Ausland08. Juni 2024

Hoffnung auf eine Stabilisierung in der Region

Syrien kämpft mit Problemen infolge von westlichen Sanktionen und intensiviert die Kontakte mit Nachbarn und mit China

von Karin Leukefeld, Damaskus

Es ist heiß in Syrien. Temperaturen bis 43 Grad plus sind im Juni ungewöhnlich. Selbst die Nächte, in denen die Temperaturen im zentralsyrischen Trockenklima bis zu 20 Grad fallen können, bringen kaum Abkühlung. In Häusern und Wohnungen staut sich die warme Luft, die von den Ventilatoren weniger gekühlt als nur gleichmäßig verteilt wird. Für Ventilatoren reicht der Strom, der mit Sonnenkollektoren erzeugt wird. Für die modernen Klimaanlagen allerdings ist der Sonnenstrom zu schwach. Und nicht jede Familie hat genug Geld, um Solarpanele zu installieren.

Die Stromversorgung in Damaskus und Umland vor dem Krieg war – bis auf wenige Ausfälle – weitgehend 24 Stunden 7 Tage die Woche stabil, erinnern sich die Bewohner von Damaskus. Heute ist der Tag von zahlreichen Stromausfällen geprägt. Theoretisch gibt es drei Stunden mit, drei Stunden ohne Strom, doch meist ist das Verhältnis zwei Stunden mit und vier Stunden ohne Strom im Stadtbereich. Im Umland von Damaskus gibt es pro Tag meist nicht mehr als zwei Stunden Strom. Die restlichen 22 Stunden des Tages müssen die Menschen zusehen, wie sie klarkommen.

Der Mangel an Strom betrifft in Syrien alle Lebensbereiche: Unternehmen reduzieren die Arbeitszeit oder stellen den Betrieb ganz ein. Lebensmittel, die aus den ländlichen Agrargebieten von Deraa, Al Ghab oder dem Umland von Aleppo in die Städte transportiert werden, werden so teuer, daß die Bauern ihre Produkte auf dem Großmarkt nur noch mit Mühe verkaufen können. Käse, Eier und Milchprodukte müssen gekühlt werden, was die Preise in schwindelerregende Höhen treibt. »Wir überlegen drei Mal, ob und wann wir uns Käse oder Eier leisten können«, sagt H., die eine vierköpfige Familie zu versorgen hat. Für viele Familien stehen Milchprodukte gar nicht mehr auf dem Speiseplan.

Auch in Behörden, in Banken und selbst an der Grenze macht sich der Strommangel bemerkbar. Quittungen und Personalausweise können nicht ausgedruckt werden. Kliniken können nur mit Unterstützung von großen Notstromaggregaten arbeiten. Selbst am Grenzübergang Jdeidat Youbous, über den Damaskus mit Beirut verbunden ist und der auf libanesischer Seite Masnaa heißt, kann es zu langen Wartezeiten kommen. Wegen der instabilen Stromversorgung fallen schon mal die Computer aus, über die Datenbanken mit den elektronischen Visa aufgerufen werden, mit denen sich einreisende Ausländer neuerdings anmelden müssen.

»Europa digitalisiert sich? Wir auch«, lacht J. und zählt auf, was mittlerweile in Syrien per App »verbraucherfreundlich« mit dem Handy geregelt werden kann: die Verlängerung eines Parkplatzes, die Bezahlung der Telefonkosten, der Hinweis, daß staatlich subventionierte Güter wie Zucker abgeholt werden können, werden über das Mobiltelefon angekündigt.

Eine Nachricht auf dem Telefon kündigt auch die Bereitstellung von 25 Litern Benzin pro Fahrzeug alle drei Wochen an. Diese Menge staatlich teil-subventionierten Benzins mit einem Literpreis von rund 12.300 Syrischen Pfund (SYP, ca. 90 Euro-Cent) steht jedem Fahrzeughalter zu. »Aber 25 Liter reichen nicht, also müssen wir Benzin im freien Handel kaufen.« J. zuckt mit den Schultern. »Da bezahlen wir pro Liter zwischen 14.500 und 20.000 SYP.«

Sanktionen blockieren den Wiederaufbau

Fehlende Ersatzteile und Mangel an Öl und Gas, um Elektrizitätswerke zu betreiben, sind der Grund für den Strom- und Benzinmangel, mit dem die Syrer seit mehr als zehn Jahren leben. Ersatzteile fehlen, weil sie auf Sanktionslisten der EU stehen, Öl und Gas fehlt, weil USA-Truppen die syrischen Ölfelder Al Omari oder Rmeilan im Osten und Nordosten des Landes besetzt halten. Hinzu kommt das »Caesar-Gesetz«, mit dem die USA Unternehmen, Einzelpersonen und Staaten den Handel mit Syrien verbieten, solange der syrische Präsident noch Baschar al-Assad heißt. Sollte dennoch jemand in Syrien und im Wiederaufbau investieren wollen, drohen die USA mit Sanktionen.

Die USA geben an, die syrischen Ölfelder vor dem Zugriff von versprengten Gruppen des »Islamischen Staates« schützen zu müssen. Tatsache ist allerdings, daß die USA-Truppen die syrischen staatlichen Organisationen für Öl und Gas daran hindern, die nationalen Rohstoffe zu fördern und zu verarbeiten. Die Firmen, die auf den syrischen Ölfeldern arbeiten, beschäftigen Fachkräfte, die bei britischen oder US-amerikanischen Öl- und Gasunternehmen ausgebildet wurden. Ihre Auftraggeber sind kurdische Geschäftsleute aus dem Nordirak, die das Öl an ausgewählte Kunden im Nordirak und in den von kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen im Nordosten Syriens bis hin nach Idlib – das von dem Al Qaida-Ableger Hayat Tahrir as-Sham (HTS) kontrolliert wird – verkaufen. Hinzu kommt, daß die USA-Truppen sich auch selbst an dem Öl bedienen, um ihre Fahrzeuge und Militärbasen im Irak damit zu versorgen.

Der politische Wind dreht sich in Westasien

Die internationalen Umbrüche in Richtung einer multipolaren Weltordnung führen dazu, daß Staaten der arabischen Golfregion trotz angedrohter USA-Sanktionen die wirtschaftlichen Beziehungen mit Syrien wiederaufnehmen. Ausgelöst von dem schweren Erdbeben Anfang Februar 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien – beide Mitglieder der Staatengemeinschaft BRICS – haben mittlerweile ihre Botschaften in Damaskus wieder eröffnet und Botschafter entsandt. Saudi-Arabien sagte Syrien Hilfe bei der Wartung und Reparaturen der Flugzeuge der Syrien Airlines zu, die durch die Sanktionen der EU und der USA seit Jahren nicht vorgenommen werden konnten. Die Flugverbindungen zwischen beiden Ländern wurden am 30. Mai von Damaskus nach Jeddah wiederaufgenommen.

Das bevorstehende islamische Fest Eid al Adha ist der Anlaß dafür, doch die Flugverbindungen von Damaskus nach Saudi-Arabien ebenso wie die Wiederaufnahme von Flugverbindungen zwischen Kuwait und Syrien tragen erheblich zum Ende der langjährigen Isolation des Landes bei.

Zwischen Syrien und dem Libanon sind die bilateralen Beziehungen weitgehend in Takt. Am vorigen Wochenende besprachen Delegationen beider Länder die weitere Kooperation im Wasser- und im Ölsektor sowie über die Rückführung syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon nach Syrien.

Der stellvertretende iranische Außenminister Ali Baqeri Kani, der nach dem Tod von Außenminister Hossein Amirabdollahian als Interims-Außenminister den Iran vertritt, kam am Montag nach einem Besuch in Beirut nach Damaskus, wo er mit Außenminister Feisal Mekdad zusammentraf. Auf einer anschließenden Pressekonferenz bedankte Baqeri Kani sich für die Teilnahme am Tod von Präsident Ebrahim Raisi, der mit seiner Delegation am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Die strategische Partnerschaft zwischen dem Iran und Syrien seien »zwei Säulen der Stabilität in der Region«, so Baqeri Kani.

Die Beziehungen mit China befinden sich auf der Ebene einer strategischen Partnerschaft beider Länder, dazu gehören auch Treffen im Rahmen des Kooperationsforums China und der arabischen Staaten. Ende Mai nahm der syrische Außenminister Feisal Mekdad am 10. Ministertreffen des Kooperationsforums teil und traf auch mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi zusammen.

Mit den arabischen Staaten konsultiert China vor allem einen Friedensplan für ein Ende des Krieges im Gazastreifen. China plädiert für die Anerkennung Palästinas als UNO-Mitglied und für eine Friedenskonferenz.

In Syrien hofft man durch die Initiativen Chinas auch im UNO-Sicherheitsrat. Die arabischen Golfstaaten könnten in Syrien investieren, um den dringend benötigten Wiederaufbau des Landes und der Wirtschaft beginnen zu können. Eine Annäherung an die Türkei – eine weitere wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung Syriens – sieht der Syriens Außenminister Mekdad erst, wenn die syrischen Truppen und mit ihnen die bewaffneten Kämpfer aus Syrien abziehen.

Basis für einen syrisch-türkischen Dialog seien »deutliche Zusagen und eine Verpflichtung der Türkei, sich aus allen besetzten Gebieten Syriens zurückzuziehen«, sagte Mekdad vor Journalisten am 4. Juni 2024 in Damaskus. Die Türkei müsse jede »Unterstützung für Terrororganisationen« einstellen.