Auseinandersetzung um »Autostrada per Italia«
Premier Conte greift ein. Die Gesellschaft soll unter staatliche Kontrolle gestellt werden. Position für Brüssel gestärkt
Während dem italienischen Premierminister Giuseppe Conte nach dem EU-Gipfel am Wochenende in Brüssel neuer Streit mit der faschistischen Opposition über die Nutzung der EU-Kredite des sogenannten Wideraufbauplanes droht, scheint er die Auseinandersetzung über die Vergabe der Konzession zur Betreibung des neuen Abschnittes mit Autobahnbrücke in Genua an »Autostrade per l’Italia« (ASPI) den größten Autobahnbetreiber des Landes, zu einem zufriedenstellenden Abschluß gebracht zu haben.
Der Regierungschef – von Beruf her Jurist – habe die Verhandlungen »mit den Benettons« selbst geführt, betonte die Nachrichtenagentur ANSA am Donnerstag. Danach habe sein Kabinett beschlossen, ASPI unter staatliche Kontrolle zu stellen. Laut der Infrastrukturministerin Paola De Micheli vom sozialdemokratischen PD bedeute das »den vollständigen Ausstieg der Benettons aus ASPI«. Vorher war in Medien noch davon die Rede gewesen, der Konzern werde weiter 10 bis 12 Prozent seiner bisherigen Anteile von 88 Prozent behalten.
Die von Benetton kontrollierte ASPI wird für den Einsturz der alten vierspurigen Brücke der Autobahn A 10 am 14. August 2018 verantwortlich gemacht. Bei der Katastrophe waren 35 Autos und drei schwere Fahrzeuge von dem etwa 100 Meter langen abstürzenden Abschnitt mehr als 40 Meter in die Tiefe gerissen worden, 43 Menschen kamen ums Leben. Die ASPI wurde beschuldigt, aus Kostengründen über ein Jahrzehnt die Risiken eines Einsturzes der Brücke verschwiegen zu haben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind noch nicht abgeschlossen. Die Mauteinnahmen aus den rund 3.000 Autobahnkilometern, die ASPI unterhält, waren ein lukratives Geschäft.
Infrastrukturministerin De Micheli hatte der ASPI zunächst die Betreibung weiter gewährt, was auf scharfen Widerstand von M5S stieß. Der Koalitionspartner hatte von Anfang an gefordert, der Gesellschaft die Lizenz zu entziehen. M5S-Chef Vito Crimi hatte es eindeutig formuliert: »Die Brücke von Genua darf nicht wieder in die Hände der Benettons übergehen«.
In die jetzige Umstrukturierung soll das öffentliche Kreditinstitut Cassa Depositi e Prestiti einbezogen werden. Das ist eine Aktiengesellschaft, die zu etwa 83 Prozent vom Finanzministerium und zu ca. 16 Prozent von verschiedenen Bankstiftungen kontrolliert wird, also de facto eine staatliche Bank ist, vergleichbar der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Der Kabinettsbeschluß sieht eine Senkung der Mautgebühren, höhere Investitionen in Straßen, Brücken und Tunnel sowie verschärfte Kontrollen vor.
Über eine Appia Investments ist noch der deutsche Allianz-Versicherungskonzern an ASPI beteiligt. Wie er von den Entscheidungen in Rom betroffen ist und dazu steht, ist noch nicht bekannt.
Nach seinen Verhandlungen habe Premier Conte mit der Schlichtung der zwischen PD, M5S und der Partei Lebendiges Italien (IV) von Ex-Premier Matteo Renzi bestehenden Meinungsverschiedenheiten die Minister Roberto Gualtieri (Wirtschaft, PD) und Paola De Micheli (Infrastruktur, PD) beauftragt, »eine endgültige Vereinbarung zu definieren«, die jetzt vorliege.
Der parteilose Conte galt lange Zeit als ein Sympathisant der Fünf Sterne. Daß er den Auftrag zur schlußendlichen Regelung dieser brisanten Affäre jetzt ausschließlich den Sozialdemokraten übertrug, wird in Rom als ein weiteres Zeichen gesehen, daß er auf Distanz zum rechtslastigen Kurs von Außenminister Di Maio geht, der vergangene Woche mit dem ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, wie ANSA berichtete, die Möglichkeit eines Regierungswechsel mit dem Wirtschaftswissenschaftler und früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi als neuem Premierminister erörtert habe (die »Zeitung« berichtete).
Die nun geschlossene Vereinbarung beinhalte, daß ASPI eine Aktionsgesellschaft wird. Die revidierte Konzession reiche »von der Entschädigung bis zu den Tarifen«, und sehr mehr Investitionen – darunter eine Kapitalerhöhung zwischen 3 und 4 Milliarden Euro – und »mehr Sicherheit« vor. Das Projekt muß den beiden Kammern des Parlaments noch zur Abstimmung vorgelegt werden, die für nächste Woche vorgesehen ist. Di Maio scheint um Einlenken bemüht und hat laut ANSA den Abschluß als »ein ausgezeichnetes Ergebnis« bezeichnet. Der Führer der faschistischen Lega, Matteo Salvini, der zu den Interessenvertretern der Benettons gezählt wird, habe Widerspruch angekündigt.
Auch zur Stärkung seines Auftretens auf dem EU-Gipfel am Wochenende hat Premierminister Conte Vorsorge getroffen und sein »Relaunch«-Dekret über die Verwendung der EU-Kredite dem Senat zu Abstimmung unterbreitet, der das am Donnerstag noch vor seiner Abreise mit 159 Stimmen bei 121 Gegenstimmen absegnete. Die Abgeordnetenkammer hatte bereits am 9. Juli zugestimmt. Das Dekret sieht Maßnahmen im Umfang von 55 Milliarden Euro vor, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Gesundheitsnotfalls auf Unternehmen, Beschäftigte, Familien und den »dritten Sektor« – Dienstleistungen, Non-Profit-Bereich – zu begrenzen.
Weiterhin hat das Kabinett beschlossen, daß am 20./21. September bei einem Verfassungsreferendum über eine Verkleinerung des Parlaments in Rom abgestimmt wird. Danach soll die Zahl der Parlamentarier in der Abgeordnetenkammer von 630 auf 400 und die der Senatoren von 315 auf 200 gesenkt werden. Im September sind in Venetien, Ligurien, der Toskana, den Marken, in Kampanien, Apulien und im Aostatal Regionalwahlen vorgesehen. Von einer Zustimmung zur Parlamentsreform erhoffen sich die Regierungsparteien einen Auftrieb zu den Regionalwahlen.
Gerhard Feldbauer
Premierminister Giuseppe Conte spricht am 15. Juli in der Abgeordnetenkammer über die Vorbereitungen auf den EU-Sondergipfel (Foto: EPA-EFE/RICCARDO ANTIMIANI)