Leitartikel22. Juli 2021

Nationaler Pakt für Augenwischerei

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Der sich gerade in seinem imperialistischen Stadium insbesondere durch Welteroberung mittels Kapitalexport und Gewalt auszeichnende Kapitalismus läßt sich ganz bestimmt nicht wegdekretieren; es wäre aber durchaus möglich, seine unmenschlichsten Ausbeutungsformen zum Beispiel mit Strafgesetzen zu verringern.

Darüber würden sich beispielsweise die mehr als 70 Millionen (!) Kinder freuen, die sich in bis heute in Unterentwicklung gehaltenen Ländern des globalen Südens unter anderem in Mienen, Textilfabriken und auf Kaffeeplantagen verdingen müssen, anstatt in Schulen lernen und spielen zu können.

Zu den unmenschlichsten Ausbeutungsformen an den unteren Enden der globalen Lieferketten zählt auch die moderne Sklaverei, die zum Beispiel im brasilianischen Kaffeesektor als Schuldknechtschaft verbreitet ist. Dabei müssen sich die Schaffenden bei ihrem Patron verschulden, damit der ihnen die für ihre Arbeit benötigten Werkzeuge und Schutzkleidung überläßt. Bis sie ihre Schulden abgearbeitet haben, erhalten sie nur einen kleinen Teil ihres Lohnes, sie haben extrem lange Arbeitszeiten, sind gefährlichen Chemikalien ausgesetzt und hausen unter unmöglichen Hygienebedingungen.

Seit Ende letzten Jahres hat die deutsche Sektion der Entwicklungsorganisation Oxfam in Brasilien, Indien, Südafrika und Thailand für ihre neue Studie »Pandemieprofiteure und Virusverliererinnen« recherchiert und die Befunde lobenswerterweise mit den Coronaprofiten der westlichen Handelskonzerne in Zusammenhang gebracht.

Denn der Löwenanteil dessen, was bei uns an den Supermarktkassen bezahlt wird, bleibt bei diesen Handelskonzernen hängen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Waren herstellen, bekommen dafür einen derart kleinen Bruchteil, daß sie von den Löhnen kein würdiges Leben führen können.

Oxfam zufolge stiegen die Umsätze von Discountern wie Lidl und Aldi während der Pandemie um knapp neun Prozent, bei Supermarktketten wie Rewe und Edeka sogar um fast 17 Prozent. Entsprechend schossen die Vermögen der Kapitalisten (und Kapitalistinnen) in die Höhe: die Privatvermögen von Beate Heister und Karl Albrecht jun., der beiden Haupteigentümer von Aldi Süd, wuchs von knapp 18 auf fast 25 Milliarden Euro.

Allein von diesen Vermögenszuwächsen hätte man fast vier Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern im brasilianischen Kaffeesektor einen anständigen, weil existenzsichernden Lohn zahlen können.

Um solche Ausbeutungsformen zumindest einzudämmen, hat der Menschenrechtsrat der UNO vor zehn Jahren (!) »Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte« verabschiedet, für deren Umsetzung in Luxemburg eigens ein »Institut national pour le développement durable et la responsabilité sociale des entreprises« (INDR) eingerichtet wurde.

Doch während sogar das EU-Parlament ein Lieferkettengesetz fordert, mit dem beispielsweise luxemburgische Unternehmen für im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen vor einem luxemburgischen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden können, beließen es Regierung, INDR und der Patronatsdachverband UEL am Dienstag bei einer »freiwilligen Selbstverpflichtung« des Patronats.

Dieser »Nationale Pakt Unternehmen und Menschenrechte« war sogar für die handzahme »Initiative pour un devoir de vigilance« zuviel der Augenwischerei, sie blieb der PR-Veranstaltung fern.