Leitartikel22. Februar 2023

Was ist von der Tripartite zu erwarten?

von Ali Ruckert

Noch bevor am 3. März eine Sitzung der nationalen Tripartite stattfinden wird, will die Regierung am 28. Februar in getrennten Gesprächen mit den Gewerkschaften und den Vertretern des Kapitals über Inflation, Kaufkraft und mögliche finanzielle Hilfen für Betriebe und Haushalte reden.

Die Gewerkschaften OGBL, LCGB und CGFP hatten zuvor eine solche Unterredung gefordert, um im Vorfeld der Dreierrunde ganz präzise über die Anpassung der Steuertabellen an die Inflation zu diskutieren, die das letzte Mal 2009 erfolgte, bevor der entsprechende Mechanismus 2013 aus der Steuergesetzgebung gestrichen wurde.

Seither werden die Nominallöhne – sieht man von mehreren zeitlich begrenzten Indexmanipulation ab –immer noch an den Preisindex angepasst, aber die Netto-Reallöhne der Schaffenden sinken kontinuierlich, weil die Steuertabellen nicht an die Preisentwicklung angepasst wurden, so dass wegen der »kalten Progression« automatisch mehr Steuern bezahlt werden mussten. Das hat dazu geführt, dass gegenwärtig für einen mittleren Lohn eine Indextranche nicht 2,5 Prozent Anpassung ausmacht, sondern nur 1,75 Prozent.

Die verbleibenden 0,75 Prozent ist Lohnklau, den die Regierung betreibt, um sich auf Kosten der Lohnabhängigen Mehreinnahmen zu verschaffen, die gebraucht werden, weil das Kapital unverschämt niedrig besteuert wird. Damit das alles auch in Zukunft so bleiben kann, verkündete Finanzministerin Backes praktisch zeitgleich mit Forderung der Gewerkschaften dringend über die Anpassung der Lohntabellen an die Inflation reden zu wollen, eine solche Maßnahme sei »net responsabel«. Es darf davon ausgegangen werden, dass der Premierminister nichts Gegenteiliges dazu sagen wird.

Während der vergangenen Monate hat das Patronat über die mannigfaltigen Medienkanäle, die ihm zur Verfügung stehen, die Indexierung der Löhne und die Anpassung der Steuertabellen an die Preisentwicklung systematisch als »ungerecht« verteufelt, denn die Bezieher von kleinen Löhnen seien benachteiligt, da die Anpassung ihres Einkommens deutlich niedriger ausfalle.

Das ist natürlich pure Demagogie, denn wenn die Mindestlöhne heute so niedrig sind, dass deren Bezieher an der Armutsgrenze leben, ist das darauf zurückzuführen, dass das Patronat sich mit Händen und Füßen gegen höhere Mindestlöhne wehrt, und bei den meisten Kollektivvertragsverhandlungen ganz generell gegen Lohnerhöhungen Sturm läuft.

Vor allem aber will das Kapital mit dieser Diskussion davon ablenken, dass einerseits es sich beim Indexklau von 2022 um eine riesige Umverteilung zugunsten der Dividenden der Aktionäre handelte, und andererseits, dass nicht die Unterschiede zwischen den Löhnen, sondern die ungerechte Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit die Hauptursache für die sozialen Ungerechtigkeiten in diesem Land sind.

Das rührt daher, dass in einer Welt, in der die Produktion einen gesellschaftlichen Charakter hat, die Aneignung der Produktionsergebnisse aber in privatkapitalistischer Form erfolgt, der geschaffene Reichtum ungerecht verteilt wird. Einen legalen Anstrich erhält die ganz gewöhnliche kapitalistische Ausbeutung dadurch, dass der Staat, der in dieser Auseinandersetzung keineswegs neutral ist, Gesetze macht, welche dazu beitragen, dass diese Hauptursache für die sozialen Ungerechtigkeiten immer wieder reproduziert wird.

Das zu ändern, wird nicht in der Tripartite entschieden, sondern ist nur möglich, wenn sich bei den Schaffenden die Erkenntnis durchsetzt, dass es nicht nur dringend notwendig ist, die Indexierung der Löhne uneingeschränkt zu erhalten und die Steuertabellen an die Preisentwicklung anzupassen, sondern die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abzuschaffen.