Ausland21. Oktober 2025

Unsicherheit in Gaza hält an

Viele Tote bei israelischen Angriffen trotz Waffenruhe

von Karin Leukefeld

Israel bombardiert erneut den Gazastreifen. Eine elfköpfige Familie, darunter sieben Kinder und zwei Frauen gehören ebenso zu den Opfern, wie ein Mitarbeiter der palästinensischen Produktionsfirma PMP, die auch für den deutschen Fernsehsender ZDF arbeitet. Mit ihm starb der achtjährige Sohn eines anderen Mitarbeiters, ein weiterer Mitarbeiter wurde verletzt.

Auch im Norden und im Zentrum des Gazastreifens sind Palästinenser bei israelischen Angriffen getötet worden. Im Norden hätten sich in dem Shujayea-Viertel der Stadt Gaza Palästinenser israelischen Soldaten genähert, die jenseits der Rückzugslinie stationiert waren, teilte die Pressestelle der israelischen Armee mit. Angeblich sollen sie die »gelbe Linie« übertreten haben und »eine Gefahr für die israelischen Soldaten« dargestellt, daher seien sie erschossen worden.

Unter Berufung auf die offizielle Pressestelle in Gaza und Angaben des Al-Awda-Krankenhauses im Norden von Gaza berichtet der katarische Nachrichtensender Al Jazeera, daß Israel seit dem offiziellen Inkrafttreten der Waffenruhe am 10. Oktober diese 80 Mal gebrochen habe. Dabei seien mindestens 97 Palästinenser getötet und 230 Personen verletzt worden.

Israel beharrt auf Kontrolle

Die israelische Armee gibt an, sich zu verteidigen, wie eine Sprecherin vor Journalisten sagte. Die Armee sei bei Rafah von palästinensischen Kämpfern angegriffen worden, dabei seien zwei Soldaten getötet worden. Die Hamas wies den Vorwurf einer Schuld oder Beteiligung zurück. Die israelische Armee hat den Süden des Gazastreifens – den Philadelphi-Korridor und den Grenzübergang Rafah – komplett abgeriegelt. Dort operieren bewaffnete Kräfte des Abu-Shabab-Clans, die erklärte Gegner der Hamas sind und mit Israel kooperieren. Die Zusammenarbeit wurde von Netanjahu persönlich Anfang Juni eingeräumt.

Dem Abu-Shabab-Clan, der eher einer Söldnertruppe gleicht, wird auch nachgesagt, mit dem »Islamischen Staat« (IS) bei Angriffen auf Ägypten im Sinai zusammengearbeitet zu haben. Seit Monaten werden dem Clan zahlreiche Plünderungen von Hilfsgütern zugeordnet, die über den südlichen Grenzübergang Kerem Shalom während des Krieges den Gazastreifen erreichten. Die Hilfsgüter werden für den eigenen Bedarf benutzt, teilweise aber auch teuer weiterverkauft.

Die Hamas, die seit dem Waffenstillstand wieder die Kontrolle über den Teil des Gazastreifens übernommen hat, der nicht von Israel besetzt ist, geht mit Gewalt und Hinrichtungen gegen die Abu Shabab und andere Clans vor, die während des Krieges mit Israel kooperiert haben und von Israel finanziert und auch bewaffnet wurden. Die USA-Administration ist über das Vorgehen der Hamas informiert, wie Präsident Donald Trump vor Journalisten auf dem Flug nach Tel Aviv am 13. Oktober erklärte. Sie müßten in dem Gebiet für Ordnung sorgen, sagte er.

Netanjahu-Regierung droht mit Angriffen

Der israelische Kriegsminister hat der Hamas wiederholt mit der Wiederaufnahme der Angriffe gedroht, sollten sie nicht alle Leichname der in Gaza verstorbenen Israelis innerhalb einer angeblich vereinbarten Frist von 72 Stunden übergeben. Die Hamas hatte allerdings schon bei den Verhandlungen über den »20-Punkte-Plan« darauf hingewiesen, daß für die Bergung der Leichname Zeit und vor allem auch schweres Räumgerät erforderlich sei, da sie – wie auch Tausende getöteter Palästinenser – unter Trümmern lägen.

Während die Hamas bisher den Tod von Israelis mit den schweren Bombardierungen der israelischen Armee oder auch den Tod nach Verletzungen oder Krankheit angab, heißt es allgemein in westlichen Medien, die Menschen seien getötet worden. Die offiziellen Angaben über die Todesursache der im Gazastreifen festgehaltenen Israelis stammen ausschließlich von israelischer Seite. Die forensischen Untersuchungen der sterblichen Überreste werden nicht von einem unabhängigen Institut oder dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz vorgenommen, sondern vom Nationalen Institut für Forensische Medizin (Abu Kabir) vorgenommen.

Dabei werden nach Angaben des Instituts gegenüber israelischen Journalisten nicht näher bezeichnete »moderne Technologien, Fingerabdrücke, Zahnuntersuchungen und DNA-Untersuchungen« vorgenommen. Die Untersuchung könne nach Angaben von Institutsdirektor Chen Kugel bis zu mehreren Tagen dauern. Man wolle verstehen, was mit den Personen vor deren Tod geschah, »um die Familien vollständig zu informieren«. Die Untersuchungsergebnisse gehen aus dem Institut zunächst zum israelischen Gesundheitsministerium und den »Verteidigungseinrichtungen«, heißt es in der »Times of Israel«. Die Familien würden persönlich informiert.

Der israelische Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir forderte Ministerpräsident Netanjahu öffentlich auf, die Angriffe auf den Gazastreifen »mit aller Härte« wieder aufzunehmen, berichtete die »Times of Israel« am Sonntag. Die »terroristische Nazi-Organisation muß komplett zerstört werden, je schneller, desto besser«, so der Minister. Bereits zuvor hatte Ben Gvir im israelischen Nachrichtensender Kanal 12 erklärt, er habe Netanjahu eine Frist gegeben, um die Hamas aufzulösen und »gegen die Terroristen die Todesstrafe zu verfügen«. Sollten seine Bedingungen nicht erfüllt werden, werde er und seine Partei Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) aus der Regierung austreten.

Ben Gvir gehört zu den rechtsextremen Ministern der Netanjahu-Regierung. Otzma Yehudit vertritt eine rechtsextreme und anti-arabische Position und beruft sich auf den 1990 in New York erschossenen rechtsextremen und rassistischen Rabbiner Meir Kahane, der auch von israelischen Oppositionellen als »jüdischer Nazi« bezeichnet wird. Ziel der Partei ist ein jüdisch-theokratisches »Groß-Israel«.

Trump und die Milliardärin

Inmitten der zugespitzten Situation wurde bekannt, daß die beiden Unterhändler von USA-Präsident Donald Trump, der Anwalt und Immobilienspekulant Steve Witkoff und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, erneut in Israel eingetroffen sind. Ihre Aufhabe sei es, die Waffenruhe auf israelischer Seite zu kontrollieren. Erwartet wird, daß beide Unterhändler Mitglieder der Netanjahu-Regierung treffen werden. Berichten zufolge habe der Bauunternehmer Kushner bereits die israelische Regierung aufgefordert, »mehr zu tun, um den Palästinensern zu helfen«. Das sei er erforderlich, wenn Israel einen »nachhaltigen Frieden« wolle.

Die Trump-Regierung und insbesondere auch Trump-Schwiegersohn Kushner gelten als die größten Unterstützer Israels. Bei seiner Rede vor dem israelischen Parlament am 13. Oktober hatte Donald Trump ausdrücklich der unter den Abgeordneten anwesenden US-amerikanischen Milliardärin Miriam Adelson gedankt, die gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Sheldon Adelson mit großen Geldgeschenken für seine Wahlkampagne zu seiner Wiederwahl beigetragen hatte. Sheldon Adelson hatte als Vorsitzender der Las Vegas Sands Corporation das größte Kasino Imperium in Las Vegas angesiedelt. Einen großen Teil seines Vermögens setzte Sheldon zur Unterstützung konservativer Politiker ein, um politische Unterstützung Israels durch die USA sicherzustellen.

Miriam und Sheldon Adelson hätten mit ihren »vielen Besuchen im Weißen Haus« die Politik der USA gegenüber Israel »erheblich beeinflußt«, so Trump. Ihr Mann sei »sogar durch das Fenster« im Weißen Haus eingestiegen, um seinem Anliegen Nachdruck zu verschaffen, so Trump in der Knesset. Miriam Adelson habe »60 Milliarden Dollar auf der Bank«, so Trump. »Ich glaube, sie sagt: ‚Nein, mehr‘«, woraufhin die Anwesenden nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters gelacht hätten. Trump lobte Miriam Adelson als »eine wunderbare Frau«, deren Hingabe so tief war, daß sie sich einmal weigerte zu sagen, wen sie mehr liebte – Israel oder die Vereinigten Staaten.

USA-geführtes Zivilmilitärisches Zentrum

Zur Überwachung des Waffenstillstandsabkommens im Gazastreifen haben die Streitkräfte der USA mittlerweile eine Kommandozentrale nordöstlich des Gazastreifens in Israel eingerichtet. Nach Berichten von Medien der USA, die sich auf Armeeangaben berufen, soll die Zentrale in wenigen Tagen einsatzbereit sein. Koordiniert werden sollen dort »alle Sicherheitsfragen«, die humanitäre Hilfe und Maßnahmen zum Wiederaufbau im Gaza. Der Einsatz wird von einem US-amerikanischen Drei-Sterne-General geleitet, dessen Namen bisher nicht bekannt ist. Er werde einen »ausländischen Vertreter« haben, dessen Dienstgrad dem eines Zwei-Sterne-Generals entsprechen solle. Der Ort der Zentrale werde aus Sicherheitsgründen geheimgehalten, befinde sich aber nicht auf einer israelischen Militärbasis. So solle sichergestellt werden, daß auch Vertreter aus Ländern, die sich am Aufbau von Gaza beteiligen wollten, das Zentrum aufsuchen könnten.

Deutschland, daß mit Kanzler Friedrich Merz, Außenminister Johan Wadephul und Entwicklungshilfeministerin Reem Alabali Radovan seit Monaten deutlich macht, beim Geschäft mit dem Wiederaufbau von Gaza ganze vorne mit »aufgekrempelten Ärmeln« dabei sein zu wollen, schickt Offiziere der Bundeswehr in das von den USA geführte Kontrollzentrum in Israel.

NATO-Staaten mit dabei

Das Internetportal »Augen geradeaus« berichtete am Freitag, die deutsche Bundeswehr werde sich an der Überwachung des »Friedensplans« und der Koordination der humanitären Hilfe »nach Ende der Kampfhandlungen« beteiligen. Das Bundesverteidigungsministerium habe mitgeteilt, drei Offiziere der Bundeswehr nach Israel zu entsenden, um an der Seite der USA-Armee im »Civil Military Coordination Centre« (CMCC) zu arbeiten. Unter den drei Offizieren seien zwei Stabsoffiziere und ein Brigadegeneral. In der offiziellen Erklärung des Ministeriums heißt es, die Offiziere würden »uniformiert, aber unbewaffnet« eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehörten »die Überwachung des Waffenstillstands sowie die Beseitigung von Kriegslasten und die Koordinierung von humanitären Hilfeleistungen. Darüber hinaus soll die Integration, Ausbildung und logistische Unterstützung der International Stabilisation Force koordiniert werden.«

Das CMCC habe bereits die Arbeit aufgenommen und bestehe aus »rund 200 Soldatinnen und Soldaten«. Die Entsendung der Bundeswehrsoldaten bedürfe »keiner gesonderten Mandatierung, da keine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten« zu erwarten sei. Auch »Partner« der Bundeswehr beteiligten sich am CMCC, hieß es.

Mit »Partner« sind vermutlich NATO-Mitgliedstaaten sowie Israel und einige der arabischen und Golfstaaten gemeint, die mit der NATO durch Partnerschafts- und andere Sondervereinbarungen verbunden sind.

Palästinenser spielen bei dem »20-Punkte-Plan« keine Rolle.