Ausland24. Mai 2022

»Freie Bündniswahl« nur für NATO-Freunde

USA drohen Salomonen nach Abschluß einer Sicherheitskooperation mit China

von Rüdiger Göbel, Berlin

Mit Verweis auf Rußlands Krieg in der Ukraine wollen Finnland und Schweden ihre militärische Blockfreiheit aufgeben und Mitglieder der NATO werden. Die NATO-Staaten unterstützen – mit Ausnahme der Türkei – den schnellen Beitritt der beiden Nordstaaten, die bereits enge Partner des von den USA geführten Militärpakts sind. »Die NATO ist ein Bündnis der offenen Türen«, erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock großspurig, »deswegen heißen wir Finnland und Schweden, wenn sich ihre Parlamente, wenn sich ihre Gesellschaften dafür entscheiden, herzlich willkommen.« Deutschland werde eine Aufnahme »sehr schnell« ratifizieren. In diesem Sinne äußerte sich auch Bundeskanzler Scholz.

Finnland hat eine rund 1.300 Kilometer lange Grenze zu Rußland. Russische Einwände, eine NATO-Mitgliedschaft Finnlands werde »definitiv« als Bedrohung angesehen, werden dennoch vom Tisch gewischt. Baerbock sagte dazu, der russische Präsident Wladimir Putin habe Schweden und Finnland durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine in die NATO »hineingepuscht«. Wie zuvor schon im Fall der Ukraine verweisen die NATO-Staaten mantragleich auf das Recht der »freien Bündniswahl«.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte dazu am 26. Januar, es gebe bei diesen »Grundprinzipien« »keine Kompromisse«. Dies heiße, »daß jede Nation das Recht hat, ihren eigenen Weg zu wählen. Die NATO respektiert also ein Land oder eine Nation, wenn sie beschließen, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, wie zum Beispiel die Ukraine, oder wenn sie beschließen, keine NATO-Mitgliedschaft zu beantragen, wie es Finnland und Schweden getan haben. Es geht also darum, das Selbstbestimmungsrecht zu respektieren.«

Die »freie Bündniswahl« und die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts freilich gelten immer nur im Kontext der NATO. »Quod licet Iovi, non licet bovi«, sagt die alte lateinische Spruchweisheit dazu: »Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.«

So haben die USA zunächst versucht, die Inselrepublik Salomonen von einer Sicherheitskooperation mit der Volksrepublik China abzuhalten – vergeblich. Nach der Unterzeichnung der weitreichenden Vereinbarung im April warnte Washington die pazifische Inselgruppe vor der Errichtung eines chinesischen Militärstützpunkts. Die USA würden in einem solchen Fall »entsprechend reagieren«, erklärte das Weiße Haus. Das Abkommen habe »potenziell regionale Sicherheitsauswirkungen« für die USA und ihre Verbündeten.

Wohlgemerkt: Die Salomonen, die aus Hunderten kleinen und größeren Inseln bestehen und nur 700.000 Staatsbürger haben, liegen 16.000 Kilometer von Washington entfernt nordöstlich von Australien, das mit den USA und Britannien im AUKUS-Pakt verbunden ist.

Australiens Ministerpräsident Scott Morrison wertete den neuen Pakt als Ausdruck des »starken Drucks Chinas«, den man im Pazifik spüre. Sein Vize Barnaby Joyce betonte, Australien wolle »kein kleines Kuba vor der eigenen Haustür«. Oppositionsführerin Penny Wong erklärte, »das Vordringen Chinas« zuzulassen sei der »größte außenpolitische Fehler im Pazifik seit Ende des Zweiten Weltkriegs«.

Die USA haben eigens eine Delegation in die Salomonen-Hauptstadt Honiara entsandt, angeführt von Indopazifik-Koordinator Kurt Campbell, um der Regierung des Pazifik-Inselstaats eine »Botschaft« zu übermitteln, in der das Weiße Haus seine imperiale Drohpolitik unverhohlen ausbreitet: »Die Delegation hat dargelegt, daß die USA bedeutende Bedenken hätten und entsprechend reagieren würden, sollten Schritte unternommen werden, eine faktische dauerhafte Militärpräsenz (…) oder eine militärische Einrichtung zu errichten.« Der Regierungschef der Salomonen, Manasseh Sogavare, habe versichert, daß die Einrichtung eines chinesischen Militärstützpunkts nicht geplant sei.

Die deutsche großbürgerliche »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) skizzierte am 29. April die geostrategische Bedeutung der an sich armen Inseln: »Vor nun 80 Jahren war Guadalcanal, die Hauptinsel der Salomonen, Schauplatz fürchterlicher Kämpfe zwischen Amerikanern und Japanern. Die Inselkette bildet den südlichen Eckpunkt eines geographischen Dreiecks mit dem amerikanischen Hawaii und dem Militärstützpunkt Guam. Bis zur Küste von Washingtons Verbündetem Australien sind es von hier nur noch 1.900 Kilometer. Im Norden läuft eine der wichtigsten Container- und Energierouten der Welt, zwischen China, Taiwan, Korea und Japan auf der einen, der amerikanischen Westküste und Australien auf der anderen Seite. Und auf globaler Bühne besitzt jeder Inselstaat seine eigene Stimme – er kann sie Peking schenken.«

Um den Einfluß der USA auf den Salomonen geltend zu machen, soll im Eiltempo eine Botschaft eröffnet werden. Das Land soll zusätzliche Lieferungen von Corona-Impfstoffen bekommen, das US-amerikanische Lazarettschiff »Mercy« die Gesundheitsversorgung unterstützen. Die politische Führung soll an die Kandare genommen werden über einen »ranghohen strategischen Dialog« der beiden Staaten, »um den Austausch in Fragen der Sicherheit, Wirtschaft, Staatsfinanzen und sozialer Belange zu verbessern«.

Chinas Regierung weist die Angriffe seitens der USA und Australiens auf die freie Bündniswahl der Salomonen zurück. »Die Sicherheitszusammenarbeit zwischen China und den Salomonen ist offen und transparent, richtet sich nicht gegen Dritte und steht nicht im Widerspruch zur Zusammenarbeit zwischen den Salomonen und anderen Partnern in den bestehenden regionalen Mechanismen«, erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, und fügte hinzu, daß die pazifischen Inselstaaten, einschließlich der Salomonen, unabhängige souveräne Länder seien und nicht der Hinterhof irgendeines Landes. Da Australien behaupte, die souveräne Entscheidung der Salomonen zu respektieren, sollte es seinen Worten Taten folgen lassen und tun, was es sage.

Und was sagt das »grün« geführte Außenministerium in Berlin? Dort nimmt man – wie auch sonst – die Position der USA ein. Das souveräne Recht der Salomonen, eigenständig und unabhängig ein Sicherheitsabkommen zu schließen, zählt wenig im Unterschied zur Ukraine oder zu Finnland und Schweden. »Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, daß nach Angaben Chinas und der Salomonen ein bilaterales Abkommen zur Sicherheitskooperation unterzeichnet worden ist«, heißt es in einer Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen von der Linkspartei. »Die Bundesregierung nimmt die Sorgen, die auch von Partnern in der Region wegen des Abkommens geäußert werden, ernst und steht gemäß den Indo-Pazifik-Leitlinien mit der Regierung der Salomonen sowie anderen Partnern in regelmäßigem Austausch.«