Mogelpackung für den Irak
Der angekündigte Truppenabzug der USA zum Jahresende 2021 findet nicht statt.
Seit 18 Jahren befinden sich USA-Truppen im Irak. Beim Einmarsch im März 2003, der mit dem Sturz des damaligen Präsidenten Saddam Hussein und der Regierung sowie der Auflösung der irakischen Armee endete, waren rund 192.000 USA-Soldaten im Einsatz. Weil der Angriff vom UNO-Sicherheitsrat nicht unterstützt wurde und damit völkerrechtswidrig war, begleitete die USA-Armee eine »Koalition der Willigen« von bis zu 45 Staaten, wie der damalige USA-Außenminister Colin Powell erklärte. Allerdings schickten nicht alle von ihnen Soldaten in den Irak. Mit von der Partie waren jedoch 70.000 nordirakische kurdische Peschmerga, die den USA-Truppen den Weg nach Bagdad von Norden her ebneten.
Als offiziellen Grund für die Invasion hatte die Regierung von USA-Präsident George W. Bush die »Zerstörung von irakischen Massenvernichtungswaffen« genannt, die – wie sich bald herausstellte – gar nicht existierten. Bush kündigte am 1. Mai 2003 an, die »Mission« sei »erfüllt« und die Bürger des Landes würden zukünftig in einem »freien und friedlichen Irak in Wohlstand und Demokratie« leben.
Was folgte war die USA-Besatzung. Die führte zu bewaffnetem Widerstand gegen die USA-Truppen, wobei bestimmte Gruppierungen auch mit Al Qaida verbunden waren. Mit der Sprengung der Al Askeri Moschee in Samarra 2006 wurde aus dem Widerstand ein blutiger Krieg zwischen schiitischen und sunnitischen Irakern. Die Moschee, die wegen ihrer weithin sichtbaren goldenen Kuppel auch »Goldene Moschee« genannt wird, beherbergt einen schiitischen Schrein. Die Sprengung konnte nur als gezielte Provokation verstanden werden.
2011 kündigte USA-Präsident Barack Obama den Rückzug der Kampfverbände der USA aus dem Irak an, die aber mit dem Erstarken des »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« schon 2014 in den Irak zurückkehrten.
Beim NATO-Gipfel im September 2014 wurde die USA-Truppe im Irak unter Beteiligung weiterer NATO-Staaten zu einer von den USA geführten »Internationalen Anti-IS-Allianz« ausgeweitet. Kurz darauf begann diese Allianz mit der massiven Bombardierung von angeblichen »IS-Stützpunkten« im Osten Syriens. Tatsächlich wurden syrische Ölförderanlagen in den Provinzen Deir Ez-Zor und Hasakeh bombardiert, die der »IS« besetzt hatte. Der Einsatz wurde begleitet von massiver hybrider Kriegsführung, in die zivile Hilfsorganisationen, Cybertechnik, Geld- und Waffenlieferungen an »moderate bewaffnete Oppositionelle in Syrien« und ethnische und religiöse Gruppen eingebunden war. Eine herausragende Rolle kam dabei einem von NATO-Staaten gesteuerten Medienkrieg zu.
Der Kampf gegen den »IS« wendete sich mit dem Eingreifen der russischen Streitkräfte im September 2015. Rußland ging ein Bündnis mit Syrien, Irak, Iran und der libanesischen Hisbollah ein, und der »IS« zog sich aus Syrien allmählich Richtung Mossul im Nordirak zurück.
Auch kurdische Einheiten, die von den USA und der von ihnen geführten »Anti-IS-Allianz« bewaffnet und unterstützt wurden, kämpften erfolgreich gegen den »IS« und übernahmen schließlich – unter dem Schutz der USA-Armee – die Kontrolle der zuvor vom »IS« besetzten syrischen Ölfelder.
Das Land nördlich und östlich des Euphrat wurde durch die »Anti-IS-Allianz« de facto vom Rest Syriens abgeteilt. Damit wurde Syrien der Zugang zu seinen nationalen Ressourcen – Öl, Gas, Weizen, Baumwolle, Wasser – entzogen, ebenso die Kontrolle der syrisch-irakischen Grenze durch die syrische Armee. Im Süden Syriens, im Dreiländereck Syrien-Irak-Jordanien errichteten USA- und andere NATO-Truppen am Grenzübergang Al Walid/Al Tanf eine Militärbasis, wo eine Armee von Regierungsgegnern ausgebildet wird. Obwohl der »Islamische Staat« mittlerweile geschwächt und aufgerieben ist, dient er weiterhin als Begründung dafür, daß die von den USA geführte »Anti-IS-Allianz« weder den Irak noch Syrien zu verlassen gedenkt.
»Ausbilden und beraten« auf unbestimmte Zeit
Ende Juli hieß es nun, daß die USA-Truppen noch vor Ende des Jahres 2021 aus dem Irak abgezogen werden sollten. Die »Kampfmission« sei zu Ende, erklärte USA-Präsident Joe Biden, der sich im Weißen Haus mit dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Khadimi getroffen hatte. Dieser hatte schon länger erklärt, daß der Irak auf seinem Territorium keine ausländischen Kampftruppen mehr brauche.
Die Ankündigung des USA-Präsidenten kam ihm recht, zumal im Irak im Oktober Wahlen anstehen. Nach offiziellen Angaben halten sich aktuell noch rund 2.500 USA-Soldaten im Irak mit dem Auftrag auf, die irakischen Truppen beim Kampf gegen die »Reste des Islamischen Staates« zu unterstützen. Allerdings ist davon auszugehen, daß die tatsächliche Zahl der bewaffneten Besatzer deutlich höher ist, zumal eine unbekannte Zahl von privaten »Sicherheitsdienstleistern« aus den USA in unbekannter Stärke in der Region aktiv ist.
Präsident Biden konkretisierte gegenüber Premier Al-Kadhimi, daß die US-amerikanisch-irakische »Anti-Terror-Kooperation fortgesetzt wird, auch wenn wir in eine neue Phase eintreten«. Die USA-Soldaten würden bleiben und sollten die irakische Armee nunmehr »ausbilden und beraten«, und zwar »auf unbestimmte Zeit«. Das »Wall Street Journal« zitierte einen namentlich nicht genannten »Offiziellen« mit den Worten, es gehe nicht um eine »zahlenmäßige Anpassung« (gemeint ist ein Truppenabzug) sondern um »eine funktionelle Klarstellung darüber, was die Truppen tun sollen«.
Viele Iraker fordern den Abzug der USA spätestens seit dem gezielten Drohnenangriff durch USA-Truppen auf den iranischen General Kasim Soleimani Anfang Januar 2020 am Flughafen von Bagdad. Das Parlament verabschiedete nach dem Mord, dem auch zahlreiche Iraker zum Opfer fielen, eine Resolution, die den kompletten Abzug und aller Streitkräfte der USA und der von den USA geführten »Anti-IS-Allianz« aus dem Irak und aus der Region forderte.
Die USA-Administration und ihre NATO-Verbündeten denken jedoch nicht daran, die militärische Präsenz in der Region aufzugeben. Auch wenn USA-Militärbasen im Irak offiziell reduziert oder anderen Kräften – den kurdischen Peschmerga, der irakischen Armee oder der NATO – unterstellt werden, werden mindestens 2.500 USA-Soldaten bleiben und lediglich einen anderen Auftrag erhalten. Sie sollen »ausbilden und beraten« – und zwar für immer. Zu ihrer Unterstützung hat die NATO im Frühjahr 2021 die Aufstockung ihrer bewaffneten Präsenz im Irak von bisher 400 auf bis zu 4.000 Soldaten beschlossen.
Doch nicht nur im Irak werden USA-Truppen bleiben. Zehntausende sind in den arabischen Golfstaaten und in Jordanien stationiert. Seit 2014 haben die USA zudem im Nordosten Syriens unter Bruch des Völkerrechts Basen aufgebaut und schaffen mindestens wöchentlich in Konvois mit bis zu 80 Fahrzeugen Logistikmaterial und Ausrüstung aller Art über den Nordirak nach Syrien, um diese Basen auszubauen. Bei Rakka halten sie einen Flughafen der syrischen Armee besetzt und achten darauf, daß die Teilung Syriens entlang des Euphrat aufrechterhalten bleibt. Die illegale Militärbasis der USA und der NATO bei Al Tanf/Al Walid im Süden Syriens blockiert weiter den syrischen Grenzübergang in den Irak.