Schützenpanzer oder Marzipankartoffeln?
Im Kapitalismus werden Güter vorrangig danach beurteilt, wieviel Profit sie einbringen. Ließe sich wie bei Loriot mit Marzipankartoffeln mehr Profit machen als mit Schützenpanzern, würde angewiesen, erstere herzustellen und zu vertreiben. Weil dem aber meist nicht so ist, werden letztere hergestellt.
In einer Art umgekehrten Rüstungskonversion werden derzeit insbesondere in Deutschland Betriebe, in denen bislang – zum Teil seit 150 und mehr Jahren – Fahrzeuge und andere zivile Industriegüter produziert wurden, in Rüstungsunternehmen umgewandelt, in denen dann Panzer, Panzerzubehör, Kriegsschiffe und andere Militärgüter hergestellt werden.
So malt sich der Kölner Motorenhersteller Deutz höhere Gewinnchancen aus, wenn er künftig Motoren für Radpanzer statt für Landmaschinen herstellen läßt. Die Meyer-Werft im norddeutschen Papenburg könnte künftig Kriegs- statt Kreuzfahrschiffe produzieren. Und am gestrigen Mittwoch wurde in Görlitz im Beisein von SPD-Kanzler Scholz erklärt, nach mehr als 175 Jahren werde der Waggonbau in der sächsischen Stadt beendet.
Das zuletzt dem französischen Alstom-Konzern gehörende Werk für zivile Schienenfahrzeuge wie Schnellzugtriebwagen, Doppelstockwaggons oder Straßenbahnen werde vom Rüstungskonzern KNDS (einer Holding aus Krauss-Maffei Wegmann aus Deutschland und Nexter aus Frankreich) weitergeführt, der mit 580 der zuletzt noch rund 700 Beschäftigten in Görlitz ab nächstem Jahr Teile für seinen Kampfpanzer »Leopard 2«, seinen Schützenpanzer »Puma« und seinen Radpanzer »Boxer« herstellen lasse.
Daß es auch andersherum geht, haben Arbeiter und Techniker des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace Corporation unter Beweis gestellt. Als Anfang der 70er Jahre in 17 Fabriken des Konzerns Massenentlassungen drohten, weil die Regierung in der damaligen Energiekrise die Rüstungsausgaben herunterfuhr, entwickelten die Arbeiter und Techniker nach Feierabend gut 150 alternative zivile Produkte, die sie mit ihren Fähigkeiten und den vorhandenen Maschinen in den bisherigen Waffenfabriken hätten herstellen können.
Ihr dem Management und der Öffentlichkeit im Januar 1976 präsentierter »Lucas Aerospace Shop Stewards Alternative Corporate Plan« sah unter anderem den Bau von medizinischen Geräten wie tragbaren Dialysegeräten und Ultraschallapparaten, von Windkraftwerken und Wärmepumpen sowie eines Busses vor, der sowohl auf Schienen als auch auf der Straße fahren kann.
Die britische Friedensbewegung stellte sich hinter die Lucas Aerospace Shop Stewards, doch das Konzernmanagement, die Labour-Regierung und die Spitzen der dem Phantom »Sozialpartnerschaft« hinterherlaufenden Gewerkschaften hintertrieben gleichermaßen diesen mutigen und ganz und gar unerhörten Ansatz der Alternativproduktion autonom handelnder Arbeiter.
Dennoch sorgte das Beispiel für Aufsehen. Die Lucas Aerospace Shop Stewards, von denen bei einer von den 17 Betriebsräten ganz zu Anfang organisierten Fragebogenaktion »kein einziger« erklärte, er sei gerne im Rüstungsbereich tätig, wurden zu ungezählten Gewerkschaftstagungen in Europa und Nordamerika eingeladen, um das Was, das Wie und das Wozu der Produktion radikal in Frage zu stellen.
Um eine grundsätzliche Kritik an Produktion und Verkauf von Kriegsgerät – also Mordwerkzeug – wird auch die heutige Friedensbewegung nicht herum kommen.