, daß sie »so schnell geheiratet« habe und sich dann habe scheiden lassen. Ihr ganzes Leben sei sie davon besessen gewesen, eine intakte Familie zu haben, »weil ich selbst nie eine hatte«, sagt Adele mit Blick auf den abwesenden Vater. »Als ich sehr jung war, habe ich mir selbst geschworen, daß, wenn ich Kinder habe, wir zusammen bleiben. Und ich habe das wirklich, wirklich lange versucht.«

Das mutmachende »Hold On« dreht sich wohl auch um ihre zerbrochene Ehe und die Leere danach. »Halte durch, laß dir Zeit, bleib geduldig«, schmettert sie. »Bald kommt die Liebe, halte einfach durch.« Die mitreißende Soulnummer zum Schmachten gipfelt in einem grandiosen Finale mit Gospelchor. Und die neue Ballade »Love Is A Game« erinnert in Ansätzen an den Etta-James-Klassiker »At Last«. Längst darf man Adele in einem Satz mit solchen Ikonen nennen.

Daß sie in ihren Liedern so viel Privates preisgibt, ist gewollt. »Musik hilft mir in vielen Situationen, und ich möchte das auch für Andere tun, sie daran erinnern, daß sie nicht allein sind«, erklärt sie auf Oprahs Sofa. Auch wenn sie durchaus manchmal Zweifel plagen. »Es gab Momente, als ich das Album geschrieben habe oder mir im Nachhinein noch mal etwas angehört habe, wo ich gedacht habe: ‚Das ist vielleicht etwas zu privat.’ Aber nichts ist so beängstigend wie das, was ich die letzten zwei, drei Jahre hinter verschlossenen Türen durchgemacht habe. Also habe ich keine Angst.«

Zu Konecki, dem Vater ihres neunjährigen Sohnes Angelo, pflegt Adele nach eigenen Angaben ein enges freundschaftliches Verhältnis, auch wenn sie nicht mehr in ihn verliebt sei. Die beiden wohnen in Los Angeles sogar in direkter Nachbarschaft. Konecki habe ihr »das Leben gerettet«, als sie berühmt wurde, indem er ihr Stabilität gab. »Auch jetzt würde ich ihm noch mein Leben anvertrauen«, betont Adele. Ihr Angelo sitzt im Publikum. »Das ist die absolute Ehre meines Lebens.«

Als wolle sie zeigen, daß sie immer noch an die Idee der Ehe glaubt, hilft sie während des Konzerts einem Mann bei dessen rührendem Heiratsantrag an seine langjährige Freundin und singt für die frisch Verlobten Bob Dylans »Make You Feel My Love«. Im Publikum fließen die Tränen. »Gott sei Dank hat sie Ja gesagt«, scherzt die Ausnahmesängerin. »Sonst hätte ich nicht gewußt, für wen ich das Lied singen soll.«

An Publikum wird es Adele auch in Zukunft definitiv nicht mangeln. Zwei Konzerte im Londoner Hyde Park im Sommer 2022 waren in kürzester Zeit ausverkauft. Ihre neuen Songs sorgten in Los Angeles für tosenden Applaus und auch im Internet für begeisterte Reaktionen. Und wenn die Lieder ein Indiz für die Qualität ihres bis zuletzt streng geheim gehaltenen vierten Studioalbums sind (Veröffentlichung am heutigen 19. November), dann wird »30« ein weiterer Triumph für Adele Adkins.

(dpa)