»Sand ins Getriebe des Militarismus werfen«
Militär-Industrie-Komplex plant neue Basis in Turin. Friedensaktivisten protestieren gegen Italiens Rüstungsindustrie
In Turin ging am Donnerstag eine dreitägige Militärschau mit dem Namen »Aerospace & Defense Meetings« zu Ende, eine Ausstellung der Luft- und Raumfahrtkriegsindustrie. Zur Eröffnung am Dienstag hatten vor dem Eingang zum Oval, in dem die Biennale stattfand, Friedensaktivisten eine antimilitaristische Aktion gestartet, mit der sie dagegen protestierten, daß anläßlich der Kriegspropagandaschau in der Industriemetropole der Grundstein dafür gelegt wird, in der Stadt ein neues High-Tech-Kriegszentrum des italienischen Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzerns Leonardo zu entwickeln, der mit 51.000 Beschäftigten zu den größten Rüstungsunternehmen der Welt zählt.
»Die großen Industrien, Regierungsvertreter, Streitkräfte und Unternehmen werden in Angelegenheiten des Todes gute Geschäfte machen«, hieß es in einer Erklärung. Es handle sich um einen Markt, »der unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet, auf dem Handelsabkommen über Waffen unterzeichnet werden, die ganze Städte zerstören, Zivilisten massakrieren, Ländereien und Flüsse vergiften«. Der Luft- und Raumfahrtkonzern entwickle und produziere »Jagdbomber, ballistische Raketen, Satellitenkontrollsysteme, Kampfhubschrauber und Drohnen, die auf allen Kriegsschauplätzen eingesetzt werden«.
Für seine Kriegsgeschäfte habe der Konzern von der Regierung »haufenweise« Geld erhalten, schreibt das das linke »Il Manifesto« – seit 2016 umgerechnet mindestens 2,135 Milliarden US-Dollar.
»Um die Kriege zu stoppen, reicht ein Nein nicht aus«, hieß es im Aufruf der Kriegsgegner. »Wir müssen für die Schließung der Kriegsindustrie und deren Umstellung kämpfen, gegen die Entstehung eines neuen Leonardo-Kriegszentrums im Herzen von Turin, das Waffen herstellt, die nur einen Steinwurf von unseren Häusern entfernt und nicht weit von den Gärten, in denen unsere Kinder spielen, produziert werden, um in jedem Winkel der Erde Männer, Frauen und Kinder zu töten. Stoppen wir sie! Werfen wir Sand ins Getriebe des Militarismus!«
Während die italienische Wirtschaft nach dem BiP unter den selbsternannten »führenden Wirtschaftsstaaten« G7 an fünfter Stelle rangiert, belegt sie mit ihrem Militär-Industrie-Komplex in der EU einen der vorderen Plätze, und das schon seit Jahrzehnten. Fiat Aviazione, die in Leonardo aufging, erhielt schon in den 80erJahren Aufträge aus den USA im Zusammenhang mit dem vom damaligen Präsidenten Ronald Reagan proklamierten Programm des »Kriegs der Sterne« (SDI), war an Raumfahrtprojekten von Arianespace und Eureka beteiligt, stellte die Raumfahrtrakete Ariane 5 her, lieferte Motoren und Hitzeschilde für Satelliten und produzierte Raketentreibstoff, der beim US-amerikanischen Space Shuttle und auch bei militärisch genutzten Raketen verwendet wurde.
Heute ist die FIAT Iveco Defence unter Leitung des Fiat-Erben John Elkann, der im international verflochtenen Militär-Industrie-Komplex zudem noch CEO des niederländischen Rüstungskartells Exor ist, eines führenden Lieferanten der italienischen Armee, u.a. mit Panzerfahrzeugen »Centauro II«.
Für den Start eines von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA bis 2028 geplanten eigenen Raumschiffes erhielt Italien jetzt den Auftrag, die zweistufige Trägerrakete Ariane 6 mit einer Nutzlast von 5 bis 11,5 t auf die Startrampe zu bringen. Die Vereinbarungen, die der italienische Wirtschaftsminister Adolfo Urso, sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire und der grüne deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck unterzeichnet haben, werden laut Urso »den Weg zu einer breiteren Konvergenz in der industriellen Verteidigungspolitik ebnen«, da Weltraum- und Militärperspektiven eng miteinander verbunden seien.
Mit dem Auftrag zur Herstellung der Ariane 6 habe sich Italien bei der Militarisierung im Weltall, zu deren Zielen auch Flüge zum Mond gehören, einen Spitzenplatz gesichert, kritisieren Kriegsgegner. Insgesamt hat die ESA bereits rund vier Milliarden Euro in die Entwicklung der Rakete gesteckt.
Die USA, Britannien und Italien seien die einzigen Länder, die weltweit über einen Flugzeugträger-Verband verfügen. Premierministerin Giorgia Meloni wolle den Flugzeugträger »Cavour« im Verbund mit einem Zerstörer und einem Tankschiff zur Unterstützung der USA im Kampf gegen die Volksrepublik China in den Indopazifik schicken, berichtete kürzlich »Palermo Today«. Die Betriebskosten liegen allein für die »Cavour« zwischen 2,5 bis drei Millionen US-Dollar pro Tag, für jede Flugstunde der F-35 »Lightning II« an Bord zusätzlich zwischen 30.000 und 36.000 Dollar, außerdem müsse der Flugzeugträger auch nach etwa 18 Tagen ununterbrochener Navigation gewartet werden. Die Kosten für den Zerstörer und das Tankschiff betragen etwa vier Millionen Dollar pro Tag. Die Kosten für Waffenlieferungen aus Italien an die Ukraine, darunter schwere Artilleriegeschütze, Stinger-Raketen und gepanzerte Truppenfahrzeuge, beliefen sich Ende 2022 auf 300 bis 500 Millionen Euro.