Amazon im Steuerparadies
»Miese Arbeitsverhältnisse in ganz Europa« wickle Amazon von Luxemburg aus ab, warfen die Stiftung Ethik und Ökonomie (Ethecon), Amazon-Arbeiter von mehreren europäischen Standorten, Gewerkschafter und Umweltschützer dem US-amerikanischen Internetriesen am Mittwoch vor. Außerdem habe Amazon seine Europazentrale nur deshalb auf dem Kirchberg installiert, um sich seiner Steuerpflicht in anderen europäischen Ländern zu entziehen.
Von den konzernfreundlichen Verhältnissen im Großherzogtum hatte erst vor zwei Wochen auch der regierungsamtliche »Deutschlandfunk« berichtet, als er offenbar völlig überrascht titelte: »Amazon nutzt Luxemburg laut Gutachten, um Steuern zu vermeiden«.
Laut einer wissenschaftlichen Studie stehe Luxemburg sogar im Mittelpunkt eines »weltweiten Systems des USA-Konzerns Amazon zur Steuervermeidung«. 75 Prozent aller Geschäfte des Internethändlers außerhalb der USA liefen über Tochterunternehmen in Luxemburg, heißt es im Gutachten eines Londoner Forscherteams im Auftrag der Fraktion GUE/NGL im EU-Parlament.
Demnach habe Amazon in Asien eigens Gesellschaften gegründet, die nur zum Ziel hätten, Verluste zu schaffen. Diese Verluste würden dann zu den Luxemburger Tochterfirmen transferiert, wo sie in Steuergutschriften umgewandelt würden. Diese könne der Konzern wiederum bei den Finanzbehörden in den USA geltend machen.
Aus dem Gutachten geht auch hervor, daß Amazon den größten Teil seiner Gewinne außerhalb der USA in Luxemburg zusammenträgt. Hier lägen mittlerweile mehr als 17 Milliarden US-Dollar, die nie in die Gewinn- und Verlustrechnung des Gesamtkonzerns eingeführt und deshalb auch nie in den USA versteuert worden seien.
Dennoch hatte das dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nachgeordnete und praktischerweise ebenfalls nur einen Steinwurf von der Amazon-Europazentrale entfernte Gericht der Europäischen Union (EuG) zwei Tage vor der Radiomeldung entschieden, daß Amazon nicht von unerlaubten Steuervorteilen in Luxemburg profitiert habe.
Damit kippten die Richter eine schon im Jahr 2017 ergangene Anordnung der EU-Kommission, nach der Luxemburg rund 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen von Amazon nachfordern soll. Zur Begründung hieß es, die EU-Kommission habe nicht hinreichend nachgewiesen, daß die Steuerlast einer europäischen Tochtergesellschaft von Amazon zu Unrecht verringert worden sei.
Wie beliebt der luxemburgische Staat bei weltweit operierenden Konzernen ist, haben schon andere Gerichtsprozesse wegen Steuervergünstigungen gezeigt. So gewann die EU-Kommission zum Beispiel am 12. Mai ein Gerichtsverfahren, in dem es um Steuernachforderungen in Höhe von 120 Millionen Euro durch den übrigens zu rund einem Viertel dem französischen Staat gehörenden Energiekonzern Engie ging.
Schätzungen der EU-Kommission gehen davon aus, daß den Mitgliedstaaten rund 70 Milliarden Euro pro Jahr durch »aggressive Steuergestaltung« von Großkonzernen durch die Lappen gehen. Doch alle Vorstöße für ein wenig gerechtere und vor allem besser aufeinander abgestimmte Steuergesetze auf nationalstaatlicher Ebene scheiterten auf EU-Ebene bislang stets am – nach wie vor möglichen! – Veto der drei EU-europäischen Steueroasen Luxemburg, Niederlande und Irland.
