Ausland10. Januar 2024

Krieg ohne Ende

USA-Außenminister Blinken tourt durch die Region. Der Krieg in Gaza geht weiter

von Karin Leukefeld, Damaskus

Die neue Tournee von USA-Außenminister Antony Blinken durch den Nahen und Mittleren Osten wird erneut von medialen Warnungen vor einer Ausweitung des Gaza-Krieges begleitet. Es ist das vierte Mal seit Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober, daß Blinken für Krisengespräche zunächst nach Istanbul und Kreta reiste. Bei den türkischen und griechischen NATO-Partnern versicherte er sich der weiteren Nutzung der Militärbasen in den jeweiligen Ländern. Anschließend reiste er nach Amman und traf am Montag in Katar mit Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani sowie mit dem katarischen Außenminister Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani zusammen.

In Katar liegt mit dem Luftwaffenstützpunkt Al Udeid die größte Militärbasis der USA im Mittleren Osten, wo mehr als 10.000 USA-Soldaten stationiert sein können. Anfang Januar hatten Washington und Doha die Verlängerung der Truppenstationierung auf der Militärbasis für weitere zehn Jahre beschlossen, berichtete CNN. Katar vermittelt in den Gesprächen über die Freilassung von Geiseln im Gaza-Streifen gegen die Freilassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen und verfügt mit einem Büro der Hamas in Doha über einen direkten Kontakt zu der palästinensischen Organisation. Kritik daran, daß die Hamas in Doha präsent ist begegnet Doha mit dem Hinweis, daß das Büro erst nach der Zustimmung aus Washington eröffnet worden sei.

Weitere Gespräche Blinkens sind in den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Israel und in dem von Israel besetzten Westjordanland vorgesehen. Vor dem Rückflug nach Washington wird er Kairo noch eine Stippvisite abstatten.

Israel will deutsche Bundeswehr im Südlibanon

Das Außenministerium der USA teilte mit, Blinken versuche, eine Ausweitung des Gaza-Krieges zu verhindern. Die Verbündeten am Golf sollen u.a. militärisch gegen die Houthis im Jemen vorgehen, um den Seeweg durch das Rote Meer zum Suez-Kanal gegen Houthi-Angriffe auf Schiffe, die nach Israel fahren, zu sichern.

Im Libanon soll versucht werden, die von Israel geforderte Puffer-Zone umzusetzen, um die Truppen der Hisbollah im Südlibanon zurückzudrängen. In diesem Sinne forderte Israel die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf – die im Windschatten ihres US-amerikanischen Kollegen ebenfalls durch Region tourt – deutsche Bundeswehrtruppen mit militärischen Vollmachten entlang der Grenze zu Israel auf libanesischer Seite zu stationieren, um Israel zu sichern.

In Israel, wo Blinken am Dienstag Gespräche führte, sollte über die Lieferung von Hilfsgütern für die eingeschlossenen Menschen verhandelt werden. Zudem stand eine veränderte militärische Strategie der israelischen Streitkräfte auf der Tagesordnung. Die »Phase Drei« sieht gezielte militärische Operationen und Todeskommandos gegen die Hamas und ihre Strukturen – nicht nur im Gaza-Streifen – vor. Damit soll nach Vorstellung der USA-Führung das Leid der Zivilbevölkerung »deutlich verringert« werden, wie Antony Blinken schon vor Weihnachten erklärt hatte.

Israelische Spionagebasis unter Beschuß

Am 3. Januar war der zweithöchste Hamas-Funktionär Saleh al-Arouri in einer Wohnung in einem dicht besiedelten Wohngebiet im Süden von Beirut bei einem gezielten Drohnenangriff getötet worden. Der Angriff wird Israel zugeschreiben, das sich dazu nicht äußerte. Mit Al-Arouri starben sechs weitere Personen. Die Hisbollah kündigte eine schnelle und gezielte Antwort auf den gezielten Mordanschlag an. Der Angriff sei nicht nur gegen die palästinensische Hamas-Führung, sondern auch gegen die Souveränität des Libanon gerichtet, hieß es.

Am frühen Samstagmorgen nahm die Hisbollah mit 62 Raketen die israelische Militärbasis »Meron« unter Beschuß. Die rund 8 Kilometer südlich der Waffenstillstandslinie gelegene Militärbasis ist die wichtigste Sicherheits- und Kommandozentrale für Luftkriegsführung und Aufklärung an der Nordfront Israels. Die Anlage erstreckt sich auf 1.200 Metern Höhe über 150.000 m² und ist zuständig für die elektronische Kriegsführung Israels in der Region.

Hier wird die israelische Luftüberwachung über Syrien, den Libanon, die Türkei, Zypern und den nördlichen Teil des östlichen Mittelmeerbeckens kontrolliert. Die Basis »Meron« ist auch für die Störung von GPS-Verbindungen und Kontrolle von Luftangriffen zuständig.

Hisbollah erklärte sich zu dem Angriff und veröffentlichte eine Videoaufnahme, die auch in Israel große Aufmerksamkeit fand. Die israelischen Streitkräfte bestätigten Zerstörungen auf der Militärbasis. Armee-Sprecher Daniel Hagari erklärte, die Schäden würden behoben. Man sei auf einen Angriff vorbereitet gewesen. Am Montagmorgen tötete Israel mit einem Luftangriff einen hochrangigen Hisbollah Kommandeur der Elitetruppe Radwan. Wissam Tawil war mit dem Auto in einem Ort 15 Kilometer von der Waffenstillstandslinie entfernt, als eine israelische Rakete sein Fahrzeug zerstörte. Hisbollah bestätigte die Tötung. Eine zweite Person wurde schwer verletzt. Am Dienstag wurden drei weitere Angehörige der Hisbollah durch einen israelischen Drohnen-Angriff auf ihr Fahrzeug getötet.

In der Nacht zu Montag kam es zu einem Cyber-Angriff auf den Flughafen von Beirut. Auf den Anzeigetafeln erschien ein Schriftzug, der sich direkt an Hassan Nasrallah richtete und drohte: »Hassan Nasrallah, Sie werden keine Anhänger mehr haben, wenn Sie den Libanon mit einem Krieg verfluchen, für den Sie die Verantwortung und die Konsequenzen tragen werden«. Unterzeichnet war die Nachricht von einer christlichen Gruppe, die sich »Gottes Soldaten« nennt. Auch eine zweite Gruppe »Der, der spricht«, erklärte sich verantwortlich und verbreitete Fotos von den umgewandelten Informationstafeln über soziale Medien.

Hunger als Waffe, Journalisten als Ziel

Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem hält Israel vor, die Menschen in Gaza, die die Angriffe der israelischen Armee überlebten, auszuhungern. »Jeder in Gaza hungert«, heißt es in einer Erklärung der Organisation am Montag. Rund 2,2 Millionen Menschen überlebten einen Tag auf den anderen mit so gut wie nichts zu essen. »Die gesamte Bevölkerung, auch Kinder, schwangere und stillende Mütter und alte Menschen hungern.«

Die palästinensischen Journalisten in Gaza bezahlen für ihre mutige Arbeit weiterhin einen hohen Preis. Am Sonntag wurden bei einem gezielten Drohnenangriff auf ihr Fahrzeug der 27-jährige »Al Jazeera«-Journalist Hamza Al Dahdouh und sein Kollege, Mustafa Thuraya, der für AFP tätig war, getötet. Ein dritter Journalist, Hazem Rajab, wurde bei dem Angriff schwer verletzt.

Hamza Al Dahdouh war der älteste Sohn des »Al Jazeera«-Büroleiters und Journalisten Wael Al-Dahdouh, der bereits im Oktober seine Frau, einen Sohn, eine Tochter und ein Enkelkind bei einem gezielten israelischen Angriff auf das Haus der Familie im Flüchtlingslager Nusairab verloren hatte.

Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) forderte eine »unabhängige Untersuchung der Ermordung« der beiden Journalisten. Die Verantwortlichen müßten zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es in einer Erklärung von Sherif Mansour, dem CPJ-Koordinator für den Mittleren Osten und Nordafrika. »Die fortgesetzten Morde an Journalisten und ihren Familien durch die Angriffe der israelischen Armee müssen aufhören«, sagte Mansour. »Journalisten sind Zivilisten, keine Ziele.« CPJ gab am Montag die Zahl der seit Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 getöteten Journalisten und Medienmitarbeitern mit 79 an: 72 Palästinenser, 4 Israelis, 3 Libanesen.

Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden im gleichen Zeitraum in Gaza mindestens 23.084 Palästinenser getötet und 58.926 verletzt.

Die Israelische Armee gibt die Zahl der getöteten Soldaten mit 182 an Nach Angaben der israelischen Armeeführung starben mindestens 28 von ihnen durch eigenen Beschuß (»friendly fire«) oder durch Unfälle.