Ausland13. November 2024

Keine Cannabis-Freigabe in Frankreich

Polizei und Justiz sollen scharf gegen jede Form des Drogenhandels vorgehen

von Ralf Klingsieck, Paris

Gegen den Drogenhandel will die französische Regierung künftig mit denselben scharfen Methoden vorgehen wie gegen den Terrorismus. Das erklärten Innenminister Bruno Retailleau und Justizminister Didier Migaud vergangene Woche in Marseille. Der Ort war nicht zufällig gewählt, denn die Hafenstadt am Mittelmeer gilt als Frankreichs Drehscheibe für illegale Substanzen, die im Land von rund fünf Millionen Menschen konsumiert werden und die Kriminellen einen Jahresumsatz von geschätzt 3,5 bis sechs Milliarden Euro bescheren. Damit nimmt Frankreich in Europa den Spitzenplatz ein.

Die Regierung habe dem Drogenhandel einen unerbittlichen Kampf angesagt, versicherten die Minister, und sie wolle ihn zu einem »nationalen Schwerpunktthema« machen, hinter dem »das ganze Land« stehen soll und für den alle Ressourcen des Staates mobilisiert werden sollen. Anfang kommenden Jahres soll ein entsprechender Gesetzesentwurf dem Parlament zugeleitet werden. Der Justizminister kündigte die Schaffung einer zentralen, für das ganze Land zuständigen Staatsanwaltschaft speziell für Drogenkriminalität an. Dafür wird die bisher in Paris bestehende Arbeitsgruppe personell um 40 Prozent aufgestockt. Außerdem werden auf Drogendelikte spezialisierte Gerichtshöfe in allen Regionen des Landes eingerichtet.

Der Innenminister informierte über die personelle Verstärkung der Kriminalpolizei und vor allem ihrer Drogendezernate. In diesem Zusammenhang versicherten beide Minister, man werde unter Einbeziehung aller Bereiche des Staates »den Drogenhändlern an die Brieftasche gehen« und ihre Bankkonten, Immobilien, Luxusautos und andere Wertgegenstände, deren legale Herkunft nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, beschlagnahmen lassen. Diese Werte würden versteigert und das Geld für den Kampf gegen die Drogenkriminalität verwendet. Dazu müßten »die Drogenbosse« ihre Luxuswohnungen räumen, während Straßendealer künftig damit rechnen müßten, daß ihren Familien die Sozialhilfe entzogen wird und sie aus ihrer Sozialwohnung geschmissen werden.

Die Minister kündigten auch an, daß künftig jeder Polizist oder Beamte, der im Verdacht steht, sich mit Drogenhändlern eingelassen zu haben, um von diesen bestochen zu werden, unverzüglich und bis zum Beweis ihrer Unschuld oder bis zu einem Prozeß vom Dienst suspendiert werden. In diesem Zusammenhang sollen auch neue Regeln für Ermittler und deren Informanten in Kraft treten, um ihre Zusammenarbeit auf eine klare Rechtsbasis zu stellen. Für Drogenhändler, die Abstand von ihrer Vergangenheit zu nehmen und mit der Polizei zusammenzuarbeiten bereit sind, soll ein spezieller juristischer Status geschaffen werden, um ihnen eine neue Identität zu geben und bei Bedarf Polizeischutz zu gewähren.

Drogenhandel und die damit verbundene Gewaltkriminalität nehmen ständig zu, ändern aber oft ihre Formen. So diversifizieren sich die Banden und gehen auch dem Waffenhandel, der Prostitution oder der Entführung von vermögenden oder prominenten Personen und der Erpressung von Lösegeld nach. Da sie in Großstädten wie Marseille immer mehr von der Polizei überwacht und unter Druck gesetzt werden, weichen sie aus und installieren sich in anderen größeren, aber auch in Kleinstädten. Dabei kommt es des Öfteren zu bewaffneten Auseinandersetzungen um Stadtviertel und deren potentielle Drogenmärkte.

Solche Schießereien forderten 2023 in Marseille 47 Tote und seit Jahresanfang weitere 17, aber beispielsweise gab es auch in Grenoble in diesem Jahr bereits rund 50 Feuergefechte, bei denen sechs Menschen ums Leben kamen. Insgesamt verloren im vergangenen Jahr landesweit 85 Menschen im Zusammenhang mit dem Drogenhandel das Leben. Besonders spektakulär waren zwei Auftragsmorde an gegnerischen Bandenmitgliedern, die per Telefon aus dem Gefängnis heraus durch Bandenbosse befohlen und durch minderjährige Schützen ausgeführt wurden. Daher soll das Gesetz über den Kampf gegen den Drogenhandel auch vorsehen, die Altersgrenze für die volle Schuldfähigkeit von »Drogentätern« von 18 auf 16 Jahre abzusenken und für minderjährige Täter eine Unterbringung in geschlossenen Anstalten vorzusehen.

Ein verstärkter Kampf gegen Drogenhandel wurde in der Vergangenheit immer wieder einmal angekündigt oder sogar begonnen, doch stets verlief er sich dann im Sande. So war es 2008 mit dem rechten Innenminister Nicolas Sarkozy, aber wenige Jahre später auch mit seinem sozialistischen Amtsnachfolger Manuel Valls oder 2023 mit Macrons Innenminister Gérald Darmanin. Präsident Emmanuel Macron selbst ergriff vor zwei Jahren die Initiative für Polizeigroßeinsätze in Marseille und verfolgte persönlich eine davon vor Ort. Bei diesen »Place net« genannten Kampagnen wurden für Tage einzelne Stadtviertel »drogenfrei« gehalten, aber sobald die Einsatzkommandos abgezogen waren, machte sich wieder der gewohnte Drogenhandel breit.

Kritiker nennen Macrons Bilanz im Kampf gegen den Drogenhandel spärlich, aber immerhin ist er auf sein im 2017er Präsidentschaftswahlkampf gegebenes Versprechen einer Legalisierung von Cannabis nie zurückgekommen. Diesen Schritt, den Luxemburg und weitere Länder in Europa gegangen sind, wird Frankreich nicht vollziehen, haben der aus der rechten Partei der Republikaner in die Koalitionsregierung gekommene Innenminister Retailleau und der ehemalige Sozialist und jetzige Justizminister Migaud versichert. Gegen die Drogenhändler werde es einen »langen Kampf ohne Pardon« geben, so der Innenminister. Aber auch die Konsumenten sollen zur Verantwortung gezogen werden, sagte Migaud. Gezielt an sie würden sich Aufklärungskampagnen und medizinische Hilfsangebote wenden, auf die nach einer gewissen »Schonfrist« gestaffelt die Verfolgung und Bestrafung – zunächst mit Geldstrafen – folgen soll.