Ausland29. Oktober 2022

Gipfeltreffen der Arabischen Liga

Kooperation mit Dissonanzen

von Karin Leukefeld

In Algier findet am 1./2. November 2022 das 31. Gipfeltreffen der Arabischen Liga statt. Die Versammlung wurde seit 2020 wiederholt wegen der COVID-19 Restriktionen verschoben.

Zahlreiche Emire, Könige und Regierungschefs haben ihre Teilnahme zugesagt, nicht dabei sein wird der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS), dem sein Arzt aus gesundheitlichen Gründen von einer Teilnahme abgeraten hat. Stattdessen wird Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud in Algier Saudi-Arabien vertreten. Aus Katar kommt Emir Tamim bin Hamad Al Thani, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wird Ministerpräsident Mohammed bin Rashid Al Maktoum in Algier erwartet. Auch der jordanische König Abdullah bin Al Hussein wird nach Algier reisen, ebenso der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas. Ob und wenn ja welche Vertreter aus dem umkämpften Libyen teilnehmen werden, ist nicht bekannt.

Verglichen zu früheren Gipfeltreffen werde eine »Rekordteilnahme« erwartet, hieß es in algerischen Medien. Das Land versucht, eine unabhängige politische Position zu bewahren. Präsident Abdelmadjid Tebboune will Algerien in die BRICS-Staatengruppe von Schwellenländern führen, in der Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika sich zusammengeschlossen haben. BRICS sei für Algerien sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus politischen Gründen interessant, so Tebboune, der im Juni 2022 virtuell als Gast an einem BRICS-Gipfeltreffen teilnahm.

Algerien und Marokko

Ob der marokkanische König Mohammed VI. an dem bevorstehenden Arabischen Gipfeltreffen teilnehmen wird, ist noch unklar. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind aus verschiedenen Gründen sehr angespannt. Marokko wirft Algerien zudem die Unterstützung der Frente Polisario vor, die für die Westsahara Unabhängigkeit von Marokko anstrebt. Im August 2021 zog Algerien seinen Botschafter aus Marokko zurück und warf Rabat vor, zusammen mit Israel die Bewegung für Selbstbestimmung (MAK) in der Kabylei zu unterstützten. Algerien hat die MAK als »Terrororganisation« verboten. Algerien und Marokko teilen eine mehr als 1.500 km lange Landgrenze, die seit 1994 geschlossen ist.

Marokko gehört zu den bisher noch wenigen Staaten, die 2021 ihre Beziehungen mit Israel auf der Basis des von den USA forcierten »Abraham Abkommens« normalisierten. Der damalige israelische Außenminister Jair Lapid eröffnete Mitte August 2021 in Rabat ein israelisches Verbindungsbüro. Beide Länder hatten bereits 2020 ein Militärabkommen unterzeichnet, mit dem Marokko der israelischen Armee die Tore auf das marokkanische Territorium weit öffnete.

Syrien nicht dabei

Syrien wird erneut nicht an dem Gipfeltreffen teilnehmen. Die Mitgliedschaft des Landes wurde 2011 auf Druck der arabischen Golfstaaten und ihrer westlichen Partner USA, EU und von der Türkei suspendiert wegen des Umgangs mit Aufständischen in Syrien. Inzwischen ist bekannt, daß Katar und Saudi-Arabien in Absprache mit den USA Waffen für aufständische Regierungsgegner nach Syrien lieferten, die – ebenso wie Tausende Bewaffnete – über die Türkei und Jordanien nach Syrien geschmuggelt wurden.

Die Vereinigten Arabischen Emirate gehörten zu den ersten, die ihre Beziehungen mit Syrien durch die Öffnung von Botschaften wiederherstellten. Allerdings werden Investitionen auch der reichen arabischen Länder in Syrien durch die einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der EU (seit 2011) und das US-amerikanische »Gesetz zum Schutz der syrischen Zivilbevölkerung« (»Cäsa«-Gesetz, seit 2019) weiter blockiert.

Initiative für palästinensische Einheit

Das zweitägige Gipfeltreffen wird von dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune geleitet, der sich im Vorfeld für die Versöhnung der zerstrittenen palästinensischen Fraktionen eingesetzt hatte. Am 13. Oktober 2022 unterzeichneten Hamas und Fatah eine Vereinbarung, um ihre Konflikte zu begraben, die seit Jahren zu einer tiefen Spaltung zwischen den beiden Organisationen geführt hatte.

Auslöser der Konflikte waren die Wahlen 2006, die im Gazastreifen von der Hamas mit überwältigender Mehrheit gewonnen worden waren. Die von dem Fatah-Mann Mahmud Abbas geführte palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland wurde von den USA und der EU vor allem im Bereich der Sicherheitskräfte und Polizei zu enger Kooperation mit Israel gedrängt und fortan auch im Kampf gegen die Hamas unterstützt. Der Gazastreifen wurde von Israel komplett abgeriegelt.

Mitte Oktober unterzeichneten der Hamas-Vorsitzende Ismael Haniye und Azzam al-Ahmed für die Palästinensische Autonomieregierung in Algier eine Vereinbarung, wonach im Oktober 2023 erstmals wieder in allen palästinensischen Gebieten und im Gazastreifen Parlamentswahlen durchgeführt werden sollen. Mahmud Abbas selber war trotz Einladung nicht erschienen. Neben Hamas und Fatah wurde die Algier Erklärung von zwölf weiteren palästinensischen Fraktionen unterzeichnet. Obwohl die Haltbarkeit der Vereinbarung sich noch erweisen muß, wird deren Zustandekommen vor dem bevorstehenden Gipfeltreffen der Arabischen Liga als wichtiger Erfolg für den algerischen Präsidenten gewertet.

Einfluß von USA und EU sinkt

Anders als in früheren Jahren sinkt der Einfluß von USA und EU auf die Entscheidungen der Arabischen Liga. Grund dafür ist, daß die arabischen Staaten in Rußland und vor allem in China neue Partner gefunden haben, die der Region weniger mit erhobenem Zeigefinger, als mit Handelsverträgen begegnen. Der Vertrauensverlust ist auch auf die einseitigen wirtschaftlichen Strafmaßnahmen der EU und das US-amerikanische »Caesar«-Gesetz zurückzuführen, wodurch innerarabischer Handel nahezu unmöglich gemacht wird.

Der Syrien-Krieg und die einseitigen westlichen Sanktionen haben der Region schweren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Seit Jahren versuchen Mitgliedstaaten der Arabischen Liga, Syrien den Weg zurück in das Bündnis zu ebnen. Und obwohl die Mehrheit der 22 Mitgliedstaaten nichts gegen eine Rückkehr einzuwenden hätte, verweigern einzelne Länder – auch unter dem Druck aus Paris, London, Berlin und Washington – weiter ihre Zustimmung.

Die USA ziehen ab

2009 sprach der damals neugewählte USA-Präsident Barack Obama im Titel einer Rede an der Universität von Kairo von »einem neuen Anfang«. Doch es ging Obama nicht darum, zu einem selbstbestimmten Frieden zwischen den Staaten der geostrategisch wichtigen Region beizutragen, indem die USA sich zurückzogen. Der Mittlere Osten solle »seine eigenen Kriege führen«, kommentierten US-amerikanische Medien. Der Obama-Regierung kam es also darauf an, die eigenen militärischen Ressourcen aus dem erfolglosen Krieg im Irak abzuziehen, um die Truppen auf eine neue Konfrontation einzustellen: gegen China.

Die Vereinbarung mit Saudi-Arabien – militärischer Schutz und Waffen für Öl – schien Washington ausreichend, um die Konflikte im Mittleren Osten im eigenen Interesse in Schach halten zu können. Es sei »effektiver«, die Fähigkeiten der USA dafür einzusetzen, um den Partnern am Boden dabei zu helfen, die Zukunft ihrer Länder (selber) zu sichern, so Obama. Washington werde Waffentechnologie, Ausbildung und Aufklärung liefern, die arabischen Staaten sollten die militärische Führung übernehmen.

Neue Wächter der USA-Interessen im Nahen und Mittleren Osten sollten Israel und die arabischen Golfstaaten in Zusammenarbeit mit der EU und der NATO werden, alle wurden auf die neue Konfrontationslinie – gegen China – eingestellt.

Zu sehen war das neue Engagement mit den Entwicklungen im »Arabischen Frühling« (2010/11), der zum Sturz langjähriger westlicher Verbündeter in Tunesien und Ägypten führte und – zumindest vorübergehend – den Weg für Islamistische Regierungen ebnete. Unter Führung der Golfstaaten folgten die Kriege gegen Libyen (2011), gegen Syrien (seit 2011) und im Jemen (seit 2015). In Syrien wurde von den USA und Frankreich eine »Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat« gebildet, die bis heute – jegliches Völkerrecht mißachtend – auf USA-Militärbasen im Nordosten und Süden Syriens (Al Tanf) präsent ist. Aus dem saudisch geführten Bündnis im Jemenkrieg zogen sich im Laufe der Jahre arabische Staaten zurück.

Vertrauen verspielt

In den vielen Kriegen haben die USA und auch die EU das Vertrauen ihrer arabischen Partner verspielt. Die Verwüstung des Irak und Syriens, der plötzliche Abzug aus Afghanistan, die Unterstützung von Dschihadisten, die Weigerung Washingtons, Saudi-Arabien gegen Drohnenangriffe der jemenitischen Ansarollah (Huthi) auf die Anlagen des Ölgiganten Aramco zu schützen und vieles mehr führten zur Abwendung der arabischen Staaten von Washington und seinen westlichen Partnern.

Insbesondere die reichen Golfstaaten pflegen heute enge Beziehungen zu Rußland, Indien und China, und sie sprechen mit dem Iran, anstatt ihn zu bekämpfen. Die jüngste Entscheidung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, gemeinsam mit der Gruppe der OPEC-plus-Länder die Ölförderung zu drosseln statt zu erhöhen, wie USA und EU gefordert hatten, spricht eine deutliche Sprache. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, der Ägypter Ahmed Abul Gheit, begrüßte den Entschluß der OPEC plus. Die arabischen Mitgliedstaaten betonten, er habe einen technischen, keinen politischen Hintergrund.

Die Arabische Liga

Die internationalen Veränderungen und Verwerfungen haben in der Arabischen Liga ihre Spuren hinterlassen. Die 1945 in Kairo gegründete Liga der arabischen Staaten zählt heute 22 arabisch-muslimische Staaten und vier Beobachterstaaten (Brasilien, Eritrea, Indien, Venezuela). Die ursprüngliche Orientierung der sieben Gründerstaaten (Ägypten, Syrien, Libanon, Transjordanien, Irak, Saudi-Arabien, Jemen) war die Unterstützung der Araber in Palästina. Nach der gewaltsamen Gründung des Staates Israel 1948 und der damit verbundenen Vertreibung der Palästinenser, unterstützte die Arabische Liga den Befreiungskampf der Palästinenser ebenso wie die Freiheitsbestrebungen in anderen europäisch-kolonisierten und besetzten arabisch-muslimischen Ländern.

Auf dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga 2002 in Beirut stimmten die Staaten der von Saudi-Arabien damals vorgelegten Arabischen Friedensinitiative »Land für Frieden« zu. Danach könne es Frieden mit Israel geben, wenn Israel sich aus den 1967 besetzten arabischen Gebieten zurückziehe.

Die Arabische Friedensinitiative blieb erfolglos. Dialog- und Friedensinitiativen liefen ins Leere. Besatzung und Besiedlung der palästinensischen Gebiete im Westjordanland halten bis heute an.

Zahlreiche Interventionen seitens der USA und der EU – nicht zuletzt der völkerrechtswidrige Krieg der USA, Britanniens und anderer Staaten gegen Irak 2003 – haben die politischen Verhältnisse in der Region verändert. Der Iran hat seine Position gestärkt und ist heute als Partner der Türkei, Chinas und Rußlands einflußreiche Regionalmacht. Verschiedene arabische Staaten suchen mit dem Iran Verständigung. Palästinensische Organisationen werden vom Iran unterstützt.

2020 drängten die USA den arabischen Ländern eine so genannte »Abrahams«-Vereinbarung auf, mit der die Beziehungen zu Israel »normalisiert« werden sollten, ohne auf die Forderungen der Palästinenser nach einem eigenen Staat einzugehen. Einige der reichen Golfstaaten (Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain) und das Königreich Marokko ließen sich drauf ein. Das ursprüngliche Ziel der Arabischen Liga, die Befreiung Palästinas, ist in den Hintergrund gerückt.