Ausland24. Dezember 2024

Die Beute wird geteilt

Israel und die Türkei besetzen Teile Syriens – EU und USA wollen Sanktionen beenden

von Manfred Ziegler

Nach dem militärischen Sieg der Dschihadisten und dem Sturz Baschar al-Assads vereinbarten der bisherige Ministerpräsident al-Dschalali und sein Nachfolger Mohammed al-Baschir, der Ministerpräsident der dschihadistischen »Rettungs-Regierung« aus Idlib, Treffen der neuen Minister mit ihren Vorgängern. Auf diesen Treffen wurden Organigramme und Schlüssel der Ministerien übergeben.

Doch in brutaler Lynchjustiz wurden zum Ende des Krieges – wie an seinem Beginn – Vertreter des bisherigen Staates ermordet. Diese Vorfälle, die in Videos dokumentiert und weit verbreitet wurden, waren bisher offenbar individuelle Aktionen und keine Politik der Übergangsregierung.

Die internationalen Reaktionen auf den Sturz Assads waren nicht überraschend. Israel, das die Dschihadisten der Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) immer wieder unterstützt hatte, nutzte die Gelegenheit. In einem Tsunami von Hunderten Luftangriffen wurden Flugzeuge, Schiffe, Radaranlagen und Raketen, die Reste der syrischen Armee, zerstört. Damit ist der Luftraum für einen möglichen Angriff auf den Iran frei.

Als im Oktober der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich von der Ausdehnung Israels bis nach Damaskus und darüber hinaus gesprochen hatte, schien es phantasievolles Wunschdenken zu sein. Mittlerweile besetzten israelische Truppen die »Pufferzone«, die den besetzten Teil des Golan von Syrien trennt, weiterer Siedlungsbau ist bereits geplant. Die israelische Armee rückte in Gebiete in der Nähe von Damaskus vor. Die Übergangsregierung schwieg zunächst dazu, während die Länder der Region und die Arabische Liga die Angriffe und die neuerliche Besetzung – wenn auch folgenlos – verurteilten.

Erst später verlangte auch die Übergangsregierung in Schreiben an die UNO ein Ende der israelischen Angriffe und Maßnahmen, um Israel zum Rückzug aus den neu besetzten Gebieten zu zwingen.

Zugleich betonte der Führer der Dschihadisten zur Freude von Benjamin Netanjahu, der Sturz von Assad sei »ein Sieg« über das »gefährliche Projekt des Iran in der Region«.

Auch die türkische Regierung, die von Anfang an den Krieg gegen Syrien forciert hatte, profitiert vom Sturz Assads. Recep Tayyip Erdogan, der wegen der wirtschaftlichen Probleme und den Folgen des Erdbebens von 2023 innenpolitisch unter Druck steht, nutzt die Situation. Er deutet die Annexion von Teilen Syriens an – während er zugleich von der territorialen Integrität Syriens spricht. Aber das gilt möglichen kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen.

Türkische Truppen stehen im Nordwesten Syriens, ihre Verbündeten von der »Syrischen National-Armee« kämpfen gegen die kurdischen »Demokratischen Kräfte Syriens« (SDF) und besetzten unter anderem die Stadt Manbidsch. Die »SDF« zogen sich hinter den Euphrat zurück.

Auch im Nordosten Syriens geraten die »SDF« unter Druck. Nur kurzzeitig besetzten sie die Stadt Deir ez-Zor, die mittlerweile offenbar unter Kontrolle der »National-Armee« steht. Weiterhin droht Erdogan mit der vollständigen Zerstörung der »SDF«. Der türkische Geheimdienstchef verhandelte in Damaskus bereits mit den neuen Machthabern.

Rußland führte mittlerweile ebenfalls direkte Verhandlungen mit HTS über den Status seiner Militärbasen in Syrien – wenn auch mit ungewissem Ausgang.

Die USA, die die Sanktionen gegen Syrien weltweit durchgesetzt hatten, sprechen von deren Ende. Und Deutschland, das jahrelang jegliche Unterstützung für die Menschen in Syrien unterlassen hatte, stellt nach dem Sturz von Assad Geld in Aussicht und spricht wie die EU auf einmal wieder von »Diplomatie«. Die Sanktionen als Druckmittel gegen die Bevölkerung Syriens haben ihr Ziel erreicht.