Vor 65 Jahren erschienen
»Der Leopard« von Tomasi di Lampedusa
Den von Luchino Visconti verfilmten »Gattopardo« will der US-amerikanische Regisseur Tom Shankland in einer Serie neu herausbringen
In Italien erinnert man sich derzeit daran, daß 1958 der weltberühmte Roman »Der Leopard« von Giuseppe Tomasi di Lampedusa erschien. Es war der einzige Roman, den Lampedusa verfaßte und er erschien erst ein Jahr nach seinem Tod 1957. Erst 1954 hatte Lampedusa sich ans Schreiben gemacht. Er erfuhr schon kurz darauf von seiner Erkrankung an Lungenkrebs. Daß er das Werk trotzdem vollendete, war eine übermenschliche Leistung.
Der Verlag Mondadori hatte den Roman abgelehnt. Der Verleger Giangiacomo Feltrinelli erkannte allerdings seine Bedeutung und brachte ihn in seinem Verlag heraus. Der sofort in zwölf Sprachen übersetzte Roman wurde ein Welterfolg, und schon ein Jahr später wurde er mit dem »Premio Strega«, dem wichtigsten Literaturpreis Italiens, ausgezeichnet.
Zur Berühmtheit von Lampedusas »Leopard« trug seine Verfilmung 1963 durch Luchino Visconti bei. Der französische Schriftsteller Louis Aragon sagte, »Der Leopard« sei »mehr als nur ein schönes Buch, er ist einer der großen Romane dieses Jahrhunderts, ein Roman, der bleiben wird«.
Das trifft offensichtlich auch heute noch zu. Denn in der ersten Juliwoche erregte der US-amerikanische Regisseur Tom Shankland Aufsehen mit der Ankündigung, Lampedusas berühmten »Leopard« in einer Serie »neu zu verfilmen«. Die Serie werde »kein Remake von Viscontis Film oder eine Nachahmung« sein, sich aber »am Roman von Tomasi di Lampedusa orientieren, den ich seit meiner Kindheit Dutzende Male gelesen, studiert und geliebt habe«, erklärte der Regisseur, der Serien wie »Die Schlange« oder »Les Miserables« herausgebracht hat.
Der Leopard, italienisch »Gattopardo«, die geschmeidige, immer zum Sprung bereite Raubkatze, war das Wappentier der Familie der Salinas, der Lampedusa entstammte. Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, war sein Urgroßvater. Er verkörpert in dem Roman den sizilianischen Hochadel in der bürgerlichen Revolution, die 1860 ihrem Dreiviertelsieg und damit dessen politischer Niederlage entgegengeht.
Giuseppe Garibaldi landet auf Sizilien, besiegt die Armee der Bourbonen, befreit ganz Süditalien und ist im Begriff, auf Rom zu marschieren. Für Fürst Salina sind die Piemontesen der Feind des Königreichs beider Sizilien, das sie sich einverleiben wollen. Er versteht nicht, wie sein Neffe, Don Tancredi, als Offizier in der Kavallerie des Revolutionsgenerals dienen kann. Der erklärt ihm, warum er die Fahne gewechselt hat. »Sind nicht auch wir dabei, so denken die Kerle sich noch die Republik aus. Wenn wir wollen, daß alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß sich alles verändert.«
Im Gegensatz zu Deutschland ergriff in Italien zwar die Bourgeoisie die Macht. Im Königreich Piemont im Norden beheimatet, führte sie den »Kompromiß von oben« herbei und garantierte dem Feudaladel seinen Besitz. Fürst Salina arrangiert sich mit den neuen Herren und verheiratet Tancredi mit Angelica, der Tochter des bourgeoisen Bürgermeisters, bei der »Vermögen mit Schönheit« verbunden ist. Die riesigen Ländereien des Fürsten werden wie die der Latifundistas insgesamt nicht angerührt, die Feudalschicht, die nur bedingt politisch entmachtet wird, behält ihren großen Einfluß auf das geistig-gesellschaftliche Leben, und viele Aristokraten werden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu einer wichtigen Stütze des Faschismus.
Tomasi di Lampedusa ging auf die Verwurzelung seiner frommen Vorfahren in den klerikalen Hierarchien der katholischen Kirche ein und führte die bigotte Prüderie der Gattin des Fürsten vor: »Sieben Kinder habe ich mit ihr gehabt, sieben; und nie habe ich ihren Nabel sehen können«, beklagt sich Fabrizio Corbera. »Wie sollte ich mich begnügen mit einer Frau, die sich im Bett vor jeder Umarmung bekreuzigt und hernach, in den Momenten größter Erregung, nichts zu sagen weiß als: Jesusmaria«. Im verrufenen Viertel von Palermo findet Fabrizio Trost bei Mariannina, die »ihm nichts versagt« und sich mit dem »Riesenfürst« vergnügt. Zwar fühlt er sich danach wie »ein Schwein«, aber Gewissensbisse vertreibt er mit der Beichte bei Pater Pirrone.
Mit Luchino Visconti verfilmte 1962/63 ein bereits im Genre des Neorealismus berühmt gewordener Regisseur den »Gattopardo«. Aus über einem Dutzend seiner Filme ragte »Sehnsucht« (1955), »Die weißen Nächte« (1956), »Rocco und seine Brüder« (1960, in Cannes ausgezeichnet), hervor. Einigen dieser Filme hatte die einzigartige Claudia Cardinale zusätzlichen Glanz verliehen. Mit ihr und Burt Lancaster sowie Alain Delon besetzte Visconti auch die Hauptrollen des »Leopard«.
Er gestaltete ein farbiges, geschichtsträchtiges Gemälde über die Herstellung der Einheit Italiens. Erbitterte Kämpfe zwischen Garibaldis Rothemden und den bourbonischen Königstruppen, darunter die Erschießung von Aufständischen, kontrastierten mit rauschenden Ballszenen. Der Film erregte, nicht zuletzt durch seine widersprüchlichen Reaktionen in Italien, außergewöhnliche Aufmerksamkeit.
Während die dem Adel verhafteten Schichten die Abrechnung mit ihresgleichen verurteilten, befand die Italienische Kommunistische Partei (PCI) vor allem die nicht erfolgte Enteignung der Latifundistas mit den daraus erwachsenden sozialen Fragen als zu wenig beachtet. PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti lobte den Film dennoch als »großes Kunstwerk« und entschärfte die Proteste, was später zu einer Korrektur dieser Kritik führte.
In Italien ist man nun gespannt, was Tom Shankland auf der Grundlage des Romanstoffes bieten wird.