Leitartikel28. August 2021

Die Vergessenen

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In Deutschland läuft der Bundestagswahlkampf auf Hochtouren und die Kandidaten liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Abgesehen davon, daß ihnen allen gleich ist, daß die arbeitenden Massen wohl kaum nennenswerte Verbesserungen erwarten dürfen, egal, wer am Ende das Rennen macht, strauchelt das Land in die nächste Corona-Welle. Angesichts der langsam aber stetig steigenden Zahl von gegen Corona geimpften Menschen in der Bevölkerung steigt der Druck auf die Regierenden, den Notstand zu lockern.

Doch zeigen die massiven neuen Fallzahlen, daß insbesondere Kinder und Jugendliche aktuell stark durchseucht werden, mit allen Konsequenzen, die das auf längere Sicht haben kann. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen, von Kanzlerkandidat Armin Laschet regiert, der sich gerne vor Sperrmüll und beim Lachen in Katastrophengebieten fotografieren läßt, scheint die Lage zu eskalieren.

Die Inzidenz in der Altersgruppe der 8-14-jährigen lag hier zuletzt bei über 500 und überschritt etwa in der bergischen Stadt Wuppertal die Marke von 800. Daß die Inzidenz angesichts einer mittlerweile geimpften Bevölkerungsmehrheit als alleiniger Indikator nicht mehr so aussagekräftig sein kann, wie noch vor einem Jahr, ist nachvollziehbar und, was Luxemburg von Anfang an immer betont hatte, die Lage in den Krankenhäusern muß mehr Gewicht erhalten. Auf diese Idee kommt der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn allerdings jetzt, wo »Delta« offensichtlich ungebremst durch die Reihen der Schüler rauscht.

Jene also, die seit Anbeginn der Krise am meisten entbehren, aushalten, ertragen mußten, werden nun, da sie bei den Bundestagswahlen keine Stimme haben, völlig sich selbst überlassen. Der Umriß von Nordrhein-Westfalen ist auf der Karte der Inzidenzen mittlerweile ohne eingezeichnete Landesgrenzen sichtbar. Andere Bundesländer werden folgen, sobald auch bei ihnen die Ferien vorüber sind.

Während der Facebook-Mob tobt, Impfteams hätten in Schulen nichts verloren und man solle »unsere Kinder in Ruhe lassen« trügt das Bild aus den sozialen Medien: Die Schüler über 12 Jahren lassen sich, wo es angeboten wird, in Scharen impfen. In dieser Phase, wo die Kinder in einer solchen Situation stecken, das seit Jahrzehnten übliche Impfen in der Schule zu verteufeln, grenzt an einen Throwback ins finstere Mittelalter. Ein Werk des leider viel zu früh verstorbenen Cartoonisten Martin Perscheid bildete süffisant Impfverweigerer privat ab: »Stell dich nicht so an. Eine ordentliche Kinderlähmung hat noch keinem geschadet!«. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken angesichts der Verkommenheit von Teilen der Gesellschaft.

Ein weiterer Punkt ist, daß Kulturschaffende, Gastronomen oder Sportvereine angesichts einer geimpften Mehrheit der Bevölkerung ungeduldig werden, wenn es um eine höhere Publikumsdichte bei Veranstaltungen geht. Vereinzelt beginnen Fußballklubs nun, ihre Karten nur noch an geimpfte und genesene Personen zu verkaufen, müssen sich aber weiterhin an massive Auslastungsbegrenzungen halten. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Impfen dürfte den einen oder anderen Veranstalter teuer zu stehen kommen, von seinen Angestellten und Zulieferern nicht zu sprechen.

Für Kinder unter 12 Jahren ließen sich bei solchen Veranstaltungen Lösungen finden. In der Schule jedoch, wo der Grundstein für das ganze Leben gelegt wird, wurde in Deutschland ein weiteres Mal der Zeitpunkt verschlafen, technisch aufzurüsten. In Luxemburg sieht es da nicht viel anders aus. Die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, so mit den Kindern umzugehen, stellt sich wohl kein zuständiger Politiker.