Ausland

Angst vor neuem Maidan

Deutsche Medien vor und nach dem Regime-Change in Kiew : »Spiegel« enthüllt Lobbykampagne

Der »Spiegel« entrüstet sich auf drei Seiten über eine von außen finanzierte Medienkampagne für die seinerzeit inhaftierte Julia Timoschenko. Die Exregierungschefin der Ukraine, wir erinnern uns, war zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil sie sich im Amte um einige hundert Millionen Dollar bereichert hatte. 2012 kämpften jedoch unisono die deutschen Medien für die Freiheit der kriminellen, korrupten Politikerin, sie wurde von Hamburg bis München auf den Schild gehoben, sie war die Kiewer Jeanne d’Arc, die Kämpferin für Demokratie und Menschenrechte in der Ukraine.

Kritik war unzulässig. Eine Abordnung der Berliner Charité attestierte ihr nämlich ein schweres Rückenleiden, an dem sie zugrunde ginge, würde sie nicht in Deutschland operiert. Bundespräsident Joachim Gauck sagte eine Ukraine-Reise ab, Kanzlerin Merkel blieb der Fußball-EM im Sommer 2012 fern, mehrere Außenminister von EU-Staaten veröffentlichten einen Appell in der »New York Times« , daß Kiew die »Unterdrückung der Opposition« beenden solle, weil dies die angestrebte EU-Integration der Ukraine gefährden würde.

Um mir angesichts dieser geschlossenen Meinungsfront selbst ein Bild zu machen, reiste ich im Frühsommer 2012 in die Ukraine. Der Blick hinter die Kulissen erschien als Buch ( »Die Gauklerin. Der Fall Timoschenko« ). Der Rezensent der »jungen Welt« nannte es »Wirtschaftskrimi, Politthriller und prononcierte Medienschelte« und konstatierte ziemlich verärgert : »Wie die Täterin zum Opfer mutieren konnte, ist zum Haare raufen« . Obgleich Dutzende Redaktionen das Buch angefordert hatten, erschien sonst so gut wie keine Besprechung. Dabei gab es bereits Übersetzungen in Frankreich, Rußland und der Ukraine. Ich fragte die verstummten potentiellen Rezensenten nach dem Grund. Die Antwort war fast überall die gleiche. Ein »Spiegel« -Redakteur und Kenner der Materie bekundete Beifall, daß endlich mal jemand Timoschenko eins auf die Mütze gegeben habe – aber besprechen werde er das Buch dennoch nicht : Der Tenor verstoße gegen die Linie des Blattes. Offenkundig war die Linie überall : Kein kritisches Wort.
Jetzt enthüllt der Spiegel : Mit 500.000 Euro aus der Ukraine, gezahlt in zwei Raten, war in Deutschland eine Medienkampagne für Timoschenko inszeniert worden. Ihr Parteifreund Arsen Awakow hatte laut dem Bericht in Heft 52/2015 Kontakt zu Berliner Lobbyisten aufgenommen. Dazu soll der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière gehört haben, außerdem die Berliner Lobbyfirma German PR and consulting group, kurz GPRC. Zuerst sollte Timoschenkos Medienpräsenz verstärkt werden. Am 12. Dezember 2011 erschien in »Bild« ein Interview mit ihrer Tochter : »Meine Mutter stirbt, wenn ihr keiner hilft !« 

 »Der Spiegel« – damals willig dabei – gibt sich heute entrüstet : »Die Kampagne für Timoschenko ist ein Lehrstück über Lobbyarbeit in Berlin, sie zeigt, wie Strippenzieher in der Hauptstadt Medien und Politik zu beeinflussen versuchen.« Nur in der Hauptstadt ?

Nachdem 2014 die Regierung von Wiktor Janukowitsch durch das prowestliche Regime von Petro Poroschenko ersetzt wurde, sind Timoschenko und ihr Rücken hierzulande so wenig Thema wie etwa die Presse- und Meinungsfreiheit in der Ukraine. Die, wir erinnern uns, laut deutschen Medien unter dem Diktator Janukowitsch schwer unterdrückt wurde. Verschiedene Quellen behaupten allerdings, daß es allein in diesem Jahr 224 Attacken unterschiedlicher Art auf Journali­sten oder Medien gegeben habe, weil sie nicht der aktuellen Regierungslinie folgten. Der 45-jährige Journalist und Historiker Oles Buzina wurde am 16. April in Kiew erschossen. Er hatte sich gegen Korruption und für eine Föderalisierung der Ukraine eingesetzt. Die Ermittlungen führten bis heute zu keinem Ergebnis. Drei Tage zuvor war der Journalist Sergej Suchobok ermordet worden : Auch er ein erklärter Gegner des vom Parlament am 9. April verabschiedeten Gesetzes, mit dem die Nazikollaborateure der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zu »Freiheitskämpfern« erklärt worden waren.

Buzina, Suchobok, Olga Moros, Chefredakteurin des »Neteschinski Westnik« , und andere ermordete oder mundtot gemachte Journalisten wurden zudem als »Friedensstifter« verhöhnt : Sie hatten auch ein Ende des Bürgerkrieges gefordert.

Inzwischen scheint das Regime subtiler gegen Kritiker vorzugehen, wie der Fall des Nachrichtensenders »112 Ukraina« zeigt. Er sendet seit November 2013 – mit Beginn der Maidan-Proteste –, erreicht inzwischen per Kabel und Satellit etwa drei Viertel des Territoriums der Ukraine und hat rund 450 Mitarbeiter. Der Sender bietet sowohl Regierungs- als auch Oppositionspolitikern eine Bühne. Das genügte bereits, um »112 Ukraina« wiederholt den Entzug der Lizenz anzudrohen und Strafverfahren gegen Mitarbeiter anzustrengen. Verantwortlich ist der Nationalrat für Hörfunk und Fernsehen, der von Poroschenko kontrolliert wird.

Nun könnte man unterstellen, daß der Präsident lediglich einen erfolgreichen Konkurrenten ausschalten möchte – er selbst besitzt den »Kanal 5« , der im Ranking der zehn größten Fernsehsender hinter »112 Ukraina« rangiert. Dazu paßt auch das jüngste Gerücht, daß Poroschenko über einen Strohmann namens Polischtschuk, einen Immobilienmogul, den Sender kaufen wolle. Angeblich sei schon eine erste Tranche von vier Millionen Dollar geflossen.

Aber dahinter steckt mehr : Es ist die Furcht vor einem neuen Maidan. Poroschenko, der laut ukrainischen Medienberichten 2015 sein Vermögen versiebenfacht haben soll, will mit allen Mitteln sein Regime an der Macht halten. Kiew, so heißt es in dortigen Oppositionskreisen, sei aktuell von »europäischen Werten« – wie Presse- und Meinungsfreiheit – so weit entfernt wie vor zwei oder vor zehn Jahren, als Timoschenko Ministerpräsidentin war. Fließt etwa wieder Geld aus der Ukraine in eine PR-Kampagne, daß man darüber kaum etwas in deutschen Medien erfährt ?

Frank Schumann

Die Lobbyarbeit bei der EU übernimmt der Präsident höchstpersönlich : Poroschenko, Tusk und Juncker am 16. Dezember in Brüssel