Ausland16. Februar 2024

Olympia geht an Bouquinisten der Pariser Seine-Kais vorbei

Polizei muß auf Evakuierung der Bücherkisten verzichten

von Ralf Klingsieck, Paris

Die Entscheidung kam von ganz oben und wurde durch ein Kommuniqué des Elysée bekannt gemacht. Danach hat Präsident Emmanuel Macron persönlich angeordnet, daß die von den Sicherheitsbehörden für die Dauer der Olympischen Spiele und der Paralympics in diesem Sommer geplant gewesene Evakuierung der Bouquinisten an den Pariser Seine-Kais mitsamt ihren jahrzehntealten Bücherkisten zu unterbleiben hat. Innenminister Gérald Darmanin und der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nuñez wurden angewiesen, die Sicherheit entlang der Seine-Kais auf andere Weise zu gewährleisten.

Daß die feierliche Eröffnung der Olympischen Spiele in diesem Jahr nicht wie üblich durch den Einmarsch der Sportler der teilnehmenden Länder in ein Stadion erfolgt, sondern durch eine Flottenparade auf der Seine über sechs Kilometer quer durchs Stadtzentrum mit je einem Schiff für die mehr als 100 Delegationen, hat viele organisatorische und Sicherheitsprobleme aufgeworfen.

Um bei der Flottenparade den Zuschauern entlang der Uferstraße den Blick auf die vorbeifahrenden Schiffe zu öffnen und der Polizei den wachsamen Blick auf diese Zuschauer, sollten 570 der insgesamt fast 1.000 Bücherkisten, über die die Pariser Bouquinisten verfügen, abgebaut und von Mitte Juni bis Mitte September evakuiert werden. Diese jeweils etwa zwei Meter breiten und knapp einen Meter hohen und tiefen Kisten, die jede mehrere hundert gebrauchte Bücher fassen und die über Nacht durch das heruntergeklappte Vordach und ein Vorhängeschloß gesichert werden, sind solide auf den steinernen Brüstungen der Uferstraßen befestigt. Doch das täuscht, was die Festigkeit der Holzkisten betrifft. Die sind meist schon viele Jahrzehnte alt und waren in dieser Zeit Wind und Wetter ausgesetzt. Sie abbauen zu wollen, bedeutet zu riskieren, daß sie dabei zerfallen, warnten die Bouquinisten.

Sie fragten auch, wer denn für ihre Einnahmeverluste aufkäme. Der Verkauf antiquarischer Bücher bringt schon zu normalen Zeiten wenig ein und da die meisten Bouquinisten unterhalb der Armutsgrenze leben, neigen sie mehr und mehr dazu, in ihren Kisten Platz für Paris-Souvenirs zu machen, die einen stabileren Absatz versprechen als alte Bücher. Dieses artfremde Geschäft ist eigentlich nicht gestattet, wird aber toleriert, wenn es sich in Grenzen hält.

Die Stadtverwaltung versuchte, mit den Bouquinisten einerseits und den Sicherheitsbehörden andererseits zu verhandeln und zwischen ihnen zu vermitteln. Angesichts der Rolle der Bouquinisten für das kulturelle Image und die touristische Anziehungskraft von Paris war man sogar bereit, tief in die Stadtkasse zu greifen und sowohl den Abbau, die Einlagerung und den Wiederaufbau der Bücherkisten zu bezahlen als auch die nötigen Renovierungsarbeiten an besonders mitgenommenen und zerbrechlichen Kisten. Um die Einnahmeverluste für die Bouquinisten zu begrenzen, sollten sie an einem zeitweiligen Büchermarkt teilnehmen können, der an anderer Stelle im Stadtzentrum organisiert werden sollte.

Das würde aber nur einen Teil ihrer Einnahmeverluste kompensieren, wandten die Bouquinisten ein. Sie bestanden darauf, an Ort und Stelle zu bleiben, und mit dieser Forderung hatten sie letztlich Erfolg. Zu den Politikern, die auf ihrer Seite standen und hinter den Kulissen ihren Einfluß geltend machten, gehörte die rechte Stadtbezirksbürgermeisterin des 7. Arrondissements, Rachida Dati, die kürzlich als Kulturministerin in die Regierung geholt wurde. Es ist zu vermuten, daß sie dank dieser Position bei Präsident Macron für die Bouquinisten interveniert hat. Auf jeden Fall ist sie im Pariser Stadtrat eine erbitterte Gegnerin der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Daß diese die Forderungen der Sicherheitsbehörden akzeptiert hat und nur durch Hilfe aus Steuermitteln akzeptabel zu machen versuchte, während Rachida Dati die Bouqinisten in ihrer harten Haltung bestärkte, hat wohl den Ausschlag gegeben. Hätten sie nachgegeben, dann wäre das Olympia-Jahr sicher für viele von ihnen zu einem wirtschaftlichen Desaster geworden.

Nun aber können die Buchverkäufer sogar darauf hoffen, von dem durch Olympia zunehmenden Touristenverkehr zu profitieren. Die Polemik um die mit Olympia begründete Vertreibung der weltweit bekannten Pariser Bouquinisten hat ein sehr starkes Medienecho im In- und Ausland gefunden.

Das, so hoffen die Bouquinisten, dürfte ihrem Antrag bei der UNESCO auf Anerkennung des Antiquariatsbuchhandels an den Pariser Seine-Kais als immaterielles Weltkulturerbe zugute kommen.