Ausland20. März 2025

Brüsseler Geberkonferenz steht zu Syrien

Zusage für Hilfsgelder rund ein Drittel zurückgegangen

von Karin Leukefeld, Beirut

Bei der 9. Brüsseler Konferenz »Zu Syrien stehen« haben Vertreter mehrerer Staaten auf Ministerebene, von staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen am Montag versprochen, 5,8 Milliarden Euro zu zahlen, um »die Folgen des Syrienkrieges abzumildern«. 4,2 Milliarden Euro werden als Zuschüsse gegeben, 1,6 Milliarden Euro sollen als Kredite ausgezahlt werden. Neben EU-Staaten nahmen die Außenminister der Nachbarländer Syriens und anderer »EU-Partnerländer« teil. Auch aus den arabischen Golfstaaten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Saudi-Arabien nahmen Vertreter teil. Syrien war durch den von der HTS-Führung eingesetzten »Außenminister« Assad al-Shaibani vertreten. Auch die UNO und diverse Finanzorganisationen nahmen teil, darunter IWF und Weltbank.

»Europa« mit sich selbst zufrieden

Die EU-Außenbeauftragte Kallas zog im Anschluß gemeinsam mit al-Shaibani auf einer Pressekonferenz ein positives Resümee. Die EU plant noch im diesem Jahr eine Versammlung mit der »Zivilgesellschaft« in Syrien durchzuführen. Man wolle daran erinnern, daß die EU von Beginn des Syrienkrieges 2011 »an der Seite der syrischen Bevölkerung gestanden« habe.

Die zugesagten Zahlungen sollen im Zeitraum 2025/26 erfolgen und »die Anforderungen für einen erfolgreichen Übergang erfüllen«, hieß es im Titel der Konferenz. Größter Geber mit 2,5 Milliarden Euro ist die EU, einzelne EU-Mitgliedstaaten haben die Zahlung von weiteren 900.000 Millionen Euro zugesagt. Das Geld soll an die Regierungen und an staatliche Institutionen in der Türkei, im Libanon, in Jordanien und im Irak gegeben werden, wo seit Jahren die größte Zahl syrischer Flüchtlinge versorgt wird.

Im Vergleich zur 8. Geberkonferenz 2024, sind die zugesagten Hilfsgelder um 29 Prozent zurückgegangen. Damals wurden 7,5 Milliarden Euro zugesagt, von denen allerdings nur 35 Prozent tatsächlich ausgezahlt wurden. Allgemein ist seit Jahren in der Region ein realer massiver Rückgang der Hilfsgelder zu verzeichnen.

Die USA waren zwar in Brüssel anwesend, machten aber keine konkrete finanzielle Zusage. Man werde selber entscheiden, wen die USA in Syrien zukünftig finanziell unterstützen, hieß es. Vermutlich wird Washington an die Organisationen und Institutionen Geld geben, denen es vertraut und die vermutlich mit USA-Hilfe aufgebaut wurden. Allerdings soll USAID, einer der bisher wichtigsten Geldgeber vor allem im kurdisch kontrollierten Nordostsyrien, nach dem Willen von Präsident Donald Trump die Arbeit einstellen. Die USA-Vertreterin forderte zudem andere Staaten auf, einen Teil der finanziellen Last zu schultern, die bislang die USA getragen hätten.

Mißtrauen gegenüber Al-Sharaa

Hintergrund der finanziellen Zurückhaltung der USA ist ein massives Mißtrauen Washingtons gegenüber der HTS-Führung, die als Nachfolger von Al Qaida angesehen wird. Sowohl »Hayat Tahrir al-Sham« (HTS), als auch deren verschiedene Vorgängerorganisation bis hin zur »Nusra-Front«, sind bis heute als Terrororganisationen gelistet. Einzelne bewaffnete Gruppen, die der HTS-Allianz angehören, ebenso. Auch »Interimspräsident« Ahmed al-Sharaa steht auf einer internationalen Terror-Liste.

Unter dem Namen Abu Mohammed al Golani hatte al-Sharra 2012 die Nusra-Front als Ableger der Al Qaida in Syrien gegründet. Deren Gewalttaten füllen Ordner und sind nicht nur in Syrien nicht vergessen. Unmittelbar nach dem Umsturz in Damaskus am 8. Dezember bekam Ahmed al-Sharaa Besuch von Barbara Leaf, der Ministerin für Angelegenheiten des Mittleren Ostens der USA. Dabei wurde ihm laut inoffiziellen Berichten deutlich gemacht, daß die USA ihm eine Frist zugestehen würden, in der er die Angelegenheiten Syriens regeln müsse, um weiterhin die Unterstützung der USA und ihrer Verbündeten in der Region, einschließlich Israel zu bekommen.

Die Rede war von sechs Monaten, die Al-Sharaa zugestanden wurden. Für diese Zeit sei seine Terrorlistung »ausgesetzt«. Wesentliches Ziel für al-Sharaa war und ist, daß die EU die ihre gegen Syrien verhängten Sanktionen ganz oder zumindest teilweise aufheben wird. Das wäre der Schlüssel für ihn, um Investoren ins Land zu locken und die umfassenden Privatisierungspläne für den Ölsektor und andere staatliche Produktionsbereiche umzusetzen.

Ob Al-Sharaa den Anforderungen der USA noch gerecht werden kann, ist fraglich. Mit den Massakern an Syrern alawatischen Glaubens in der Küstenregion Anfang März ist das Mißtrauen gegenüber der HTS-Führung deutlich gestiegen. Machtkämpfe innerhalb der Allianz nehmen zu, alte Gruppen wie »Jaish al Islam«, die Islamische Armee, sind nach Douma im Osten von Damaskus zurückgekehrt und reorganisieren dort ihre alten Machtstrukturen. Wie in den Jahren 2013-2016, auf dem Höhepunkt des Syrienkrieges, gibt es wieder Kämpfe zwischen »Jaish al-Islam« und der Nusra-Front. Stammesbasierte Gruppierungen aus der südwestlichen Provinz Deraa liefern sich ebenfalls mit der Nusra-Front bewaffnete Auseinandersetzungen.

Die Massaker in der Küstenregion setzen Al-Sharaa vor weitere Probleme. Positiv wurde in Brüssel vermerkt, daß man in Damaskus eine Untersuchungskommission eingerichtet habe. Aus Sicht der HTS war der Grund für die Menschenjagd ein Versuch ehemaliger Offiziere und Soldaten der bisherigen syrischen Armee, das Land mit einem bewaffneten Aufstand in einen neuen Bürgerkrieg zu stürzen. Der Iran, der Irak und die libanesische Hisbollah seien dafür verantwortlich, die angeblich den Aufstand unterstützt hätten. Alle wiesen die Vorwürfe zurück.

Sanktionen aufheben

Trotz allem will die EU zunächst an ihren Plänen zur Aufhebung von Sanktionen gegen das Land festhalten, erklärte die Außenbeauftragte Kallas am Montag. Wenn man weitere Gewalt verhindern wolle, müsse man »den Menschen in dem Land Hoffnung geben«. Der EU-Beschluß von Mitte Februar sieht vor, daß ausgewählte Sanktionen vorübergehend aufgehoben werden sollen. Kallas nannte als Beispiel den Zugang zu Bankdienstleistungen und genügend Mittel für die Auszahlung von Gehältern und Investitionen in Syrien. Strafmaßnahmen im Energie- und Transportsektor sollen gelockert werden, um eine rasche wirtschaftliche Erholung, den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Landes zu unterstützen. Offenbar hofft man in Brüssel, daß Hunderttausende syrische Flüchtlinge aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, nach Angaben des UNO-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) könnten 1,5 Millionen Syrer bereits in diesem Jahr in ihr Land zurückkehren. Zudem könnten möglicherweise weitere zwei Millionen syrische Binnenflüchtlinge in ihre Häuser zurück.

Hunderttausende entlassen

Befragt zu diesen Erklärungen sagte Elia Samman in Damaskus, er frage sich, ob man in Europa tatsächlich »so naiv« sei zu meinen, die Syrer aus Europa würden jetzt nach Syrien zurückkehren? Die wirtschaftliche Lage im Land sei so schlecht wie nie, berichtet der langjährige Oppositionspolitiker der Nationalen Sozialistischen Partei (SSNP) im Telefongespräch mit der Autorin. Nie in seinem Leben habe er gesehen, daß die Menschen in Syrien so verzweifelt gewesen seien, etwas zu essen zu bekommen. »Hunderttausende Menschen wurden entlassen«, so Samman. Alle hätten Familien ernährt und verfügten heute über kein Einkommen mehr.

Laut aktuellen Statistiken wurden 200.000 Personen aus der syrischen Armee entlassen, die aufgelöst wurde. 250.000 wurden aus der Polizei entlassen und 350.000 staatliche Angestellte verloren ihre Arbeit, so Samman. »Das sind Menschen, die kein Einkommen mehr haben. Sie haben 4-5 Millionen Menschen, ihre Familien, ernährt. Wovon sollen diese Menschen leben?!« Die »Interimsregierung« habe viele Versprechen gemacht, aber nichts gehalten. »Kein Strom, keine Unterstützung in der Bildung, in den Krankenhäusern, alles ist teuer geworden.«

Wenn man also in Europa meine, die Syrer würden zurückkehren, dann könne das möglicherweise sein, aber was wäre dann? »Gibt es ihr Zuhause noch, haben sie noch ein Haus, eine Wohnung? Werden sie arbeiten, essen, überleben können?« Vielleicht seien sie nicht mehr in Gefahr wie während des Krieges, aber das reiche nicht, um eine Familie zu ernähren. Die Syrer, die in Europa lebten, unterstützten ihre Familien in Syrien regelmäßig mit kleinen oder größeren Geldsummen, allein darum kämen sie schon nicht zurück nach Syrien. Sollte sich die wirtschaftliche Lage in Syrien nicht bessern, dann werde sich zusätzlich eine große Zahl Menschen auf den Weg nach Europa machen. »Nicht wegen des Krieges, sondern weil sie essen wollen.«