Kaleidoskop20. Oktober 2021

Ein Künstler gegen Faschismus, für Frieden:

Genosse Picasso

Manfred Idler

Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig ist unter dem Titel »Der geteilte Picasso« der unterschiedlichen Betrachtung des Künstlers in der alten Bundesrepublik und in der DDR gewidmet. Das ist verdienstvoll und zum 140. Geburtstag am 25. Oktober geeignet, den Blick auf Werk und Leben des Künstlers zu schärfen. Denn das politische Engagement Pablo Picassos, seine klare Parteinahme für den Kommunismus, hat die bürgerliche Kunstbetrachtung über Jahrzehnte hinweg ausgeblendet oder zum Spleen erklärt. Nur ein Picasso als unpolitischer Zerstörer klassischer Seh- und Malweisen galt dem westdeutschen Feuilleton als konsumierbar.

Diese Trennung des Künstlers von seiner Haltung hat Methode. Generationen von Kopflangern mühten und mühen sich damit, etwa von einem Schostakowitsch, einem Brecht, einem Oscar Niemeyer und zuletzt von Mikis Theodorakis den Kommunismus zu subtrahieren, wie sie schon von den Klassikern deren kämpferischen Humanismus abzogen. Der Ausstellungsrezensent der »Rheinischen Post« sah sich jetzt zum Rückzug in eine Auffangstellung gezwungen: »Auf dem linken Auge war Picasso blind«, diagnostiziert er. Eine Art, die Welt zu sehen, wird als Augenkrankheit wahrgenommen.

Am 5. Oktober 1944 widmete die französische KP-Zeitung »L’Humanité« dem Beitritt des Künstlers zum Parti communiste français die Hälfte ihrer Titelseite. »Ich kam zum Kommunismus, wie man zum Brunnen geht«, für Picasso, damals 63 Jahre alt, war dieser Schritt logische Folge eines langen Weges. Er war nie unpolitisch gewesen – schon als der junge Spanier um 1900 nach Paris kam, wurde er von der Fremdenpolizei des Anarchismus verdächtigt und beobachtet. Die französische Staatsbürgerschaft wurde ihm vorenthalten.

Seit dem faschistischen Putsch in Spanien im Juli 1936 engagierte sich Picasso gegen den Faschismus. In seiner Radierungsfolge »Traum und Lüge Francos« und seinem epochalen Werk »Guernica« brachte er sein »Entsetzen über die Militärkaste zum Ausdruck, die Spanien in ein Meer von Schmerz und Tod gestürzt hat«. Seine engsten Vertrauten in dieser Zeit waren seine Lebensgefährtin bis 1943, die Fotografin Dora Maar – eine Kommunistin –, und der Dichter Paul Éluard, 1933 aus dem PCF ausgeschlossen, ab 1942 wieder sein Mitglied.

Kurz vor der Besetzung Frankreichs durch die Naziwehrmacht suchte Picasso wieder um die französische Staatsbürgerschaft nach, die ihm abermals verweigert wurde. Das Angebot, in die USA oder nach Mexiko zu emigrieren, schlug er aus. Anders als viele andere Künstler und Intellektuelle lehnte er es ab, Kompromisse mit den Besatzern oder der Kollaborationsregierung unter Marschall Pétain einzugehen. Er blieb im besetzten Paris. In den Jahren bis zur Befreiung entstanden düstere, von Trauer geprägte Bilder.

Weder besitzt die These Glaubwürdigkeit, der Eintritt in die »Partei der Erschossenen« sei eine opportunistische Geste gewesen, noch ist es plausibel, ihn der überschwenglichen Begeisterung der Wochen nach der Befreiung von Paris zuzuordnen. Der Kern von Picassos Engagement für den Kommunismus ist sein über viele Jahre gereifter Antifaschismus.

»Die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmücken.«

Es war kein Augenblicksentschluß – dafür spricht auch, daß er ihn bis zu seinem Lebensende nicht revidierte oder relativierte. Er wehrte sich früh gegen Versuche, seinen Parteieintritt als einer Marotte entsprungen zu erklären: »Was, glauben Sie denn, ist ein Künstler? Ein Schwachsinniger, der nur Augen hat, wenn er Maler ist, nur Ohren, wenn er Musiker ist, gar nur eine Lyra für alle Lagen des Herzens, wenn er Dichter ist, oder gar Muskeln, wenn er Boxer ist? Ganz im Gegenteil! Er ist gleichzeitig ein politisches Wesen, das ständig im Bewußtsein der zerstörerischen, brennenden oder beglückenden Weltereignisse lebt und sich ganz und gar nach ihrem Bilde formt. (…) Nein, die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmücken! Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind.«

Das Verhältnis des Künstlers zum PCF war aber stets widersprüchlich, kein »Vie en rouge«. Die kommunistische Presse schmückte sich mit seinen Zeichnungen, die Partei mit Plakaten nach seinen Entwürfen, Lithographien davon wurden massenhaft verbreitet und halfen, die Öffentlichkeitsarbeit der Partei zu finanzieren. Als Emissär der Partei wandte sich Louis Aragon im Frühjahr 1949 an Picasso mit der Bitte, ein Plakat für den Weltfriedenskongreß zu entwerfen – die Taube, der eigentlich zänkische Vogel, wurde durch diese knappe Zeichnung weltweit und bis heute zum Symbol der Friedensbewegung. Mit einem von ihm entworfenen Halstuch schmückte sich 1951 die französische Delegation bei den III. Weltfestspielen der arbeitenden und lernenden Jugend in Berlin.

Im selben Jahr wurde er mit dem Stalin-Friedenspreis ausgezeichnet. Ein Stalinporträt war es dann auch, das zur Verstimmung führte: Zum Tod des Generalissimus im März 1953 zeichnete Picasso einen Stalin – nicht als entrückten »Vater der Völker«, sondern nach einer Fotografie von 1903 als jungen Revolutionär. Das Sekretariat des PCF mißbilligte die Darstellung. Nicht zum ersten Mal kollidierte ein erstarrter Begriff von sozialistischem Realismus mit Picassos Schöpfertum, der Vorwurf lautete: »dekadenter Formalismus«.

Solche Differenzen sah Picasso als Widersprüche innerhalb einer Familie, aus der man nicht wegläuft, wenn es Konflikte gibt. Ebenso bei späteren Auseinandersetzungen, so, nachdem er zusammen mit anderen kommunistischen Künstlern und Intellektuellen einen offenen Brief unterzeichnet hatte, in dem das sowjetische Eingreifen gegen die Konterrevolution in Ungarn im Herbst 1956 in Frage gestellt und kritisiert wurde. Solche Vorkommnisse beeinträchtigten seine Popularität in der weltweiten Friedensbewegung nicht, die auch gefördert wurde durch große Ausstellungen seiner Werke in Leningrad 1956 und Moskau 1966. 1962 ehrte ihn die sowjetische Regierung mit dem Lenin-Friedenspreis.

Im Westen war die Sicht auf den Künstler gespalten. Führende Politiker sahen in Picasso einen Agenten kommunistischer Subversion. Ein Einreisevisum für die USA erhielt er nie, es wurde ihm auch versagt, als er 1950 ausgewählt wurde, als einer von zwölf »Kämpfern für den Frieden« dem USA-Kongreß die 500 Millionen Unterschriften des »Stockholmer Appells« zur Ächtung von Atomwaffen zu übergeben. Doch der westliche Kunstmarkt sah in seinem Werk ein lohnendes Spekulationsobjekt, die Preise für seine Werke erreichten ungekannte Höhen. Das geht bis heute weiter: In diesem Jahr hat das fünfte Werk Picassos die Marke von 100 Millionen US-Dollar geknackt. Das hat allerdings nichts mit Kunst zu tun, sondern mit Zockerei. Im Alltagsbewußtsein gilt er, der nie ein gegenstandsloses Bild gemalt hat, bis heute als eine Art Übervater der abstrakten Malerei.

Dennoch sperrt sich seine Malerei gegen die Verwendung als Innendekoration des Imperialismus. Viele wichtige Bilder sind im Westen fast unbekannt. Das 1951 entstandene »Massaker in Korea« – es wird in der Kölner Ausstellung gezeigt – ist eine vehemente Anklage gegen das barbarische Wüten des enthemmten USA-Militärs auf der koreanischen Halbinsel. Es zeigt ein Peloton von Maschinenmenschen, die ihre Waffen auf Frauen, unter ihnen Schwangere und Kinder, gerichtet haben, nur auf das Kommando zum Feuern wartend.

Der Kunsthistoriker Richard Hiepe bestimmte 1971, zum 90. Geburtstag des Künstlers, dessen Platz in der marxistischen Rezeption: »Bei Picasso wird die Welt noch als in Unordnung sichtbar gemacht und es wird ihr das ideale Bild von neuer, schöner Ordnung entgegengehalten. Beides ausgedrückt zu haben, das ist die Größe Picassos, die wir uns nicht nehmen lassen wollen durch seinen Mißbrauch als Statussymbol spätbürgerlicher Kultur.«