Luxemburg29. Mai 2024

Konzernlobbyisten nicht zu bremsen

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trifft sich lieber mit Patronatsvertretern

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Kurz vor der Wahl zum EU-Parlament und rund anderthalb Jahre nach dem letzten größeren Skandal um Schmiergeldzahlungen an ohnehin schon überbezahlte EU-Deputierte wie Eva Kaili hat der Kölner Verein LobbyControl dem nach »Katargate« in Brüssel eilends eingerichteten »Ethikgremium« ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Das »vorwiegend auf Selbstkontrolle« ausgerichtete »EU-Ethikgremium« sei »quasi machtlos, nur beratend tätig und ohne Sanktionsmöglichkeiten«, heißt es im »EU-Lobbyreport 2024«. Auch soll das »interinstitutionelle« Expertengremium zwar für Parlament, Kommission, Euro-Zentralbank und Rechnungshof zuständig sein, jedoch nicht für das eigentliche Entscheidungsgremium EU-Europas, den »Europäischen Rat« der Staats- und Regierungschefs.

In der zu Ende gehenden Legislaturperiode, heißt es im »EU-Lobbyreport 2024«, habe sich »die Präsenz und Einflußnahme von großen Konzernen in der EU weiter verstärkt«. So habe die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seit ihrem Amtsantritt Ende 2019 fast vier von fünf Treffen mit »Nichtpolitikern« (78 Prozent) mit Patronatsvertretern gehabt, während Treffen mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft weniger als 18 Prozent ausgemacht hätten.

Und die Einflußnahme der Konzerne nimmt immer weiter zu. Lagen die Lobbyausgaben aller Akteure in Brüssel im vergangenem Jahr laut dem schon 2011 eingerichteten EU-Transparenzregister dem Bericht zufolge bei 1,3 Milliarden Euro, so hätten die 50 Konzerne mit den größten Lobbyausgaben ihre Ausgaben in den vergangenen zehn Jahren um rund zwei Drittel erhöht. Zu den größten Lobbyakteuren in Brüssel gehören neben den vier größten US-amerikanischen Techkonzernen Amazon, Meta (Facebook), Microsoft und Apple auch französische, deutsche und italienische Multis. So erhöhte der deutsche Chemie- und Pharmakonzern Bayer sein Lobbybudget in der vergangenen Legislaturperiode um fast 80 Prozent. Und siehe da: »Bayers Pflanzengift Glyphosat darf zehn weitere Jahre versprüht werden, und ein EU-Gesetz für weniger Pestizide ist vom Tisch.«

Ein weiteres Phänomen, das der »EU-Lobbyreport 2024« hervorhebt: Die Lobbyarbeit ist besonders im Zuge der Coronapandemie digitaler geworden. Dadurch können auch kleinere Akteure ohne teures Büro in Brüssel »plötzlich unbürokratisch digitale Lobbytreffen mit den EU-Institutionen abhalten«. Daß viele Gespräche nun in Chatkanälen stattfinden, bedeute aber auch mehr Intransparenz. Denn während zumindest offizielle E-Mails der Öffentlichkeit auf Anfrage zugänglich gemacht werden können, ist das bei Chatnachrichten nicht der Fall.

Die Kritik von LobbyControl wird sogar vom Rechnungshof der EU geteilt. Der kam kürzlich zu dem Schluß, daß Lobbyisten trotz des Registers »von der Öffentlichkeit unbemerkt auf die EU-Gesetzgeber Einfluß nehmen können«. So müßten sich die mittlerweile über 29.000 Lobbyisten in Brüssel nur für geplante Treffen und nur für solche mit den ranghöchsten Eurokraten registrieren. »Spontane Treffen und Telefongespräche sowie E-Mail-Verkehr müssen nicht formell festgehalten werden, und für Treffen mit Mitarbeitern unterhalb der Ebene eines Generaldirektors (also faktisch mit fast allen Mitarbeitern) benötigen Lobbyisten keine Registrierung«, bemängelt der Rechnungshof.