Ausland06. September 2025

Gerangel um Vorherrschaft

Rüstungskomplex der USA auf dem Weg der globalen Expansion

von Rainer Rupp

Der militärisch-industrielle Komplex der Vereinigten Staaten von Amerika steht vor einer beispiellosen Phase der globalen Expansion, was zwangsläufig geopolitische Konsequenzen haben wird, insbesondere im Verhältnis zu China und Rußland.

Während die Nachfrage nach hochentwickelten Waffensystemen durch geopolitische Spannungen in Europa und Asien steigt, setzt zum Beispiel der US-amerikanische Rüstungsgigant Lockheed Martin auf eine strategische Internationalisierung seiner Produktionskapazitäten, die in den USA kurzfristig nicht erweitert werden können. Deshalb müssen Länder wie Polen oder Deutschland, die dringend US-amerikanische Waffen wie Patriot-Raketen oder F-35-Kampfjets haben wollen, oft Jahre auf Lieferung warten.

Polen beispielsweise hat 2024 Verhandlungen über den Kauf von bis zu 486 HIMARS-Systemen aufgenommen, doch selbst bei voller Produktionsauslastung der industriellen Kapazitäten in den USA würde die Auslieferung viele Jahre dauern. Die Internationalisierung der Produktion soll diese Verzögerungen abmildern und gleichzeitig europäische NATO-Staaten enger an die USA binden.

Der offensichtliche Grund für diese Entwicklung ist, daß in den USA die notwendigen Fachkräfte für die rasche Ausweitung der Produktion komplexer Waffensysteme im Bereich der Hochtechnology fehlen. Zugleich haben die USA auf dem internationalen Arbeitsmarkt für qualifizierte Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler viel von ihrer früheren Anziehungskraft verloren. Um wenigsten mittelfristig genügend technisch und naturwissenschaftlich versierte junge Leute für die Rüstungsindustrie hervorzubringen, müßte erst das gesamte Bildungssystem des Landes umgestellt werden.

Das sind die Hauptgründe, weshalb angesichts der explosionsartig gestiegenen Nachfrage für moderne Waffen, führende Rüstungskonzerne der USA daran gegangen sind, Teile ihrer Produktion in »befreundete« Länder in Europa und Asien auszulagern. Das ist zwar nicht im Sinne von Präsident Trump, der sich von dieser, vom ihm selbst bei den Verbündeten angestachelten Nachfrageerhöhung nach Waffen, vor allem in den USA einen starken Beschäftigungseffekt mit gut bezahlten »Jobs« in den verarmten Regionen des Landes erhofft hat. Fakt ist jedoch, daß aktuell – von der Herstellung von Patriot-Raketen in Europa bis hin zu neuen militärischen Forschungs- und Entwicklungszentren in Asien – sich ein klarer Trend abzeichnet: Die USA bauen ihre militärische Präsenz und ihren Einfluß durch industrielle Partnerschaften weltweit aus.

Expansion in Europa: Patriot, Javelin und GMLRS

Lockheed Martin, einer der größten Rüstungskonzerne der Welt, plant, die Produktion des Raketensystems Patriot PAC-3 nach Europa auszuweiten. Bislang wurden diese Raketen ausschließlich in den USA und Japan gefertigt. Nun soll »Europa« als dritte Produktionsregion hinzukommen, um die wachsende Nachfrage nach diesen Luftabwehrsystemen zu decken, die durch den Krieg in der Ukraine und die Aufrüstung europäischer NATO-Staaten und der Länder im Mittleren Osten angeheizt wird. »Es gibt weltweit genug Arbeit, also suchen wir nach strategischen Partnerschaften, um unsere Mission zu erfüllen«, erklärte Jason Reynolds, ein hochrangiger Lockheed-Manager, auf der diesjährigen »Paris Air Show 2025«.

Trotz ihres Versagens in der Ukraine gegen die russischen Hyperschallraketen mit ihren nicht berechenbaren Flugbahnen bleiben die Patriot-Raketen anscheinend weiterhin ein zentrales Element der westlichen Luftverteidigung. Doch die Produktion der Patriot ist längst an ihre Grenzen gestoßen, insbesondere beim sogenannten »Sucher«. Das ist ein entscheidendes Bauteil, das bisher ausschließlich von Boeing geliefert wird. Der USA-Armee ist es jedoch ein besonderes Anliegen, einen zweiten Lieferanten für dieses Bauteil zu finden, um im Ernstfall Engpässe zu vermeiden. Diese Maßnahme zeigt deutlich, wie dringend die USA in Engpässen ihre Lieferketten diversifizieren wollen, um die steigende Nachfrage zu bewältigen.

Neben den Patriot-Raketen plant Lockheed, die Produktion anderer Waffensysteme nach Europa zu verlagern. Polen spielt hierbei eine Schlüsselrolle: Das Land hat sich bereit erklärt, als erstes außerhalb der USA die Javelin-Panzerabwehrraketen zu produzieren. Diese Entscheidung ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch motiviert, da Polen durch seine geografische Nähe zu Rußland ein zentraler Akteur in der NATO-Osterweiterung ist, von der sich die Investitionsstrategen der Rüstungskonzerne der USA offensichtlich noch mehr Waffenkäufe erwarten.

Auch Deutschland möchten die Waffenproduzenten aus Übersee stärker einbinden. Laut einer Meldung des Wirtschaftsmagazins »WirtschaftsWoche« hat ein Lockheed-Manager Interesse an Rheinmetall angemeldet, um dort die Waffensysteme ATACMS und Hellfire-Raketen herstellen zu lassen.

Darüber hinaus soll die Produktion von Komponenten für das Guided Multiple Launch Rocket System (GMLRS) (Multiples Werfersystem für lenkbare Artillerieraketen) nach Polen verlagert werden, während in Britannien, wo bereits Javelin-Raketen hergestellt werden, die diesbezüglichen Kapazitäten ausgebaut werden sollen. Diese Schritte sind Teil eines größeren Trends, der auch die Verlagerung von Rüstungskapazitäten der USA in asiatische Länder vorsieht.

Lockheeds militärisches R&D-Zentrum in den Philippinen

Parallel zur Expansion in die europäischen NATO-Staaten setzt Lockheed Martin auf den asiatisch-pazifischen Raum, um auch in dieser Region seinen Einfluß zu sichern. Ein prominentes Beispiel ist die geplante Errichtung eines Forschungs- und Entwicklungszentrums (R&D) in Manila, der Hauptstadt der Philippinen. Dieses Zentrum wird in Zusammenarbeit mit der Southern Methodist University (SMU) und philippinischen Universitäten sowie privaten Unternehmen betrieben. Es ist Teil von Lockheeds Angebot für das philippinische Multi-Role-Jet-Fighter-Programm, das die Lieferung von 70 F-16-B Kampfjets umfaßt. Jess Koloini, Leiter der Geschäftsentwicklung für das F-16-Programm, beschreibt die Partnerschaft als Investition in »neue technologische Fähigkeiten und geistiges Eigentum«, die nicht nur die militärische Stärke der Philippinen erhöhen, sondern auch wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze fördern sollen.

Doch diese Initiative hat eine geopolitische Dimension, die weit über wirtschaftliche Vorteile hinausgeht. Analysten sehen in dem R&D-Zentrum einen »Soft-Power-Ansatz mit Hard-Power-Effekten«, der China aufhorchen läßt. Denn die Philippinen sind ein zentraler Akteur in den territorialen Streitigkeiten mit China im Südchinesischen Meer, der – mit dem Pentagon im Rücken – auch vor anti-chinesischen Provokationen nicht zurückschreckt.

Die Präsenz eines US-Rüstungskonzerns in Manila bindet das Land noch enger in das Sicherheitsgefüge der USA ein und sendet ein klares Signal an Peking. Insbesondere die Modernisierung der philippinischen Streitkräfte durch US-amerikanische Technologie, etwa die F-16-Jets, wird von westlichen Kommentatoren als »natürliche Reaktion auf Chinas wachsende militärische Präsenz in der Region« gewertet.

Geopolitische Implikationen

Die globale Expansion des US-amerikanischen Rüstungskomplexes ist nicht nur eine Antwort auf Produktionsengpässe, sondern auch ein strategischer Schachzug, um dem Trend zu einer zunehmend multipolaren Welt entgegenzuwirken. In den Nato-Ländern Europas dient die verstärkte Produktion von Patriot-, Javelin- und GMLRS-Systemen der Stärkung der NATO und der »Abschreckung« Rußlands, insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts. Die massive Aufrüstung europäischer NATO-Staaten, die mit dem Krieg in der Ukraine rechtfertigt wird, hat die Nachfrage nach Waffen in die Höhe getrieben. Mit Lockheed Martin’s Verlagerung von Produktionskapazitäten in Länder wie Polen positioniert sich der Konzern geopolitisch optimal für weitere Kriegsgeschäfte.

In Asien wiederum zielt die Expansion darauf ab, den wachsenden Einfluß Chinas zurückzudrängen. Die Stationierung von chinesischen H-6-Bombern auf den Paracel-Inseln , die mit Anti-Schiff-Raketen und Luft-Boden-Marschflugkörpern ausgerüstet sind, und die Modernisierung der chinesischen Marine haben die USA zum Anlaß genommen, um die Spannungen im Südchinesischen Meer zu verschärfen. Das R&D-Zentrum in Manila soll daher ein klares Zeichen setzen, daß die USA ihre Verbündeten in der Region militärisch und technologisch aufrüsten wollen, um »ein Gegengewicht zu China« zu schaffen. Doch diese Strategie birgt Risiken, denn China wird nicht auf seinen Händen sitzen bleiben und dieser Entwicklung tatenlos zusehen.

Kritische Perspektiven: Provokation oder Partnerschaft?

Die Expansion des Rüstungskomplexes der USA wirft eine Reihe kritischer Fragen auf. In Deutschland hat die Friedensbewegung begonnen, die Rolle des Westens in globalen Konflikten neu zu bewerten. Organisationen wie die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) und »Rheinmetall Entwaffnen« kritisieren die »Aufrüstungsspirale« und die »militärische Doppelmoral« des Westens, die durch Waffenlieferungen Konflikte wie in der Ukraine anheizen. Die Verlagerung von Rüstungsproduktion aus den USA nach Europa könnte als Teil dieser Spirale gesehen werden, die nicht nur Rußland, sondern auch andere Akteure wie China provoziert.

Zudem besteht die Gefahr, daß die Abhängigkeit europäischer und asiatischer Staaten von US-amerikanischen Waffen ihre strategische Autonomie noch weiter einschränkt. Polen und die Philippinen etwa werden durch die Zusammenarbeit mit Lockheed Martin noch enger an die geopolitischen Interessen der USA gebunden. Dies könnte langfristig Spannungen mit anderen Mächten verschärfen und die Aussicht auf diplomatische Lösungen erschweren.

Die Expansion des US-amerikanischen Rüstungskomplexes unter der Führung von Lockheed Martin – in Abstimmung mit dem USA-Kriegsministerium Pentagon – ist ein komplexes Unterfangen mit weitreichenden Implikationen. In Europa wird dadurch die NATO mit Ihren Drohgebärden gegen Rußland gestärkt, während gleichzeitig Washington damit China in seinem asiatischen Hinterland provozieren will. Wenn Lockheed Martin trotzdem von einer »Win-Win-Situation« für die beteiligten Länder spricht, ist die Antwort auf die Frage, ob diese Expansion Frieden und Stabilität fördert oder neue Konflikte heraufbeschwört, schon jetzt klar!