Späte Eingeständnisse
Italiens Ex-Premier Amato bestätigt: Passagiermaschine der italienischen ITAVIA wurde 1980 von NATO-Jäger abgeschossen. Der Anschlag galt dem libyschen Staatschef Gaddafi
Mit seinem Eingeständnis in der Zeitung »La Repubblica« am 3. September, die 1980 über Ustica ins Meer gestürzte Passagiermaschine der italienischen IAVIA sei während eines NATO-Manövers irrtümlich von einem französischen Piloten abgeschossen worden, hat der ehemalige italienische Ministerpräsident Giuliano Amato die Diskussion über diese Katastrophe neu entfacht. Bisher herrschte die Einschätzung aus den Ermittlungen des Staatsanwalts Rosario vor, daß die DC 9 aller Wahrscheinlichkeit nach von einem US-amerikanischen Piloten abgeschossen wurde.
Während die Mainsteam-Medien den eher nebensächlichen Aspekt debattierten, ob ein französischer oder US-amerikanischer Pilot die Rakete abfeuerte, wird weiter ignoriert, daß die USA mit ihren italienischen Komplizen nicht nur ihre Verantwortung leugneten und weiterhin vertuschen, sondern weitere Verbrechen verüben und skrupellos Menschen umgebracht wurden.
So ging aus einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA vom 15. September hervor, daß noch immer sieben Dokumente zum »Fall Ustica« trotz mehrfach wiederholter Anträge vom Kriegsministerium nicht freigegeben werden. Chef des Ministeriums ist seit Oktober 2022 Guido Crosetto von den faschistischen Brüdern Italiens (FdI) von Georgia Meloni.
Die DC 9 Mc Donnell Douglas der ITAVIA stürzte am 7. Juni 1980 um 20.59 Uhr nördlich der Insel Ustica ins Thyrrenische Meer. Alle 81 Insassen kamen ums Leben. Zu dieser Zeit führten zirka 30 Jäger, Radarflugzeuge, Flugzeugträger und U-Boote der NATO in diesem Gebiet ein Manöver durch. Schon damals berichteten Medien, wie jetzt auch Ex-Premier Amato bestätigt, daß der libysche Staatschef Gaddafi Ziel des Angriffs war, dessen Maschine, eine Tupolew, sich zur selben Zeit über Ustica befand, aber überraschend abdrehte. Proarabische Kreise in Rom sollten Gaddafi in letzter Minute gewarnt haben.
Der Militär-Pilot, der die Maschine abschoß, hatte die DC 9 für die Tupolew gehalten, da sich beide Flugzeuge im Profil ähnelten. Medienberichte sprachen jedoch sofort von einem »Bombenattentat linker Terroristen«. Dann wurden »Abnutzungserscheinungen« und »schlechte Wartung« der Maschine als Ursachen genannt. Allerdings hat die ITAVIA schon damals mit Radaraufzeichnungen des römischen Flughafens Fiumicino nachgewiesen, daß eine Rakete auf die DC 9 abfeuert worden war.
Die NATO und die CIA behaupteten jedoch, »sämtliche Maschinen seien am Boden, alle Raketen in den Hangars« gewesen. Noch im März 1989 erklärte das Pentagon, daß »zur Zeit des Unglücks weder Schiffe noch Flugzeuge der US Navy oder der Air Force über dem Thyrrenischem Meer anwesend waren«. Manfred Wörner, seit Dezember 1987 deutscher NATO-Generalsekretär, deckte das Verbrechen ebenfalls und beteuerte, laut »Spiegel« (Nr. 14/1991) »die Unschuld der NATO-Piloten«.
Als 1987 das 3000 Meter tief liegende Wrack der DC 9 gehoben wurde, bewiesen ein völlig geschmolzenes Triebwerk und Einschläge im Frachtraum einen Raketeneinschlag.
Obwohl die Absturzstelle der DC 9 genau bekannt war, wurden die Bergungskommandos zunächst in ein weit abseits liegendes Gebiet geschickt. Es sollte keine Überlebenden geben, die aussagen könnten, daß die Maschine von einer Rakete getroffen wurde.
Das Nachrichtenmagazin »Panorama« berichtete 1989, die DC 9 habe sich noch einige Stunden über Wasser gehalten, bis ihr Rumpf im Morgengrauen von Froschmännern eines britischen U-Bootes gesprengt worden sei. Bis dahin hätten noch Überlebende gerettet werden können.
Über ein Dutzend Mitwisser des Verbrechens wurden umgebracht, darunter der italienische Luftwaffengeneral Giorgio Licio, ein Radarexperte, der sich in der Absturznacht in einem Spezialflugzeug für elektronische Kriegführung, einer PD 800, über Ustica befand. Der Geheimdienst-Oberst Alessandro Marcucci, der am Abend des 27. Juni Dienst hatte, stürzte vor seiner Vernehmung mit einem Sportflugzeug ab. Der Kommandant der Radarzentrale »Martina Franca«, General Roberto Boemio, wurde in Brüssel von unbekannten Tätern erstochen.
Die USA und ihre italienischen Komplizen sind auch für die Katastrophe am 28. August 1988 bei der USA-Luftwaffenbasis Ramstein verantwortlich, bei der es 70 Tote und 450 zum Teil schwer Verletzte gab. Sie wurde verursacht durch den Zusammenstoß von zwei Piloten der italienischen Kunstflugstaffel »Frecce tricolori«, die in die Menge stürzten. Die beiden Piloten waren am 27. Juni 1980 als Jagdflieger über Ustica im Einsatz und nach der Flugschau zur Vernehmung vorgeladen. Zumindest eine der Maschinen war manipuliert worden.
Den Durchbruch in den Ermittlungen erzielte danach der in Terrorfragen erfahrene Staatsanwalt Rosario Priore, der Tonbänder der Radarzentrale sicherstellte, die dem damaligen CIA-Chef in Rom, Duane Clarridge, ausgehändigt worden waren. Priore enthüllte, daß der USA-Botschafter einen »Sonderstab Ustica« gebildet hatte, der alle Beweise unter Verschluß nahm. Ex-Kriegsminister Lelio Lagorio sagte aus, daß die Geheimdienste die Ermittlungen in falsche Richtungen lenkten. Der General räumte ein, auch Zeugen seien »beseitigt« worden.
Staatsanwalt Priore wies nach, daß die DC 9 von einem NATO-Jäger abgeschossen wurde, und daß es aller Wahrscheinlichkeit nach ein US-Amerikaner war. Er klagte neun italienische Generäle und hohe Offiziere wegen Hochverrats, Irreführung der Behörden, Beweisunterdrückung und Zeugenbeeinflussung an. Eine Anklage wegen Mittäterschaft bei der Tötung der 81 Insassen der DC 9 wurde nicht zugelassen, auch nicht wegen Zeugenbeseitigung.
Die Urteile fielen mild aus. Die Verurteilten kamen bald wieder auf freien Fuß, ihre Karrieren litten darunter nicht. Der verurteilte General Lamberto Bartolucci stieg später zum Generalstabschef auf. Natürlich kamen auch die eigentlichen Drahtzieher des Verbrechens, die Verantwortlichen aus CIA und anderen westlichen Geheimdiensten sowie der NATO nicht vor Gericht.
Laut »La Repubblica« vom 21. September 2011 verurteilte ein Gericht in Palermo die italienische Regierung, den Angehörigen der Absturz-Opfer 100 Millionen Euro Entschädigung zu zahlen. Im Urteil hieß es, daß die italienischen Behörden, durch »Unterlassungen« den Absturz deckten und vertuschten.