Sozialhilfe muß man sich künftig erarbeiten
Warnung vor Trend zu »kostenloser Zwangsarbeit« in Frankreich
Zu dem, was sich seit dem Jahreswechsel für die Franzosen geändert hat, gelten auch die Regeln für die Sozialhilfe »Revenu de solidarité active« (RSA) Dieses »Aktive Solidaritäts-Einkommen«, das den Lebensunterhalt der ärmsten Franzosen sichern soll, war auch bisher schon mit der Verpflichtung verbunden, sich aktiv um die Sicherung der eigenen Zukunft zu kümmern und vor allem Arbeit zu suchen.
Bereits 1988 wurde die »historische« Sozialhilfe, die 1945 per Gesetz eingeführt worden war, durch das RMI (Revenue minimum d‘insertion) abgelöst, doch die Rückführung in den Arbeitsprozeß und damit zu einem selbstbestimmten Leben blieb über viele Jahre die schwache Seite dieses Systems. Das hat sich auch seit der Umwandlung des RMI ins RSA 2009 – nach einer Testphase ab 2007 in 34 der 100 Departements des Landes – nicht wesentlich geändert.
Gegenwärtig beziehen rund 4 Millionen Menschen RSA. Das sind 7 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Der Satz liegt gegenwärtig bei 954 Euro für eine Person oder 1.144 Euro für ein Paar, zu denen pro Kind 254 Euro hinzukommen.
Die Bedingungen für den Bezug dieser Hilfe wurden jetzt dahingehend verschärft, daß dafür pro Woche mindestens 15 Stunden gesellschaftlich nützlicher Arbeit geleistet werden müssen. Doch was darunter zu verstehen ist, bleibt vorläufig noch vage. So verweisen die Gewerkschaften der Mitarbeiter der Arbeitsämter darauf, daß 1,2 Millionen »arbeitsfähige« RSA-Bezieher von den insgesamt 4,1 Millionen Anspruchsberechtigten seit 1.Januar automatisch als Arbeitsuchende registriert sind. Für sie wird die RSA-Zahlung mit dem Arbeitslosengeld verrechnet.
Doch was unter der im Gesetz angeführten Arbeitspflicht konkret zu verstehen ist, wurde den Arbeitsamt-Mitarbeitern in den Schulungen zur Umstellung nur andeutungsweise mitgeteilt. Darüber soll zwischen dem Arbeitsamt und dem RSA-Bezieher ein »Verpflichtungs-Vertrag« abgeschlossen werden. So kann man für die Hälfte dieser wöchentlich 15 Stunden Weiterbildungs- oder Umschulungskurse, Bewerbungs-Training und Vorstellungsgespräche anrechnen lassen. Doch was in der anderen Hälfte dieser Zeit »gearbeitet« werden soll, bleibt vorläufig offen. Spekuliert wird, daß es sich wohl vor allem um Hilfsarbeiten für die Kommunen oder für soziale Hilfsvereine handeln wird, die heute freiwillig und kostenlos von Bürgern geleistet werden, deren Zahl aber vielerorts nicht ausreicht für den großen Bedarf.
Offiziell präzisiert wird vor allem, daß die RSA-Zahlung »ausgesetzt« wird, wenn sich der Bezieher »seinen Verpflichtungen entzieht«. Bekannt ist bisher, daß diejenigen RSA-Bezieher von der Arbeitspflicht ausgeklammert bleiben, die aufgrund ihres Alters oder aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können. Dazu zählen beispielsweise auch Alleinstehende, die sich um ihre Kinder kümmern müssen.
Die Gewerkschaften und linke Parteien lehnen diese Arbeitsverpflichtung prinzipiell ab und bezeichnen sie als »Schritt zu kostenloser Zwangsarbeit«. Sie verweisen auf den rechts-populistischen Hintergrund dieser Arbeitsverpflichtung, die Emmanuel Macron im Präsidentschaftswahlkampf 2022 einzuführen versprochen hat und mit der er ganz offensichtlich Argumentationen von rechten und rechtsextremen Politikern und Wählerkreisen aufgreift, die gegen Hilfebezieher Stimmung machen und bisweilen sogar so weit gehen, sie als »Sozial-Schmarotzer« zu bezeichnen.
Vor den undemokratischen und unsozialen Konsequenzen des vom Regierungslager im Herbst dank breiter rechter Unterstützung durchs Parlament gebrachten Gesetzes über die Neugestaltung des RSA haben die Gewerkschaften und linke Parteien von Anfang an gewarnt, konnten es im Parlament aber nicht stoppen. Das Parteienbündnis Neue Volksfront gibt nicht auf und hat einen Antrag an den Verfassungsrat gerichtet, die Arbeitsverpflichtung für RSA-Bezieher zu prüfen, da der Verdacht besteht, daß sie unvereinbar mit der Verfassung ist. Die Volksfront bezieht sich dabei auf ein Gutachten der Nationalen Konsultativkommission für Menschenrechte CNCDH vom Dezember 2024, wonach die Neuregelung als mit den Menschenrechten unvereinbar bezeichnet wird, weil das in der Verfassung von 1946 garantierte »Existenzminimum« und die durch die Bürger »frei gewählte soziale und berufliche Eingliederung« nicht gewährleistet sind.
Francine Royon, die Vorsitzende der CGT-Fachgewerkschaft für das Arbeitsämternetz France Travail, faßt das Problem kurz und bündig zusammen: »Es hat doch keinen Sinn, Menschen 15 Stunden Zwangsaktivitäten pro Woche aufzuzwingen, für die es schlichtweg ums Überleben geht.«